Lange Nacht der Autor:innen

Drei neue Stücke am Stück
Dem Marder die Taube / Gaia am Deutschen Theater (GÖ) / Verführung
von Caren Jeß, Nele Stuhler und Lukas Bärfuss

Dem Marder die Taube

von Caren Jeß

"Ich habe jemanden kennengelernt", erzählt Erike ihren Eltern. Sie meint damit keinen Mann, sondern eine Frau, die sie später ihre "Schwester" nennen wird, obwohl die deutlich ältere Theta einer anderen Generation angehört. Ihr Kontakt kommt durch eine Annonce zustande: "Nylonstrümpfe gesucht!" Und Erike hat Unmengen davon abzugeben. Es ist der Beginn einer wundersamen Freundschaft zweier Frauen, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Theta, Berliner Museumskuratorin a. D., hat sich in die norddeutsche Provinz zurückgezogen, um ihre Zeit mit Taubenzucht zu verbringen; Erike, die junge Elmshornerin, die angeblich als Pflegerin arbeitet, hat keine Ambitionen auf die große weite Welt. Tastend kommen die beiden sich näher, ohne dass die Fremdheit zwischen ihnen verschwindet.

Mit einem scharfen Blick für das Brüchige und Prekäre ihrer Annäherung erzählt Caren Jeß die Geschichte einer Frauenfreundschaft. Wer der Marder unter den Figuren ist und wer die Taube, wer Täter, wer Opfer – auf diese Fragen gibt das Stück keine simple allegorische Antwort. Es ist das Vexierspiel einer ungewissen Wirklichkeit zwischen Sprachschichten und verschobenen Ebenen. Und das scheinbar überschaubare Elmshorn wird darin zum "Uncanny Valley".

Entstanden im Rahmen des Berliner Ensemble-Dramatiker:innen-Fonds, unterstützt durch die Heinz und Heide Dürr Stiftung.
Bühnenbild Katja Haß
Kostüme Sigi Colpe
Licht Robert Grauel
Dramaturgie John von Düffel

Gaia am Deutschen Theater (GÖ)

von Nele Stuhler

Die Welt ist ausgebeutet und die Menschheit ausgestorben. Bloß im Deutschen Theater haben die Leute das nicht mitbekommen. Dort wurden Ensemble, Mitarbeiter:innen und Jugendclub aus Versehen verschont. Da muss die Weltenschöpferin Gaia nochmal ran, um sie abzuschaffen, endgültig.

Auf ein letztes Spiel lässt sich die Göttin aber ein mit den Menschen. Ein Lehrstück über ihre gesamte Schöpfung soll auf die Bühne kommen, als Chance für die Menschheit, sich vielleicht doch noch zu bessern oder zumindest das eigene Ende einzusehen. Und so spielt Gaia auf zum großen Welttheater. Denn: Wo ließe sich besser über Anfang und Neu-Anfang verhandeln als auf den Brettern, die die Welt bedeuten?

Nele Stuhler hat sich im Rahmen der Autor:innentheatertage mehrfach mit dem Gaia-Mythos beschäftigt. In den vergangenen Jahren ist die Weltschöpferin zur Haus- und Hofgöttin geworden: Die ersten beiden Teile von Nele Stuhlers Gaia-Trilogie, Gaia googelt nicht und Gaia rettet die Welt, waren im Deutschen Theater, in den Kammerspielen und Open Air zu sehen. Für die Autor:innen­ theatertage 2023 kommt die Trilogie mit Schauspieler:innen aus dem DT-Ensemble und dem Jungen DT zu ihrem Abschluss.
Licht Robert Grauel
Dramaturgische Begleitung Junges DT Maura Meyer

Verführung

von Lukas Bärfuss

Hauke Born, ein Heiratsschwindler und Hochstapler, sitzt in einem trostlosen Zimmer. Er trägt eine Fußfessel. Nach sechs Jahren Gefängnis soll er sich wieder in die Gesellschaft integrieren. Seine Therapeutin Tania begleitet ihn seit Jahren auf seinem Weg zurück in die Freiheit. Er hat es fast geschafft, als sich Sonja Schwarz zu einem Besuch anmeldet. Sie behauptet, seine Tochter zu sein. Hauke ist überrascht und skeptisch. Die zwei treffen sich und nähern sich an. Sucht Sonja einen Vater? Braucht Hauke die Tochter? Und interessieren diese vielleicht nur die sieben Millionen, von denen niemand weiß, wo sie abgeblieben sind.

Hauke behauptet, sie nicht mehr zu besitzen. Es war schmutziges Geld. Denn die Frau, von der er das Geld ergaunert hat, ist eine reiche Industriellenerbin und deren Familie wurde mit Hilfe von polnischen und jüdischen Zwangsarbeiter:innen in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts reich.
Lukas Bärfuss widmet sich in seinem Stück der Kunst der Verführung. Wer will verführt werden? Wer lässt sich verführen? Spielen politische, amouröse, finanzielle oder moralische Motive eine Rolle? Und werden schreckliche menschliche Schicksale nur benutzt und verkommen zu Anekdoten, wenn die Zeitzeugen nicht mehr selbst zu Wort kommen können?
Kostüme Fruzsina Nagy
Licht Robert Grauel
Dramaturgie Juliane Koepp
Lange Nacht der Autor:innen
30. April 2023

Weitere Termine:
13. und 27. Mai; 10. und 24. Juni

Dauer: ca. 4 Stunden, 50 Minten inkl. zwei Pausen
Paul Grill
Linn Reusse
Anja Schneider
Sidney Fahlisch
Ananda Luna Cruz Grünbauer
Elias Arens
Harald Baumgartner
Maren Eggert
Lorena Handschin
Lisa Hrdina
Bernd Moss
Linda Pöppel
Caner Sunar
Lilli Dezius
Jurek Lane Mio Südhoff
Marlene Engberding
Joséphine Lou Falkenstein
Malia Kassin
Samuel WieseLive-Musik
Ulrich Matthes
Birgit Unterweger
Julia Windischbauer
Tamás MatkóLive-Musik

Dem Marder die Taube

Paul Grill, Linn Reusse, Anja Schneider, Sidney Fahlisch, Ananda Luna Cruz Grünbauer

Gaia am Deutschen Theater (GÖ)

Elias Arens, Harald Baumgartner, Maren Eggert, Lorena Handschin, Lisa Hrdina, Bernd Moss, Linda Pöppel, Caner Sunar, Lilli Dezius, Jurek Lane Mio Südhoff, Marlene Engberding, Joséphine Lou Falkenstein, Malia Kassin
Live-Musik

Verführung

Live-Musik
Berliner Zeitung
Doris Meierhenrich, 02.05.2023
Stephan Kimmig hat mit dem fantastischen Paul Grill als eigenbrötlerischer Stadtbeobachter, Anja Schneider als überspannte Aussteigerin und Linn Reusse als nette Nachbarin mit schizophrener Schlagseite das subtil erdige dieses artistischen Kipptextes gut inszeniert. […] Ähnlich wie Caren Jeß begibt sich Lukas Bärfuss in seinem Stück "Verführung" auf das dünne Eis eines psychologischen Fangspiels, das einerseits die Doppelbödigkeiten eines sich gegenseitig manipulierenden Dreiergespanns ausmisst; charismatisch besetzt mit Ulrich Matthes als Heiratsschwindler Hauke in Haft, Birgit Unterweger als dessen Therapeutin und Julia Windischbauer als plötzlich auftauchender Tochter. Stephan Kimmig hat mit dem fantastischen Paul Grill als eigenbrötlerischer Stadtbeobachter, Anja Schneider als überspannte Aussteigerin und Linn Reusse als nette Nachbarin mit schizophrener Schlagseite das subtil erdige dieses artistischen Kipptextes gut inszeniert. […] Ähnlich wie Caren Jeß begibt sich Lukas Bärfuss in seinem Stück "Verführung" auf das dünne Eis eines psychologischen Fangspiels, das einerseits die Doppelbödigkeiten eines sich gegenseitig manipulierenden Dreiergespanns ausmisst; charismatisch besetzt mit Ulrich Matthes als Heiratsschwindler Hauke in Haft, Birgit Unterweger als dessen Therapeutin und Julia Windischbauer als plötzlich auftauchender Tochter.
der Freitag
Elena Philipp, 11.05.2023
In Nele Stuhlers "Gaia am Deutschen Theater (GÖ)" führt sich der Betrieb in schönster Lächerlichkeit selbst vor. "Was? Wir machen einmal die Woche Nabelschau. Höchstens", verteidigt sich ein Dramaturg in einer Sitzung, in der alle in ihr Handy starren und sich in einem sinnlosen Dialog verirren. Herrlich komische Unterhaltung ist das, schauspielerisch ein Vergnügen und in der Inszenierung von Sarah Kurze ein (wenn auch überlanges) Feuerwerk an Einfallsreichtum. In Nele Stuhlers "Gaia am Deutschen Theater (GÖ)" führt sich der Betrieb in schönster Lächerlichkeit selbst vor. "Was? Wir machen einmal die Woche Nabelschau. Höchstens", verteidigt sich ein Dramaturg in einer Sitzung, in der alle in ihr Handy starren und sich in einem sinnlosen Dialog verirren. Herrlich komische Unterhaltung ist das, schauspielerisch ein Vergnügen und in der Inszenierung von Sarah Kurze ein (wenn auch überlanges) Feuerwerk an Einfallsreichtum.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Irene Bazinger, 10.05.2023
Dem Stück "Dem Marder die Taube" ist zu wünschen, dass es über die Uraufführung hinaus auf andere Bühnen gelangt. Caren Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, jongliert auf so amüsante wie irritierende Weise mit Biographien, Orten, Zeiten, Wahrheiten, Erfahrungen und bietet dafür Menschen, Tiere und eine fiktive Punkband auf. In Elmshorn nahe Hamburg entwickelt sich zwischen zwei sehr unterschiedlichen Frauen eine "Freundschaft mit Fragezeichen" (Jeß). Souverän und anrührend spielen Anja Schneider eine ehemalige Kuratorin, die sich im Ruhestand um Tauben kümmert, und Linn Reusse eine Krankenpflegerin, die bei ihren Eltern wohnt. Was davon stimmt, bleibt offen, sieht aber in der schwebend-schillernden Inszenierung von Stephan Kimmig und im futuristischen Bühnenbild von Katja Haß fabelhaft aus. Suggestiv heiter kommentiert Paul Grill als Herr R. aus einer Art Verkehrskanzel heraus das Geschehen, das nicht zu begreifen ist, sondern nur anzuschauen. Dem Stück "Dem Marder die Taube" ist zu wünschen, dass es über die Uraufführung hinaus auf andere Bühnen gelangt. Caren Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, jongliert auf so amüsante wie irritierende Weise mit Biographien, Orten, Zeiten, Wahrheiten, Erfahrungen und bietet dafür Menschen, Tiere und eine fiktive Punkband auf. In Elmshorn nahe Hamburg entwickelt sich zwischen zwei sehr unterschiedlichen Frauen eine "Freundschaft mit Fragezeichen" (Jeß). Souverän und anrührend spielen Anja Schneider eine ehemalige Kuratorin, die sich im Ruhestand um Tauben kümmert, und Linn Reusse eine Krankenpflegerin, die bei ihren Eltern wohnt. Was davon stimmt, bleibt offen, sieht aber in der schwebend-schillernden Inszenierung von Stephan Kimmig und im futuristischen Bühnenbild von Katja Haß fabelhaft aus. Suggestiv heiter kommentiert Paul Grill als Herr R. aus einer Art Verkehrskanzel heraus das Geschehen, das nicht zu begreifen ist, sondern nur anzuschauen.
Berliner Morgenpost
Elena Philipp, 02.05.2023
Sechs Stunden reine Gegenwart. […] Drei sehr unterschiedliche Handschriften sind zu erleben. Das bereitet Spaß an dieser mit sechs Stunden (inklusive ausgedehnter Pausen) wirklich sehr langen Nacht. Wer sie körperlich durchsteht, bekommt einen guten Eindruck von der Spannbreite der Formen in der zeitgenössischen Dramatik. Sechs Stunden reine Gegenwart. […] Drei sehr unterschiedliche Handschriften sind zu erleben. Das bereitet Spaß an dieser mit sechs Stunden (inklusive ausgedehnter Pausen) wirklich sehr langen Nacht. Wer sie körperlich durchsteht, bekommt einen guten Eindruck von der Spannbreite der Formen in der zeitgenössischen Dramatik.
nachtkritik.de
Elena Philipp, 01.05.2023
Maren Eggert gibt die in elegantes Giftgrün gewandete Göttin mit Grandezza. Jeß' Text kantet die unterschiedlichsten Sprachvarietäten und Assoziationsebenen ineinander. Die Autorinnenstimme bleibt in "Dem Marder die Taube" kommentierend stets vernehmbar, nicht nur durch die Erzählerfigur, sondern in der Machart des Textes. Ihre Einmischungen reichen von lustig […] bis widerwärtig. […] Das macht nicht immer Spaß zu hören, aber es ist ein eigener, markanter Sound mit einem ganz eigenen Weltzugang. […]
Nele Stuhlers Text ["Gaia am Deutschen Theater (GÖ)] ist ein zum Stück ausgedehnter Dernierenspaß. […] Maren Eggert gibt die in elegantes Giftgrün gewandete Göttin mit Grandezza. […] Nele Stuhler zitiert in ihrem überbordenden Text frisch, frei, fröhlich aus dem Kanon. Mal klingt das nach Jelinek, dann gibt es eine Szene mit Büchner-Anklang oder im "Jedermann"-Reim. Und die Theater-Debatten der letzten Jahre finden ihren Niederschlag. […]
Wohltuend klar ist […] Lukas Bärfuss' "Verführung", ein geradezu konventionelles Konversationsstück und ökonomisch erzähltes well made play, das immer noch eine überraschende Wendung in petto hat. […] Sorgfältige Zweier- und Dreieckskonstellationen baut András Dömötör für den weitgehend dialogischen Text. Stilvoll perlt die Piano-Begleitung von Tamás Matkó.
rbb Inforadio
Barbara Behrendt, 02.05.2023
"Verführung" hat die vielschichtigsten Figuren und stellt interessante Fragen: Wer betrügt wen? Wer ist Opfer? Warum lassen wir uns verführen, wenn wir es eigentlich besser wissen? Bei Nele Stuhlers Gaia-Stück, in dieser Komödie, sind nur ein paar Menschen der Apokalypse der Weltschöpferin Gaia entronnen, und zwar im Deutschen Theater Göttinen. Die Theaterleute wollen eine letzte Chance, bevor sie auch abgeschafft werden, Gaia willigt ein, ihnen beim Theaterspielen die Welt zu erklären. "Verführung" hat die vielschichtigsten Figuren und stellt interessante Fragen: Wer betrügt wen? Wer ist Opfer? Warum lassen wir uns verführen, wenn wir es eigentlich besser wissen? Bei Nele Stuhlers Gaia-Stück, in dieser Komödie, sind nur ein paar Menschen der Apokalypse der Weltschöpferin Gaia entronnen, und zwar im Deutschen Theater Göttinen. Die Theaterleute wollen eine letzte Chance, bevor sie auch abgeschafft werden, Gaia willigt ein, ihnen beim Theaterspielen die Welt zu erklären.
taz
Katja Kollmann, 02.05.23
Diese ersten Minuten mit ihrer leisen Komik werden zum Gradmesser für alles, was noch kommt. […] Das wirklich Verzaubernde aber ist die Alltagspoetik […] Was Caren Jeß' "Dem Marder die Taube" mit Stuhlers "Gaia am Deutschen Theater (Gö)" und Bärfuss' "Verführung" verbindet, […] liegt in der Dramaturgie. Alle drei Stücke sind bis zum Schluss nicht vorhersehbar. Das sorgt dafür, dass sich der Energiepegel […] bis um kurz nach Mitternacht auf gleichmäßig hohem Niveau einpendelt. Diese ersten Minuten mit ihrer leisen Komik werden zum Gradmesser für alles, was noch kommt. […] Das wirklich Verzaubernde aber ist die Alltagspoetik […] Was Caren Jeß' "Dem Marder die Taube" mit Stuhlers "Gaia am Deutschen Theater (Gö)" und Bärfuss' "Verführung" verbindet, […] liegt in der Dramaturgie. Alle drei Stücke sind bis zum Schluss nicht vorhersehbar. Das sorgt dafür, dass sich der Energiepegel […] bis um kurz nach Mitternacht auf gleichmäßig hohem Niveau einpendelt.
Theater heute
Christine Wahl, 01.06.2023
Das Ensemble wirft sich mit Verve ins eigenparodistische Geschehen, das Regisseurin Sarah Kurze mit großem Ausstattungsaufwand und viel inszenatorischem Budenzauber auf die Bretter gewuchtet hat.
Endlich kann man sich dem eigenen Nabel noch unbehelligter widmen! Tatsächlich gelingen Stuhler ein paar witzige Beobachtungen und Spitzen gegen den innerbetrieblichen Hang zur Selbstbespiegelung. Und das Ensemble – allen voran Lisa Hrdina als Intendantin, die der Göttin mit mephistophelischen Augenbrauen und ebensolcher Rhetorik eine Art faustischen Überlebensdeal abtrotzt – wirft sich mit Verve ins eigenparodistische Geschehen, das Regisseurin Sarah Kurze mit großem Ausstattungsaufwand und viel inszenatorischem Budenzauber auf die Bretter gewuchtet hat.

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Außerdem im Spielplan

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Weltall Erde Mensch

Eine unwahrscheinliche Reise von Alexander Eisenach und Ensemble
Regie: Alexander Eisenach
DT Bühne
19.00 - 22.40
BERLIN-PREMIERE
Mit englischen Übertiteln
Anti-Stück von Eugène Ionesco
Regie: Anita Vulesica
anschließend Premierenparty in der Bar
Kammer
19.30 - 21.15
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse