Die Glasmenagerie

von Tennessee Williams
Bühne Katja Haß
Kostüme Anja Rabes
Licht Robert Grauel
Dramaturgie Ulrich Beck
Premiere am 16. Dezember 2016, Deutsches Theater
Dauer: 2 Stunden, 35 Minuten
Anja SchneiderAmanda Wingfield
Linn ReusseLaura Wingfield
Marcel KohlerTom Wingfield
Holger StockhausJim O’Connor
Amanda Wingfield
Laura Wingfield
Tom Wingfield
Jim O’Connor
Süddeutsche Zeitung
Christine Dössel, 28.12.2016
Mit Interpretationen, Aktualisierungen und Erklärungen hält sich der Regisseur zurück. Vielmehr setzt er auf Atmosphärisches, auf Stimmungen und Schwingungen – und auf das formidable Schauspieler-Quartett, das aus diesem unspektakulären, stellenweise etwas öden Familiendrama einen sehenswerten Theaterabend macht. [...]
Anja Schneider (vormals Protagonistin bei Armin Petras am Berliner Gorki-Theater und am Schauspiel Stuttgart, nun neu im DT-Ensemble) ist eine Schau in dieser Rolle: hochtourige Dampfwalze, Nervensäge und Ever-young-Blondine in dauerplappernder Übergriffigkeit. Kindisch, komisch, kokett bis an die Grenze zur Überzogenheit oder besser: Überlebensübermütigkeit – aber doch auch durchlässig für den Schmerz, die Sorge, die Einsamkeit dieser Frau. [...]
Die Außenseiterin Laura, ein Mädchen mit dicken Brillengläsern, Schlabberlook und der Unschulds-Aura von Björk in Lars von Triers Film "Dancer in the Dark", hat einen eigenen Nähmaschinenplatz rechts an der Wand. Wenn sie alleine ist, legt sie eine Schallplatte aus Papas zurückgelassener Sammlung auf – die gut ausgewählten Songs sind aus Kimmigs eigener Playlist –, und dann tanzt sie. Und wie sie tanzt! So wunderbar linkisch-erotisch-exzentrisch und ganz und gar bei sich, dass Linn Reusse dafür Szenenapplaus bekommt. Ohnehin ist es faszinierend, ihrer Laura zuzusehen: wie sie buchstäblich ihr eigenes Ding macht. [...]
Fast boulevardesk komisch und slapstick-grell wird es nach der Pause, wenn Tom seinen Arbeitskollegen Jim O'Connor als möglichen Bräutigam für Laura mit nach Hause bringt. Herrlich die Aufregung der Mutter, die sich in lächerlicher Jungmädchen-Aufmachung dem Mann an den Hals wirft! Und es ist von zarter Komik, wie Laura sich vor diesem Jim nach und nach ihrer Scheu und ihres Fummels entkleidet. Holger Stockhaus ist aber auch ein Charmebolzen erster Güte, ein Typ mit ansteckender Zukunftszuversicht, und ein grandioser Entertainer ist er noch dazu. Wie er Laura in pantomimisch-sängerischer A-cappella-Bestform ein ganzes Jazzkonzert vorjammt, ist zum Niederknien.
Mit Interpretationen, Aktualisierungen und Erklärungen hält sich der Regisseur zurück. Vielmehr setzt er auf Atmosphärisches, auf Stimmungen und Schwingungen – und auf das formidable Schauspieler-Quartett, das aus diesem unspektakulären, stellenweise etwas öden Familiendrama einen sehenswerten Theaterabend macht. [...]
Anja Schneider (vormals Protagonistin bei Armin Petras am Berliner Gorki-Theater und am Schauspiel Stuttgart, nun neu im DT-Ensemble) ist eine Schau in dieser Rolle: hochtourige Dampfwalze, Nervensäge und Ever-young-Blondine in dauerplappernder Übergriffigkeit. Kindisch, komisch, kokett bis an die Grenze zur Überzogenheit oder besser: Überlebensübermütigkeit – aber doch auch durchlässig für den Schmerz, die Sorge, die Einsamkeit dieser Frau. [...]
Die Außenseiterin Laura, ein Mädchen mit dicken Brillengläsern, Schlabberlook und der Unschulds-Aura von Björk in Lars von Triers Film "Dancer in the Dark", hat einen eigenen Nähmaschinenplatz rechts an der Wand. Wenn sie alleine ist, legt sie eine Schallplatte aus Papas zurückgelassener Sammlung auf – die gut ausgewählten Songs sind aus Kimmigs eigener Playlist –, und dann tanzt sie. Und wie sie tanzt! So wunderbar linkisch-erotisch-exzentrisch und ganz und gar bei sich, dass Linn Reusse dafür Szenenapplaus bekommt. Ohnehin ist es faszinierend, ihrer Laura zuzusehen: wie sie buchstäblich ihr eigenes Ding macht. [...]
Fast boulevardesk komisch und slapstick-grell wird es nach der Pause, wenn Tom seinen Arbeitskollegen Jim O'Connor als möglichen Bräutigam für Laura mit nach Hause bringt. Herrlich die Aufregung der Mutter, die sich in lächerlicher Jungmädchen-Aufmachung dem Mann an den Hals wirft! Und es ist von zarter Komik, wie Laura sich vor diesem Jim nach und nach ihrer Scheu und ihres Fummels entkleidet. Holger Stockhaus ist aber auch ein Charmebolzen erster Güte, ein Typ mit ansteckender Zukunftszuversicht, und ein grandioser Entertainer ist er noch dazu. Wie er Laura in pantomimisch-sängerischer A-cappella-Bestform ein ganzes Jazzkonzert vorjammt, ist zum Niederknien.
Theater heute
Barbara Burckhardt, 01.02.2017
Well-made plays, mal laut, mal leise: In Berlin inszeniert am Deutschen Theater Stephan Kimmig Tennessee Williams' "Glasmenagerie".

Von Träumern, die sich mit Ersatzglückseligkeiten die Tristesse der Realität vom Leibe halten, erzählte 1944 Tennessee Williams in seinem biografienahen Debütstück aus einem St. Louis der späteren 30er Jahre. Amanda Wingfield, deren Mann sich vor langer Zeit aus dem Staub gemacht hat, lebt mit ihren erwachsenen Kindern Tom und Laura in ärmlichen Verhältnissen. [...]

Das Kammerspiel spielt hier auf großer Bühne, von Katja Haß weit entfernt vom prekären Wohnumfeld der Wingfields in einen Riesensymbolraum gepackt, ein fensterloses, mehrstufiges Zwischenreich aus Schneiderei, Fabrikhalle und Wohnzimmer mit grün oxydierten Wänden. [...]

Anja Schneider füllt den Raum mühelos als hysterische Drama Queen, dauerhochtourig und getrieben von der Angst: "Wie sieht die Zukunft aus?" Sohn Tom findet Genießen schwierig bei gefühlten 400 Anweisungen wie es zu schmecken hat. Der Tochter reißt die Mum die dicke Brille von der Nase und predigt Kompensation der Behinderung durch Charme. Den wohlbekannten Nervfaktor hyperaktiver Wohlmein-Mütter treibt Schneider in die schrille Karikatur einer aufgedrehten Sitcom. Marcel Kohlers Tom immerhin gibt ihr Contra mit abrupt heftigen Bewegungen der langen Gliedmaßen, weit aufgerissenen Augen, flatternden Händen und sich überschlagenden Worten, während Linn Reusses Laura sich ungelenke Tanzmoves zum Sound vom Plattenspieler abseilt oder ihre beiden Trosthühner (lebend!) aus dem Käfig hervorholt und mit dem Vaterfoto ins Gespräch bringt. [...]

Und Laura tanzt. Für sie wird es zwar kein Happy End geben, für diese Kímmig-Inszenierung aber schon.
Well-made plays, mal laut, mal leise: In Berlin inszeniert am Deutschen Theater Stephan Kimmig Tennessee Williams' "Glasmenagerie".

Von Träumern, die sich mit Ersatzglückseligkeiten die Tristesse der Realität vom Leibe halten, erzählte 1944 Tennessee Williams in seinem biografienahen Debütstück aus einem St. Louis der späteren 30er Jahre. Amanda Wingfield, deren Mann sich vor langer Zeit aus dem Staub gemacht hat, lebt mit ihren erwachsenen Kindern Tom und Laura in ärmlichen Verhältnissen. [...]

Das Kammerspiel spielt hier auf großer Bühne, von Katja Haß weit entfernt vom prekären Wohnumfeld der Wingfields in einen Riesensymbolraum gepackt, ein fensterloses, mehrstufiges Zwischenreich aus Schneiderei, Fabrikhalle und Wohnzimmer mit grün oxydierten Wänden. [...]

Anja Schneider füllt den Raum mühelos als hysterische Drama Queen, dauerhochtourig und getrieben von der Angst: "Wie sieht die Zukunft aus?" Sohn Tom findet Genießen schwierig bei gefühlten 400 Anweisungen wie es zu schmecken hat. Der Tochter reißt die Mum die dicke Brille von der Nase und predigt Kompensation der Behinderung durch Charme. Den wohlbekannten Nervfaktor hyperaktiver Wohlmein-Mütter treibt Schneider in die schrille Karikatur einer aufgedrehten Sitcom. Marcel Kohlers Tom immerhin gibt ihr Contra mit abrupt heftigen Bewegungen der langen Gliedmaßen, weit aufgerissenen Augen, flatternden Händen und sich überschlagenden Worten, während Linn Reusses Laura sich ungelenke Tanzmoves zum Sound vom Plattenspieler abseilt oder ihre beiden Trosthühner (lebend!) aus dem Käfig hervorholt und mit dem Vaterfoto ins Gespräch bringt. [...]

Und Laura tanzt. Für sie wird es zwar kein Happy End geben, für diese Kímmig-Inszenierung aber schon.
neues deutschland
Hans-Dieter Schütt, 10.02.2017
Ach, diese Laura mit dem großen Walfisch auf dem T-Shirt: Sie weiß ja nicht mal, wovon sie träumen soll. Linn Reusse spielt dieses Wesen, hornbrillengezeichnet, als jüngferlich Umschattete; ihre jungen Schultern schon so stumpf. Spielt's mit einer so zart wie klobig um Schutz flehenden Zurückgezogenheit – die findet sie bei der Glasmenagerie und bei Musik von zerkratzten Schallplatten. Ein Schulmädchenreport der traurigsten Art.

Als Mutter: Anja Schneider. Eine starke, bezwingende Schauspielerin aus dem Grenzland von Kühle und Schmiegsamkeit, von Entrückung und Erdung, von Weichheit und forscher Schärfe. Ihre Amanda leugnet all diese miesen Wirklichkeiten mit drahtigen Frohsinn und fürsorglichem Erziehungszorn. Die Schneider ist großartig! Eine All-American Mom, die ihre Kinder ins Bessere, Tüchtigere, Erfolgreichere treiben möchte. [...]

Der brilliante Slapsticker Holger Stockhaus erspielt dem Abend – als plötzlich auftauchender junger fremder Jim, ein Galan der laxen Kaugummikultur – einen schmerzend bösen, erschütternd, schäbigen Erniedrigungsmoment: als er nämlich die verhemmte Laura tanzend und kussnah in den Rausch halb nackter Erwartung versetzt – um sie dann stehen zu lassen in ihrer peinigenden Scham. "When you collapse" dröhnt's vom Plattenspieler [...]

Marcel Kohler gibt den Tom als einen Jungen, der etwas verwundert in seinem schlaksigen Körper steckt und sich in der tollkühnsten Existenzthese in den Horizonte-Rachen wirft. [...]

Was sich in dieser Aufführung abspielt, ist Einübung in ein Dasein, das sich um seine eigene Zeit betrügt. Kimmig inszenierte das ergreifend. Hier wird nicht mit dem Stück, sondern miteinander gespielt. Es gilt das Zueinander, und so kommt es zu – Beziehungen. Ins Gehäuse der Inszenierung wurden kleine Trennwände ironischer Herablassung zementiert. An Rührszenen wird nichts gerührt, sie dürfen (großenteils) so sein, wie sie sind, und damit bewahrheitet sich Adorno: Kunst entsteht dort, wo sie an gefährdeten Stellen Glück hat. [...]

Die Gestalten – nein – man darf schon sagen: die Menschen – des Stücks wirken eine Spur ärmer, verkrüppelter, verzweiflungskesser, als sie Williams schuf. Weil sie nicht nur von ihm, sondern auch von der Regie geliebt werden. Die Kraft der verdoppelten Schmerzen. Ganz einfach. Liebe, die nicht besser weiß. Aber die weiß. Die weiß, was Menschen in der Welt hält: die Gewissheit nämlich, dass Gott immer wieder Gründe zum zeitweiligen Aufatmen gibt. Denn auch ein Folterer braucht mal freie Stunden.
Ach, diese Laura mit dem großen Walfisch auf dem T-Shirt: Sie weiß ja nicht mal, wovon sie träumen soll. Linn Reusse spielt dieses Wesen, hornbrillengezeichnet, als jüngferlich Umschattete; ihre jungen Schultern schon so stumpf. Spielt's mit einer so zart wie klobig um Schutz flehenden Zurückgezogenheit – die findet sie bei der Glasmenagerie und bei Musik von zerkratzten Schallplatten. Ein Schulmädchenreport der traurigsten Art.

Als Mutter: Anja Schneider. Eine starke, bezwingende Schauspielerin aus dem Grenzland von Kühle und Schmiegsamkeit, von Entrückung und Erdung, von Weichheit und forscher Schärfe. Ihre Amanda leugnet all diese miesen Wirklichkeiten mit drahtigen Frohsinn und fürsorglichem Erziehungszorn. Die Schneider ist großartig! Eine All-American Mom, die ihre Kinder ins Bessere, Tüchtigere, Erfolgreichere treiben möchte. [...]

Der brilliante Slapsticker Holger Stockhaus erspielt dem Abend – als plötzlich auftauchender junger fremder Jim, ein Galan der laxen Kaugummikultur – einen schmerzend bösen, erschütternd, schäbigen Erniedrigungsmoment: als er nämlich die verhemmte Laura tanzend und kussnah in den Rausch halb nackter Erwartung versetzt – um sie dann stehen zu lassen in ihrer peinigenden Scham. "When you collapse" dröhnt's vom Plattenspieler [...]

Marcel Kohler gibt den Tom als einen Jungen, der etwas verwundert in seinem schlaksigen Körper steckt und sich in der tollkühnsten Existenzthese in den Horizonte-Rachen wirft. [...]

Was sich in dieser Aufführung abspielt, ist Einübung in ein Dasein, das sich um seine eigene Zeit betrügt. Kimmig inszenierte das ergreifend. Hier wird nicht mit dem Stück, sondern miteinander gespielt. Es gilt das Zueinander, und so kommt es zu – Beziehungen. Ins Gehäuse der Inszenierung wurden kleine Trennwände ironischer Herablassung zementiert. An Rührszenen wird nichts gerührt, sie dürfen (großenteils) so sein, wie sie sind, und damit bewahrheitet sich Adorno: Kunst entsteht dort, wo sie an gefährdeten Stellen Glück hat. [...]

Die Gestalten – nein – man darf schon sagen: die Menschen – des Stücks wirken eine Spur ärmer, verkrüppelter, verzweiflungskesser, als sie Williams schuf. Weil sie nicht nur von ihm, sondern auch von der Regie geliebt werden. Die Kraft der verdoppelten Schmerzen. Ganz einfach. Liebe, die nicht besser weiß. Aber die weiß. Die weiß, was Menschen in der Welt hält: die Gewissheit nämlich, dass Gott immer wieder Gründe zum zeitweiligen Aufatmen gibt. Denn auch ein Folterer braucht mal freie Stunden.
Theater NETZ
Tobias Frühauf, 12.01.2018
Stephan Kimmig gelingt eine zeitlose Inszenierung von Williams Werk. Das stimmige Bühnenbild(Katja Haß) und die kalte Beleuchtung erzeugen bei dem anwesenden Publikum eine Atmosphäre der Perspektivlosigkeit. Eindrucksvoll ist der Beleuchtungswechsel von kalten Industrieleuchten und warmem Kerzenschein – ein verzerrter Spiegel der Stimmungen und Gefühlslage der Protagonisten. [...]

Der Einsatz von wohl ausgewählten Musiktiteln erzeugt einen dynamischen Szenenwechsel, der cineastisch, symbolistisch und zuweilen surreal anmutend ist und das innere Seelenleben der Akteure offenbart. Ferner tut es gut, dass Kimmig auf den Einsatz einer melodramatischen Stilistik verzichtet und stattdessen wohldosierte Komik einsetzt, die das Stück frisch und kurzweilig erscheinen lassen. [...]

Die Schauspieler bieten allesamt eine überzeugende Leistung an. Hervorzuheben ist Anja Schneider, im Stuttgarter Raum, ein nur allzu bekanntes Gesicht, als Amanda Wingfield, die permanent exzentrisch, nervtötend und lautstark ihre Kinder traktiert. Glaubhaft verkörpert sie eine innerlich zerrissene Frau, die jung geblieben ist, eigene Bedürfnisse und Verlangen unterdrückt, um sich völlig überfordert ihrer Mutterrolle hinzugeben und diese in ihren Augen zum Wohle ihrer Kinder ausfüllt. Marcel Kohler spielt Tom Wingfield als gelassenen Haudegen, der zudemals epische Instanz, retrospektiv die erzählte Handlung dokumentiert. Die insgesamt starke Leistung des Berliner Gastspiels wird mit wohlwollendem Applaus des Ludwigsburger Publikum honoriert.
Stephan Kimmig gelingt eine zeitlose Inszenierung von Williams Werk. Das stimmige Bühnenbild(Katja Haß) und die kalte Beleuchtung erzeugen bei dem anwesenden Publikum eine Atmosphäre der Perspektivlosigkeit. Eindrucksvoll ist der Beleuchtungswechsel von kalten Industrieleuchten und warmem Kerzenschein – ein verzerrter Spiegel der Stimmungen und Gefühlslage der Protagonisten. [...]

Der Einsatz von wohl ausgewählten Musiktiteln erzeugt einen dynamischen Szenenwechsel, der cineastisch, symbolistisch und zuweilen surreal anmutend ist und das innere Seelenleben der Akteure offenbart. Ferner tut es gut, dass Kimmig auf den Einsatz einer melodramatischen Stilistik verzichtet und stattdessen wohldosierte Komik einsetzt, die das Stück frisch und kurzweilig erscheinen lassen. [...]

Die Schauspieler bieten allesamt eine überzeugende Leistung an. Hervorzuheben ist Anja Schneider, im Stuttgarter Raum, ein nur allzu bekanntes Gesicht, als Amanda Wingfield, die permanent exzentrisch, nervtötend und lautstark ihre Kinder traktiert. Glaubhaft verkörpert sie eine innerlich zerrissene Frau, die jung geblieben ist, eigene Bedürfnisse und Verlangen unterdrückt, um sich völlig überfordert ihrer Mutterrolle hinzugeben und diese in ihren Augen zum Wohle ihrer Kinder ausfüllt. Marcel Kohler spielt Tom Wingfield als gelassenen Haudegen, der zudemals epische Instanz, retrospektiv die erzählte Handlung dokumentiert. Die insgesamt starke Leistung des Berliner Gastspiels wird mit wohlwollendem Applaus des Ludwigsburger Publikum honoriert.
Berliner Zeitung
Dirk Pilz, 19.12.2016
Williams wollte sein 1945 uraufgeführtes Stück "in der Sphäre der Erinnerung" gespielt sehen, man könne es so "unabhängig von aller Theaterkonvention" gestalten. Das nimmt Kimmig wörtlich: Er lässt seinen Schauspielern freie Improvisationshand, und sie nehmen das zum Anlass, sich von ihren Figuren überraschen zu lassen. Linn Reusse hat für ihre Laura zwei Hühner und viele Schallplatten; sie tanzt, sie spricht stumm mit sich selbst, schaut dem Huhn ins Auge, sitzt an der Nähmaschine in diesem fensterlosen, grau-grünen Wohnkeller – immer auf der Kante zwischen entrückt und verschroben. Marcel Kohler lässt seinen Tom dampfen, hüpfen, auch schreien, aber stets so, als wisse dieser Tom selbst am wenigsten, was er da tut. Und Anja Schneider stürzt sich zwar kopfüber in ihre Rolle, nie jedoch, ohne sich dabei über die Schulter zu schauen. Es sind diese schmalen Selbstdistanzen, die dem Abend seine Fallhöhe, seine Dramatik verleihen. Williams wollte sein 1945 uraufgeführtes Stück "in der Sphäre der Erinnerung" gespielt sehen, man könne es so "unabhängig von aller Theaterkonvention" gestalten. Das nimmt Kimmig wörtlich: Er lässt seinen Schauspielern freie Improvisationshand, und sie nehmen das zum Anlass, sich von ihren Figuren überraschen zu lassen. Linn Reusse hat für ihre Laura zwei Hühner und viele Schallplatten; sie tanzt, sie spricht stumm mit sich selbst, schaut dem Huhn ins Auge, sitzt an der Nähmaschine in diesem fensterlosen, grau-grünen Wohnkeller – immer auf der Kante zwischen entrückt und verschroben. Marcel Kohler lässt seinen Tom dampfen, hüpfen, auch schreien, aber stets so, als wisse dieser Tom selbst am wenigsten, was er da tut. Und Anja Schneider stürzt sich zwar kopfüber in ihre Rolle, nie jedoch, ohne sich dabei über die Schulter zu schauen. Es sind diese schmalen Selbstdistanzen, die dem Abend seine Fallhöhe, seine Dramatik verleihen.
Deutschlandradio Kultur
André Mumot, 19.12.2016
Die vier Schauspieler dieses Abends sind phänomenal in ihrem Zusammenspiel der Liebes- und der Hassgesten, der Berührungen, Abstoßungen, des völlig unverkrampften Miteinanders. Anja Schneider (als wurschtig verzweifelte, sehr junge, sehr erotisch aufgeladene Mutter) kämpft atemlos, zitternd, ungläubig um die Zukunft ihrer Familie, während Linn Reuse heimliche Tänze zu tränentreibenden Glanznummern macht, ohne je in triefiges Selbstmitleid abzusinken. Marcel Kohler schließlich macht die Frustration des Sohnes, der immer kurz vorm Aufbruch steht, zu einem vulkanischen Wut- und Liebesbeben von nie nachlassender Intensität. Die vier Schauspieler dieses Abends sind phänomenal in ihrem Zusammenspiel der Liebes- und der Hassgesten, der Berührungen, Abstoßungen, des völlig unverkrampften Miteinanders. Anja Schneider (als wurschtig verzweifelte, sehr junge, sehr erotisch aufgeladene Mutter) kämpft atemlos, zitternd, ungläubig um die Zukunft ihrer Familie, während Linn Reuse heimliche Tänze zu tränentreibenden Glanznummern macht, ohne je in triefiges Selbstmitleid abzusinken. Marcel Kohler schließlich macht die Frustration des Sohnes, der immer kurz vorm Aufbruch steht, zu einem vulkanischen Wut- und Liebesbeben von nie nachlassender Intensität.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Simon Strauss, 19.12.2016
Wenn so gespielt wird, wenn solche Funken schlagen, lohnt sich kein Seitenblick: Dann will man schauen, immer nur zuschauen, wie die Bühne zur Welt wird. Wie aus wenigen Worten große Träume werden und aus leeren Blicken Verurteilungen. Lass die anderen sich auf dem Heimweg versichern, heute sehe die Wirklichkeit ganz anders aus, sei viel zu kompliziert, als dass man sie noch in kleinen Glastierchen spiegeln könne. Sollen sie doch sagen, die Metaphern seien ihnen zu weich, die Sätze zu einfach - sie haben nichts verstanden. Denn um Wirklichkeit in einem empirischen Sinn ging es hier gerade nicht: Das Stück spiele in der Erinnerung, sei "sentimental, nicht realistisch", hatte Tom, der Erzähler, zu Beginn gesagt. Und damit das Publikum aufgefordert: Stellt eure inneren Uhren, euren Herzschlag auf einen anderen, feinfühligeren Rhythmus ein!
[...]
Was man an diesem Abend zu sehen bekommt, ist ein wahres Schauspielfest, bei dem die vier Darsteller alles zeigen können, was in ihnen steckt: Der Slapstick ist unterhaltsam, die Pointen sitzen, das Gefühl der Rührung setzt im richtigen Moment ein –was man sonst vor allem aus dem Kino kennt,das sinnübertragende, gefühlsanstiftende Spiel, hier findet es einmal wieder an seinem ursprünglichen Ort statt. Warum? Weil der Regisseur den Mut besitzt, die Zartheit des Stücks zart zu lassen und - die Traurigkeit traurig.
Wenn so gespielt wird, wenn solche Funken schlagen, lohnt sich kein Seitenblick: Dann will man schauen, immer nur zuschauen, wie die Bühne zur Welt wird. Wie aus wenigen Worten große Träume werden und aus leeren Blicken Verurteilungen. Lass die anderen sich auf dem Heimweg versichern, heute sehe die Wirklichkeit ganz anders aus, sei viel zu kompliziert, als dass man sie noch in kleinen Glastierchen spiegeln könne. Sollen sie doch sagen, die Metaphern seien ihnen zu weich, die Sätze zu einfach - sie haben nichts verstanden. Denn um Wirklichkeit in einem empirischen Sinn ging es hier gerade nicht: Das Stück spiele in der Erinnerung, sei "sentimental, nicht realistisch", hatte Tom, der Erzähler, zu Beginn gesagt. Und damit das Publikum aufgefordert: Stellt eure inneren Uhren, euren Herzschlag auf einen anderen, feinfühligeren Rhythmus ein!
[...]
Was man an diesem Abend zu sehen bekommt, ist ein wahres Schauspielfest, bei dem die vier Darsteller alles zeigen können, was in ihnen steckt: Der Slapstick ist unterhaltsam, die Pointen sitzen, das Gefühl der Rührung setzt im richtigen Moment ein –was man sonst vor allem aus dem Kino kennt,das sinnübertragende, gefühlsanstiftende Spiel, hier findet es einmal wieder an seinem ursprünglichen Ort statt. Warum? Weil der Regisseur den Mut besitzt, die Zartheit des Stücks zart zu lassen und - die Traurigkeit traurig.
Berliner Morgenpost
Elisa von Hof, 18.12.2016
In Kimmigs poetischer Inszenierung - Regen fällt und es gibt Kerzenschein, kalte Sonnenstrahlen und natürlich Musik, die Kimmig so gern zum Kitten zwischen Innen- und Außenwelt klebt - da fruchtet der "American Dream" nicht. Der ist irgendwie kaputtgegangen. Wie bei so vielen heute, wo Paralleluniversen immer einen Klick entfernt und Rückzüge in die eigene Behaglichkeitszone so einfach sind. Kimmig legt den Finger darauf. Das "höher, schneller, besser" unserer Gesellschaft, in der jeder selbst dafür verantwortlich ist, ob er die holzwurmzerfressende Karriereleiter erklimmt oder herunterrasselt, das stellt er infrage. Eine Lösung präsentiert er nicht. In Kimmigs poetischer Inszenierung - Regen fällt und es gibt Kerzenschein, kalte Sonnenstrahlen und natürlich Musik, die Kimmig so gern zum Kitten zwischen Innen- und Außenwelt klebt - da fruchtet der "American Dream" nicht. Der ist irgendwie kaputtgegangen. Wie bei so vielen heute, wo Paralleluniversen immer einen Klick entfernt und Rückzüge in die eigene Behaglichkeitszone so einfach sind. Kimmig legt den Finger darauf. Das "höher, schneller, besser" unserer Gesellschaft, in der jeder selbst dafür verantwortlich ist, ob er die holzwurmzerfressende Karriereleiter erklimmt oder herunterrasselt, das stellt er infrage. Eine Lösung präsentiert er nicht.

Außerdem im Spielplan

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Mit englischen Übertiteln

Forever Yin Forever Young

Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
19.30 - 22.10