
Ode
von Thomas Melle
Was darf die Kunst, welche Grenzen sind ihr gesetzt, mit welchen Tabus wird sie noch konfrontiert? Was soll und muss die Kunst? Wer spricht für wen? Wer versteht wen? Und was ist das überhaupt, ein Kunstwerk? Wie Flipperkugeln prallen in Thomas Melles Auftragswerk für das Deutsche Theater Berlin die unterschiedlichen Haltungen aufeinander. Verstörend, komisch, funkensprühend. Und inmitten der Akteure Fratzer, Orlando und Präzisa steht die Wehr: im Besitz von Eindeutigkeit und Wahrheit und willens, beides auch durchzusetzen. Ode zeichnet das dystopische Bild einer hochnervösen, erregten Gesellschaft, die ihr Außer-Sich-Sein auf Dauer gestellt hat.
Ein Auftragswerk des Deutschen Theater Berlin
Nominiert für die Stücke 2020 der 45. Mülheimer Theatertage
Ein Auftragswerk des Deutschen Theater Berlin
Nominiert für die Stücke 2020 der 45. Mülheimer Theatertage
Regie Lilja Rupprecht
Bühne Anne Ehrlich
Kostüme Christina Schmitt
Musik Philipp Rohmer
Video Moritz Grewenig
Choreografie Jana Rath
Licht Kristina Jedelsky
Dramaturgie Juliane Koepp
Uraufführung
20. Dezember 2019
Kammerspiele
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten
20. Dezember 2019
Kammerspiele
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten
Katrin WichmannFratzer

Manuel HarderOrlando

Alexander KhuonPräzisa

Natali SeeligPräzisa

Juliana GötzeDie Wehr

Jonas SippelDie Wehr

EnsembleDie Wehr
Philipp RohmerLive-Musik

Fratzer
Orlando
Präzisa
Die Wehr
Live-Musik
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Weltall Erde Mensch
Eine unwahrscheinliche Reise von Alexander Eisenach und Ensemble
Regie: Alexander Eisenach
DT Bühne
19.00 - 22.40
BERLIN-PREMIERE
Mit englischen Übertiteln
Kammer
19.30 - 21.15
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Der Autor und Dramatiker Thomas Melle hat all diese Fragen in einem Auftragswerk fürs DT auf den Punkt gebracht, das zu den klügsten Theatertexten der Saison gehört – mindestens.
[…]
Melles Text und Rupprechts Inszenierung geben keine simplen Ratschläge und schon gar keine schlichten Antworten. Vielmehr stellen sie, angemessen komplex, die richtigen Fragen.
Es ist die zentrale Debatte des gegenwärtigen Kunst- und Kulturbetriebs, die hier […] in darstellerischer Bestform verhandelt wird: Wer darf über und für wen sprechen? Wo verlaufen Grenzen des Darstellbaren? […]
Der Autor und Dramatiker Thomas Melle hat all diese Fragen in einem Auftragswerk fürs DT auf den Punkt gebracht, das zu den klügsten Theatertexten der Saison gehört – mindestens.
[…]
Melles Text und Rupprechts Inszenierung geben keine simplen Ratschläge und schon gar keine schlichten Antworten. Vielmehr stellen sie, angemessen komplex, die richtigen Fragen.
Aus dem agilen, gut choreographierten Chor der Fünf [...] treten die Einzelsprecher heraus: Wichmann als schwer mürbe zu kriegende Fratzer. Ein großes Solo gönnt sich Manuel Harder als Orlando, wenn er an den "restriktiven Arschlöchern überall" leidet, mit Tomaten beworfen wird, sich mit den Tomaten blendet, über die Bühne taumelt, wütet, ätzt. Da kommt die Wucht des Textes durch.
Lilja Rupprecht geht bei der Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit einem Feuerwerk aus Stimmungs- und Bildwechseln, Live-Elektromusik, Solo- und Gruppenpartien zu Werke. [...]
Aus dem agilen, gut choreographierten Chor der Fünf [...] treten die Einzelsprecher heraus: Wichmann als schwer mürbe zu kriegende Fratzer. Ein großes Solo gönnt sich Manuel Harder als Orlando, wenn er an den "restriktiven Arschlöchern überall" leidet, mit Tomaten beworfen wird, sich mit den Tomaten blendet, über die Bühne taumelt, wütet, ätzt. Da kommt die Wucht des Textes durch.
"Ode" ist eine Ode an die Kunstfreiheit. An die Leidenschaft, das Uneindeutige, das Spiel. Eine zentrale Rolle nimmt dabei als Apologet der Ambivalenz der Künstler Orlando ein (nomen est omen), für dessen Wut- und Glutreden Manuel Harder eine gute Energie mitbringt. [...]
In einer Schlüsselszene schrubbt Manuel Harder als "migrantische Putzkraft" den Boden. Woraufhin die famose Katrin Wichmann ihn anblafft, er könne nicht so tun, als sei er eine Reinigungskraft und deren Schicksal nachempfinden wollen. Ab jetzt dürfe er nur noch von sich erzählen, "nie von anderen unter dir". Der anschließende Disput der beiden [...] bringt die aktuelle Repräsentationsdebatte in der Kunst buchstäblich in einem Aufwasch zum Funkeln.
Das Gute an Melles Stück über die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst im Zeitalter von Identitäts-, Geschlechter- und neuer rechter Politik ist, dass es nicht nur kluge Fragen zur richtigen Zeit stellt. Sondern dass es dabei auch das eigene Metier mit seinen (neuen Spiel- und Denkverboten) infrage stellt. [...]
"Ode" ist eine Ode an die Kunstfreiheit. An die Leidenschaft, das Uneindeutige, das Spiel. Eine zentrale Rolle nimmt dabei als Apologet der Ambivalenz der Künstler Orlando ein (nomen est omen), für dessen Wut- und Glutreden Manuel Harder eine gute Energie mitbringt. [...]
In einer Schlüsselszene schrubbt Manuel Harder als "migrantische Putzkraft" den Boden. Woraufhin die famose Katrin Wichmann ihn anblafft, er könne nicht so tun, als sei er eine Reinigungskraft und deren Schicksal nachempfinden wollen. Ab jetzt dürfe er nur noch von sich erzählen, "nie von anderen unter dir". Der anschließende Disput der beiden [...] bringt die aktuelle Repräsentationsdebatte in der Kunst buchstäblich in einem Aufwasch zum Funkeln.
Zwei Stunden lang wäscht Melle seinem Milieu den Kopf. Erstattet Anzeige gegen dessen moralpolitische Scheinheiligkeit und die verlorengegangene Übereinstimmung darüber, dass zur Kunst das Ambivalente gehört, die Lust, das Pathos, der glückliche Schmerz – "krank zu sein, aber nie gekränkt". Es bleibt bis zum Schlussmonolog ein gedankenreiches [...] Stück Kunstaktivismus, dem man durchaus mit innerer Bewegung folgt. Und dann tritt Alexander Khuon an die Rampe, um im lyrischen Ton noch einmal kraftvoll zusammenzufassen, worum es geht: um die Kunst als große uneinheitliche Einheit, die rettende Kraft, „an unserer Seite ein anderes Sein“.
Ein Archiv der Zukunft aus tieferen Schichten, das "stets zur Stelle ist, wo wir an einsamen Orten warten", nie letztlich zu begründen, immer offen, immer seltsam. "Es lebe die Kunst": Diese letzten Worte vor dem Dunkel, zigfach gehört, zigfach vergessen – hier hallen sie nach, hier stiften sie an. Es liegt was in der Luft an diesem Theaterabend. Etwas Unbedingtes, eine Sehnsucht nach Freiheit. Ein Fenster-auf-Gefühl. Plötzliche Windströmung durchs stickige Zimmer, in dem die Diskurswächter sitzen und auf ihren Fingernägeln kauen. Ein bisschen Weltbilderschütterung. [...]
Zwei Stunden lang wäscht Melle seinem Milieu den Kopf. Erstattet Anzeige gegen dessen moralpolitische Scheinheiligkeit und die verlorengegangene Übereinstimmung darüber, dass zur Kunst das Ambivalente gehört, die Lust, das Pathos, der glückliche Schmerz – "krank zu sein, aber nie gekränkt". Es bleibt bis zum Schlussmonolog ein gedankenreiches [...] Stück Kunstaktivismus, dem man durchaus mit innerer Bewegung folgt. Und dann tritt Alexander Khuon an die Rampe, um im lyrischen Ton noch einmal kraftvoll zusammenzufassen, worum es geht: um die Kunst als große uneinheitliche Einheit, die rettende Kraft, „an unserer Seite ein anderes Sein“.
Ein Archiv der Zukunft aus tieferen Schichten, das "stets zur Stelle ist, wo wir an einsamen Orten warten", nie letztlich zu begründen, immer offen, immer seltsam. "Es lebe die Kunst": Diese letzten Worte vor dem Dunkel, zigfach gehört, zigfach vergessen – hier hallen sie nach, hier stiften sie an.
Der von Khuon gesprochene Schlussmonolog ist jedenfalls derart gelungen, dass ihn jeder, der sich in diesen Tagen einmal ernsthaft die Frage nach der Kunst und dem Poetischen gestellt hat, zur Kenntnis nehmen sollte. Sinnlich wird die Bedeutung des Verlusts fassbar. Und zugleich wirkt er wie ein Anreiz, sich einer Lösung der vorgeführten tragischen Konstellation zu verschreiben, die doch eine Beziehung zum Schönen und Wahren unterhält.
[...]
Melle hat ein mit Geistesgeschichte angefütterten Text geschrieben, in dem keine Charaktere aufeinandertreffen, sondern Prinzipien, die schlaglichtartig gegeneinandergestellt werden. Es ist das mediale Stimmengewirr unserer aufgeregten Gesellschaft, dem Melle seine existenzielle Haltung für die Kunst entgegensetzt.
[...]
Lilja Rupprecht verlegt das Stück in einen Kunstraum, einen weißen leeren Halbkreis. Die Spielerinnen und Spieler, darunter auch Juliana Götze und Jonas Sippel vom inklusiven Ramba-Zamba-Theater, entwickeln sich im Laufe des Abends zu immer eleganteren Nationalisten – bis sie in Schwarz-Rot-Gold die Deutschlandflagge hereintragen, als die Diktatur durchgesetzt ist. Thomas Melle hat mit "Ode" ein Stück geschrieben, in der die Kunstfreiheit von allen Seiten agitiert wird. Von rechts gibt es die Forderung nach Nationalkultur, Brauchtum, Verständlichkeit. Von der linken Seite die Frage nach Repräsentation [...] Hier also das Biedermeier der nationalen Rechten – dort der ideologische Moralismus der neuen Linken.
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Melle hat ein mit Geistesgeschichte angefütterten Text geschrieben, in dem keine Charaktere aufeinandertreffen, sondern Prinzipien, die schlaglichtartig gegeneinandergestellt werden. Es ist das mediale Stimmengewirr unserer aufgeregten Gesellschaft, dem Melle seine existenzielle Haltung für die Kunst entgegensetzt.
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Lilja Rupprecht verlegt das Stück in einen Kunstraum, einen weißen leeren Halbkreis. Die Spielerinnen und Spieler, darunter auch Juliana Götze und Jonas Sippel vom inklusiven Ramba-Zamba-Theater, entwickeln sich im Laufe des Abends zu immer eleganteren Nationalisten – bis sie in Schwarz-Rot-Gold die Deutschlandflagge hereintragen, als die Diktatur durchgesetzt ist.
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Die Stärke des Texts liegt in seiner Freiheit, Anlauf zu nehmen zu battlerap-artigen Passagen, in denen aller Konflikt im Sound geballt ist. In denen in alle Richtungen ausgeteilt wird, an die "transnationalen Gauleiternazis", die "youtubeverblödeten Neoneunazis", an die "selbstgerechten Dümmlichkeitstwitterer", die "durchfinanzierten Arztsohnsektrinker", die "laberverblödeten Kulturvollzeitstädter", und Melle disst sich en passant auch selbst, wenn er die metafiktiven Krankheitsvermarkter in die Liste aufnimmt.
[...]
Melle lässt offen, ob es zu spät ist. Er will natürlich kein Lehrstück geschrieben haben. Und Lilja Rupprechts offene und genaue Inszenierung sorgt dafür, dass es auch wirklich keines ist. Irgendwie schaffen es die vier DT-und die beiden RambaZamba Spieler*innen zusammen mit dem Live-Musiker Philipp Rohmer, die Grundstimmung dem mäandernden Charakter des Stücktexts zum Trotz elektrisch aufzuladen. Der Abend hat Tempo und aufgekratzte Momente, aber Szenen und Übergänge sind präzise getaktet, und einzelne Passagen aus Melles Text werden mit Ruhe und Konzentration zum Leben erweckt.
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Die Stärke des Texts liegt in seiner Freiheit, Anlauf zu nehmen zu battlerap-artigen Passagen, in denen aller Konflikt im Sound geballt ist. In denen in alle Richtungen ausgeteilt wird, an die "transnationalen Gauleiternazis", die "youtubeverblödeten Neoneunazis", an die "selbstgerechten Dümmlichkeitstwitterer", die "durchfinanzierten Arztsohnsektrinker", die "laberverblödeten Kulturvollzeitstädter", und Melle disst sich en passant auch selbst, wenn er die metafiktiven Krankheitsvermarkter in die Liste aufnimmt.
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Melle lässt offen, ob es zu spät ist. Er will natürlich kein Lehrstück geschrieben haben. Und Lilja Rupprechts offene und genaue Inszenierung sorgt dafür, dass es auch wirklich keines ist.