
Wintersonnenwende
"Die Leute, die hier wohnen, haben in ihrem Leben niemals eine konservative Partei gewählt. Sie sind nicht älter als Mitte Vierzig, können aber jünger sein. Vielleicht sind sie erst Ende Dreißig. Sie sind dort angekommen, wo sie hinwollten."
Kurz vor Weihnachten. Albert und Bettina, Eltern eines Kindes, sind "mehr als gereizt": Die Mutter von Bettina, Corinna, kommt zu Besuch. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist angespannt, die Konflikte schwelen. Nicht nur, dass Corinna bis Januar bleiben möchte, sie hat auch eine Zufallsbekanntschaft aus dem Zug mitgebracht. Jener Rudolph entpuppt sich als Schöngeist, der sich im kultivierten Ambiente wohlfühlt, am fremden Klavier gekonnt Chopin spielt, der inspirierend und originell ist, und vor allem äußerst charmant gegenüber der zunehmend geschmeichelten Corinna. Doch Albert, Gastgeber wider Willen und Autor mehrerer Bücher zum Thema Nationalsozialismus, beschleicht schon früh ein ungeheuerlicher Verdacht: "Mit dem stimmt was nicht". Als auch Konrad, Freund der Familie und komplexbeladener Künstler, der dunklen Verführungskraft Rudolphs erliegt, läuft der gemeinsam bestrittene Abend endgültig aus dem Ruder.
Roland Schimmelpfennig schaut den gutsituierten Kreativen Berlin-Prenzlauer Bergs ins Wohnzimmer – als Abrechnung, Rechtfertigung, Freisprechung oder schlicht Nabelschau? Sein neues Stück zeichnet ein genaues Bild der gegenwärtigen Mitte der Gesellschaft und kratzt dabei an der Wunde des schlimmsten Kapitels deutscher Geschichte. Wintersonnenwende zeigt Menschen, die sich bequem eingerichtet haben, deren Fundament aber hohl ist, die mit ihrer persönlichen Angst und ihrer politischen Schlaffheit kämpfen und an der Frage nach dem adäquaten, verantwortlichen Handeln scheitern.
Kurz vor Weihnachten. Albert und Bettina, Eltern eines Kindes, sind "mehr als gereizt": Die Mutter von Bettina, Corinna, kommt zu Besuch. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist angespannt, die Konflikte schwelen. Nicht nur, dass Corinna bis Januar bleiben möchte, sie hat auch eine Zufallsbekanntschaft aus dem Zug mitgebracht. Jener Rudolph entpuppt sich als Schöngeist, der sich im kultivierten Ambiente wohlfühlt, am fremden Klavier gekonnt Chopin spielt, der inspirierend und originell ist, und vor allem äußerst charmant gegenüber der zunehmend geschmeichelten Corinna. Doch Albert, Gastgeber wider Willen und Autor mehrerer Bücher zum Thema Nationalsozialismus, beschleicht schon früh ein ungeheuerlicher Verdacht: "Mit dem stimmt was nicht". Als auch Konrad, Freund der Familie und komplexbeladener Künstler, der dunklen Verführungskraft Rudolphs erliegt, läuft der gemeinsam bestrittene Abend endgültig aus dem Ruder.
Roland Schimmelpfennig schaut den gutsituierten Kreativen Berlin-Prenzlauer Bergs ins Wohnzimmer – als Abrechnung, Rechtfertigung, Freisprechung oder schlicht Nabelschau? Sein neues Stück zeichnet ein genaues Bild der gegenwärtigen Mitte der Gesellschaft und kratzt dabei an der Wunde des schlimmsten Kapitels deutscher Geschichte. Wintersonnenwende zeigt Menschen, die sich bequem eingerichtet haben, deren Fundament aber hohl ist, die mit ihrer persönlichen Angst und ihrer politischen Schlaffheit kämpfen und an der Frage nach dem adäquaten, verantwortlichen Handeln scheitern.
Regie Jan Bosse
Bühne Stéphane Laimé
Kostüme Kathrin Plath
Musik Arno Kraehahn
Dramaturgie David Heiligers
Deutschsprachige Erstaufführung am 23. Oktober 2015
Felix GoeserAlbert

Judith HofmannBettina

Jutta WachowiakCorinna

Bernd StempelRudolph

Edgar EckertKonrad

Albert
Bettina
Corinna
Rudolph
Konrad
Die Kraft der Kunst
Regisseur Jan Bosse über 'Wintersonnenwende'
Die Wintersonnenwende bezeichnet die tiefste Nacht im Jahreskalender. Früher wurde an diesem Tag Weihnachten gefeiert, es ist seit jeher in vielen Kulturen ein aufgeladenes Datum. Was verrät uns dieser Titel über das Stück und inwiefern spielen Religiöses oder Spirituelles darin eine Rolle?
Jan Bosse: Der mythologische Hintergrund der Zeitenwende ist eine assoziative Folie, auf der der Autor seine Geschichte einer zerrütteten, sich selbst in die Tasche lügenden, metaphysisch entleerten Gesellschaft erzählt. Schimmelpfennig ist ein sehr genauer Beobachter des scheinbar Alltäglichen – oder besser: der mühsam aufrecht erhaltenen Oberfläche des Alltäglichen, unter der der atavistische Irrsinn lauert. Die Rituale des Familienclans im Stück gleichen einem Tanz auf dem Vulkan – dieses Weihnachtsfest könnte ihr letztes sein.
Jan Bosse: Der mythologische Hintergrund der Zeitenwende ist eine assoziative Folie, auf der der Autor seine Geschichte einer zerrütteten, sich selbst in die Tasche lügenden, metaphysisch entleerten Gesellschaft erzählt. Schimmelpfennig ist ein sehr genauer Beobachter des scheinbar Alltäglichen – oder besser: der mühsam aufrecht erhaltenen Oberfläche des Alltäglichen, unter der der atavistische Irrsinn lauert. Die Rituale des Familienclans im Stück gleichen einem Tanz auf dem Vulkan – dieses Weihnachtsfest könnte ihr letztes sein.
Der Wunsch nach der entideologisierten Zone
Ein Gespräch mit der Schauspielerin Jutta Wachowiak
Jutta, du warst über 30 Jahre Ensemblemitglied am Deutschen Theater. Schön, dass du als Gast nun wieder auf der DT-Bühne zu sehen bist. Wie ist es für dich, zurück an alter Wirkungsstätte zu sein?
Jutta Wachowiak: Ich sage es mal so: Ich hätte das viele Jahre gar nicht gekonnt, aber jetzt ist das wieder möglich. Es stört mich nicht mehr, dass es eigentlich immer noch so riecht wie früher und doch alles ganz anders ist. Der Abstand ermöglicht es zurückzukommen. Ohne Last.
Im Stück gibt es die Regieanweisung: "Ein großbürgerliches Wohnzimmer unserer Zeit. Altbau. Europa. Die Leute, die hier wohnen, haben Geschmack, sie verbinden gekonnt Modernes mit Altem, sie haben genug Geld, aber es muss auch nicht alles perfekt sein. Ikea trifft Biedermeier und Charles Eames und Flohmarkt. Sie lesen Bücher, sie haben studiert." Wie sieht dein privates Wohnzimmer, dein Zuhause aus?
JW: Ungefähr so. Charles Eames nicht. Auch Flohmarkt nicht – aber früher schon, als ich im gleichen Alter war wie die Leute, die ich damit beschreibe. Ikea auch nicht, aber wir hatten auch solche Leitermöbel in der DDR, die wir dann mit einem Sekretär oder Oma-Sessel komplettiert haben. Und dazwischen wieder ganz normale Regale. Alles in allem also ähnlich. Das Stück beschreibt ja eine Schicht von Leuten, die es in gewisser Weise immer gibt: Halbintellektuelle, die umseitig interessiert, aber emotional genauso hilflos sind wie alle anderen auch.
Jutta Wachowiak: Ich sage es mal so: Ich hätte das viele Jahre gar nicht gekonnt, aber jetzt ist das wieder möglich. Es stört mich nicht mehr, dass es eigentlich immer noch so riecht wie früher und doch alles ganz anders ist. Der Abstand ermöglicht es zurückzukommen. Ohne Last.
Im Stück gibt es die Regieanweisung: "Ein großbürgerliches Wohnzimmer unserer Zeit. Altbau. Europa. Die Leute, die hier wohnen, haben Geschmack, sie verbinden gekonnt Modernes mit Altem, sie haben genug Geld, aber es muss auch nicht alles perfekt sein. Ikea trifft Biedermeier und Charles Eames und Flohmarkt. Sie lesen Bücher, sie haben studiert." Wie sieht dein privates Wohnzimmer, dein Zuhause aus?
JW: Ungefähr so. Charles Eames nicht. Auch Flohmarkt nicht – aber früher schon, als ich im gleichen Alter war wie die Leute, die ich damit beschreibe. Ikea auch nicht, aber wir hatten auch solche Leitermöbel in der DDR, die wir dann mit einem Sekretär oder Oma-Sessel komplettiert haben. Und dazwischen wieder ganz normale Regale. Alles in allem also ähnlich. Das Stück beschreibt ja eine Schicht von Leuten, die es in gewisser Weise immer gibt: Halbintellektuelle, die umseitig interessiert, aber emotional genauso hilflos sind wie alle anderen auch.
Damit ist in Roland Schimmelpfennigs Konversationsstück 'Wintersonnenwende' endlich heraus, was im schwarz abstrahierten Bühnenbild schon angedroht wurde: am Ende Schlimmes, eben kein Kabarett. Doch zuvor gibt es genau das in langen 100 Minuten. Quasi als grobkörniges Vorspiel zum subtil gedachten Menetekel: Nämlich die notorische Anfälligkeit der total demokratisierten, total freiheitlich sich dünkenden, unentwegt mit sich hadernden und letztlich ziellosen Bürgerlichkeit (und nicht nur der!) fürs Totalitäre mit seinen klaren Ansagen." "Mit diesem scheinbar ach so liebenswürdigen und kultivierten Biedermann aus Südamerika kam etwas offensichtlich extrem Fremdes, Böses ins Haus, tropft etwas in die Köpfe und Seelen dieser vorweihnachtlichen Gesellschaft, von dem sie meint, ansonsten nichts damit zu tun zu haben. Es ist das hier verführerisch süß schmeckende Gift faschistoider Ideologie, die vom Schönen und Guten schwärmt, vom sauberen, wohl geordneten Garten, der von Blattläusen gesäubert sein müsse, von der Vermischung mit Unkraut. Denn immer und überall müssten Ordnung und Reinheit über dreckiges Chaos triumphieren, womit selbstredend unser Liberal-Libertinäres, Kränkliches, unsere Glaubens- und Orientierungslosigkeit gemeint ist, dem der Untergang drohe. So wie in der Natur das Niedere und Schwächere dem Höheren, Gesunden und Stärkeren weichen müsse.
Damit ist in Roland Schimmelpfennigs Konversationsstück 'Wintersonnenwende' endlich heraus, was im schwarz abstrahierten Bühnenbild schon angedroht wurde: am Ende Schlimmes, eben kein Kabarett. Doch zuvor gibt es genau das in langen 100 Minuten. Quasi als grobkörniges Vorspiel zum subtil gedachten Menetekel: Nämlich die notorische Anfälligkeit der total demokratisierten, total freiheitlich sich dünkenden, unentwegt mit sich hadernden und letztlich ziellosen Bürgerlichkeit (und nicht nur der!) fürs Totalitäre mit seinen klaren Ansagen."