
Westend
von Moritz Rinke
"Das Gewitter ist genau über uns", schreibt Moritz Rinke in seinem neuen Stück. Es erzählt von einer untergehenden Welt: von Burgen der Bürgerlichkeit, die brüchig geworden sind; von einsamen Menschen, deren Biografien, Gesichter und Körper vernarbt sind vom Krieg und vom Zwang, schön und erfolgreich zu sein.
Eduard ist Schönheitschirurg, Charlotte eine erfolgreiche Sängerin. Das Kind, das Charlotte sich gewünscht hatte, haben die beiden nicht bekommen. Nun ist das neu gekaufte Haus zu leer, der Garten zu groß, der nahe See zu still. Umso mehr sprudeln die Pläne: Pläne für ein neues Gartenhaus (Fichtenholz), für die neue Praxis (lindgrün), für Um- und Anbauten, das nächste Gesangskonzert, die nächste Nasenkorrektur… In diese Welt bricht Michael ein. Eduard und "Mick" haben beide Medizin studiert, inzwischen trennen die beiden Welten. Eduard operiert im Krisengebiet der westlichen Seele; dort entfernt er die Angst, alt und wertlos zu sein. Michael, der jüngere der beiden, arbeitet für eine humanitäre Organisation und kommt eben aus Afghanistan zurück. Was er mitbringt, sind Geschichten von westlicher Gewalt, von Minenopfern, verzweifelten Todeskämpfen und sinnlosem Sterben.
Und dann ist da noch Lilly, die junge Nachbarin, eine Medizinstudentin, die nur in den Sommerwochen bei ihrem Vater Marek und dessen amerikanisch-russischer Freundin Eleonora lebt. Als die Nachbarsfamilie zu Besuch kommt, droht die alte Ordnung endgültig zu zerfallen.
Eduard ist Schönheitschirurg, Charlotte eine erfolgreiche Sängerin. Das Kind, das Charlotte sich gewünscht hatte, haben die beiden nicht bekommen. Nun ist das neu gekaufte Haus zu leer, der Garten zu groß, der nahe See zu still. Umso mehr sprudeln die Pläne: Pläne für ein neues Gartenhaus (Fichtenholz), für die neue Praxis (lindgrün), für Um- und Anbauten, das nächste Gesangskonzert, die nächste Nasenkorrektur… In diese Welt bricht Michael ein. Eduard und "Mick" haben beide Medizin studiert, inzwischen trennen die beiden Welten. Eduard operiert im Krisengebiet der westlichen Seele; dort entfernt er die Angst, alt und wertlos zu sein. Michael, der jüngere der beiden, arbeitet für eine humanitäre Organisation und kommt eben aus Afghanistan zurück. Was er mitbringt, sind Geschichten von westlicher Gewalt, von Minenopfern, verzweifelten Todeskämpfen und sinnlosem Sterben.
Und dann ist da noch Lilly, die junge Nachbarin, eine Medizinstudentin, die nur in den Sommerwochen bei ihrem Vater Marek und dessen amerikanisch-russischer Freundin Eleonora lebt. Als die Nachbarsfamilie zu Besuch kommt, droht die alte Ordnung endgültig zu zerfallen.
Regie Stephan Kimmig
Bühne Katja Haß
Kostüme Anja Rabes
Musik Michael Verhovec
Dramaturgie Bernd Isele
Uraufführung
21. Dezember 2018, Deutsches Theater
21. Dezember 2018, Deutsches Theater
Ulrich MatthesEduard

Anja SchneiderCharlotte

Linn ReusseLilly

Paul GrillMichael

Andreas PietschmannMarek

Birgit UnterwegerEleonora

Eduard
Charlotte
Lilly
Michael
Marek
Eleonora
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Weltall Erde Mensch
Eine unwahrscheinliche Reise von Alexander Eisenach und Ensemble
Regie: Alexander Eisenach
DT Bühne
19.00 - 22.40
BERLIN-PREMIERE
Mit englischen Übertiteln
Kammer
19.30 - 21.15
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Als Rahmen dafür hat Katja Haß einen ihrer großartigen Unorte gebaut, diesmal einen hellen Betonsaal, der aus den Fugen scheint, historische Räume zitiert, sich beim Feuerwerk plötzlich in einen Kriegsbunker verwandelt. [...]
Eduard ist bei Rinke ein ignoranter Scheißkerl, ein chauvinistischer Rechthaber mit behaupteter Unsicherheit. Auf der Bühne aber umweht ihn bald eine Trauer, eine Verletzlichkeit, die ungemein berührt. Wenn seine Stimme diesen sehnsüchtigen Klang bekommt, hat man plötzlich einen modernen Onkel Wanja vor Augen. Wenn er aber so richtig losätzt, dann schlagen auch die paar Aperçus plötzlich Funken. Stephan Kimmig, Rinke- und Seelenexperte, konzentriert sich in seiner Uraufführungsinszenierung darauf, Menschen zu sehen, nicht nur Versuchsobjekte eines Experiments, garniert mit ordentlich Bildungsballast. Mit Musik leuchtet er ihr Inneres aus, erst mit Haydns "Schöpfung" [...], später mit Pop. Überhaupt der Rhythmus: Manchmal dehnt Kimmig Pausen, bis man sie kaum mehr aushält, als wolle er die innere Leere der Figuren zeigen. [...]
Als Rahmen dafür hat Katja Haß einen ihrer großartigen Unorte gebaut, diesmal einen hellen Betonsaal, der aus den Fugen scheint, historische Räume zitiert, sich beim Feuerwerk plötzlich in einen Kriegsbunker verwandelt. [...]
Eduard ist bei Rinke ein ignoranter Scheißkerl, ein chauvinistischer Rechthaber mit behaupteter Unsicherheit. Auf der Bühne aber umweht ihn bald eine Trauer, eine Verletzlichkeit, die ungemein berührt. Wenn seine Stimme diesen sehnsüchtigen Klang bekommt, hat man plötzlich einen modernen Onkel Wanja vor Augen. Wenn er aber so richtig losätzt, dann schlagen auch die paar Aperçus plötzlich Funken.
Ulrich Matthes und Anja Schneider sind zwei sehr gute Argumente für diesen Abend. Regisseur Stephan Kimmig hält sich zurück und lässt seine Schauspieler ihre Figuren erkunden, wie das bei einer Uraufführung immer der Fall sein sollte. Wie Matthes herumtänzelt, seine bedeutungsschwangeren Sätze ganz nebenbei spricht, manchmal ironisch, immer verletzlich – das lässt aus dieser Symbolfigur [...] einen Menschen werden. Und Anja Schneider legt so viel Lebenshunger, so viel Trotz in ihren Blick, dass man sie wortlos versteht. Einerseits entfacht Moritz Rinke ein Beziehungsgewirbel, das auf Goethes "Wahlverwandtschaften" gründet – sogar die Figurennamen sind identisch. Andererseits ist "Westend" Metapher für das Ende des westlichen Wohlstandslebens, das im Angesicht von globalen Krisen nicht fortführbar ist. Neu ist das nicht, aber durchaus legitim, uns, dem westlichen Publikum, die eigenen Widersprüche vorzuhalten.
Ulrich Matthes und Anja Schneider sind zwei sehr gute Argumente für diesen Abend. Regisseur Stephan Kimmig hält sich zurück und lässt seine Schauspieler ihre Figuren erkunden, wie das bei einer Uraufführung immer der Fall sein sollte. Wie Matthes herumtänzelt, seine bedeutungsschwangeren Sätze ganz nebenbei spricht, manchmal ironisch, immer verletzlich – das lässt aus dieser Symbolfigur [...] einen Menschen werden. Und Anja Schneider legt so viel Lebenshunger, so viel Trotz in ihren Blick, dass man sie wortlos versteht.
Ulrich Matthes als Eduard und Anja Schneider als Charlotte zeigen wunderbar die auseinander driftenden Eheleute – mal zickig und bitter, mal liebevoll melancholisch. Die Bühne zeigt einen großen weißen Saal, der eine moderne Kühle ausstrahlt – fast wie eine Klinik. Der Hausherr Eduard ist Schönheitschirurg, seine Frau Charlotte Opernsängerin. Die Ehe der beiden kriselt und als die Nachbarstochter Lilly und Eduards Jugendfreund Michael zu Besuch kommen, bricht sie nach und nach auseinander. Moritz Rinke hat die Figurenkonstellation an Goethes Wahlverwandtschaften angelehnt, doch durch die Figur Michael bekommt die Geschichte einen größeren Echoraum. Er ist Arzt und hat in Libyen und Afghanistan gearbeitet. [...]
Ulrich Matthes als Eduard und Anja Schneider als Charlotte zeigen wunderbar die auseinander driftenden Eheleute – mal zickig und bitter, mal liebevoll melancholisch.
Stephan Kimmigs Bühnenbildnerin Katja Haß hat eine leere weiße Halle mit ein paar seitlichen Gängen, Nischen, Fenstern gebaut und einer kreisrunden Dachöffnung wie eine Himmelskuppel. Das hat etwas von Palladio, zeigt neoklassizistische Kälte und Anmut, deutsche Südenssehnsucht hin ins Offene, mit einer Anspielung auch auf die surrealen Geometrien eines de Chirico. Passt sehr gut.
Stephan Kimmig, der zum wiederholten Mal eine Rinke-Uraufführung inszeniert, bietet dieses Ambiente die Möglichkeit, einzelne Szenen effektvoll zu lebenden Bildern zu arrangieren, in denen die sechs Akteure manchmal wie Figuren, wie Skulpturen in einem Museum kurz verharren. Ein wenig schief, gebrochen, erstarrt, verzaubert. Oder verdammt.
Rinkes kluges, freilich auch viel riskierendes, weil mehr auf die Psychologie der Wechselreden als auf Handlung und äußere Dramatik setzendes Stück, es bedarf auf der Bühne wohl einer Mischung aus nuancierender Behutsamkeit und entschiedenem Zugriff. Kimmigs Inszenierung schwankt da. Zwischen Feinheit und Grobheit, Halbmut und Demut. Dieses "Westend" grenzt mal an Botho Strauß, mal an Yasmina Reza (beide beste Nachbarn). [...]
Die exilrussische Westend-Amerikanerin Eleonora, die man als etwas schlüpfriges Opfer der männlichen Schönheitschirurgie erwartet, wird bei Birgit Unterweger zur starken, charmant anrührenden Frau. Mit einem fabelhaft slawisch-guttural tonierten englischen Akzent. Und das junge Mädchen Lilly macht Linn Reusse zur eigentlichen weiblichen Hauptrolle. Ihr Begehren, ihre Wut, ihren Schmerz als mutterlose Tochter ohne verantwortlichen Vater spielt sie souverän als allein unerzogene Selbsterzieherin. Noch am Boden liegend, gehören ihr einige der schönsten Rinke-Sätze [...].
Die beste Rolle hat freilich Ulrich Matthes. [...] Ein Schwärmer und Schwieriger, medizinischer Konjunkturritter und doch Menschentröster. Ungeheuer und Liebhaber, der als Schönheitschirurg sagt, dass die westliche Staatsform heute "der Narzissmus" sei. Matthes offenbart das brillant, erotisch attraktiv, zynisch, zärtlich, manchmal nur mit einem Seitenblick, winzigem Fingerzeig, präsent auch ohne Text. Er hält immer entspannt die Spannung. Als Goethes, Rinkes und sein eigener Wahlverwandter. Eduard und Charlotte, die sich unter anderem vom Verkauf einer Goethe-Zeichnung eine gerade zu renovierende Villa im berlinisch-bundesrepublikanischen Westend geleistet haben, sie kommen namentlich und motivisch auch aus Goethes vor exakt 200 Jahren erschienenem Liebes-Ehebruchsroman "Wahlverwandtschaften". Rinke hat indes keine modische "Übermalung" des Vorbilds gefertigt, sondern auf dessen Folie ein eigenes, jetziges Bild entworfen: einer sich in wechselnden Paarungen, in Ehekriegen, Liebesverlust, Neuverliebtheit oder auch Wiederbegehren wie "wahlverwandte" chemische Elemente anziehenden und abstoßenden Bürgergesellschaft. [...]
Stephan Kimmigs Bühnenbildnerin Katja Haß hat eine leere weiße Halle mit ein paar seitlichen Gängen, Nischen, Fenstern gebaut und einer kreisrunden Dachöffnung wie eine Himmelskuppel. Das hat etwas von Palladio, zeigt neoklassizistische Kälte und Anmut, deutsche Südenssehnsucht hin ins Offene, mit einer Anspielung auch auf die surrealen Geometrien eines de Chirico. Passt sehr gut.
Stephan Kimmig, der zum wiederholten Mal eine Rinke-Uraufführung inszeniert, bietet dieses Ambiente die Möglichkeit, einzelne Szenen effektvoll zu lebenden Bildern zu arrangieren, in denen die sechs Akteure manchmal wie Figuren, wie Skulpturen in einem Museum kurz verharren. Ein wenig schief, gebrochen, erstarrt, verzaubert. Oder verdammt.
Rinkes kluges, freilich auch viel riskierendes, weil mehr auf die Psychologie der Wechselreden als auf Handlung und äußere Dramatik setzendes Stück, es bedarf auf der Bühne wohl einer Mischung aus nuancierender Behutsamkeit und entschiedenem Zugriff. Kimmigs Inszenierung schwankt da. Zwischen Feinheit und Grobheit, Halbmut und Demut. Dieses "Westend" grenzt mal an Botho Strauß, mal an Yasmina Reza (beide beste Nachbarn). [...]
Die exilrussische Westend-Amerikanerin Eleonora, die man als etwas schlüpfriges Opfer der männlichen Schönheitschirurgie erwartet, wird bei Birgit Unterweger zur starken, charmant anrührenden Frau. Mit einem fabelhaft slawisch-guttural tonierten englischen Akzent. Und das junge Mädchen Lilly macht Linn Reusse zur eigentlichen weiblichen Hauptrolle. Ihr Begehren, ihre Wut, ihren Schmerz als mutterlose Tochter ohne verantwortlichen Vater spielt sie souverän als allein unerzogene Selbsterzieherin. Noch am Boden liegend, gehören ihr einige der schönsten Rinke-Sätze [...].
Die beste Rolle hat freilich Ulrich Matthes. [...] Ein Schwärmer und Schwieriger, medizinischer Konjunkturritter und doch Menschentröster. Ungeheuer und Liebhaber, der als Schönheitschirurg sagt, dass die westliche Staatsform heute "der Narzissmus" sei. Matthes offenbart das brillant, erotisch attraktiv, zynisch, zärtlich, manchmal nur mit einem Seitenblick, winzigem Fingerzeig, präsent auch ohne Text. Er hält immer entspannt die Spannung. Als Goethes, Rinkes und sein eigener Wahlverwandter.
Zusätzlich Fahrt nehmen die Verwerfungen auf – und erreichen im dritten Bild nach der Pause des dreistündigen Abends tatsächlich die Komplexität einer Tschechow’schen Figurenkonstellation – als Lillys Vater (Andreas Pietschmann) mit seiner neuen Frau Eleonora (Birgit Unterweger) auftauchen und afghanisches Opium als dramatischer Katalysator Einsatz findet.
Spätestens dann fällt die Kontrolle, löst sich der Schutz der Drechseldialoge, kippt das die Figuren bis aufs Messer verteidigende Spiel in Wahrhaftigkeit, galoppieren die Attacken, reißen Wunden auf, wird umwerfend schön und schief getanzt und ausgesprochen, was nie zurückzunehmen ist. Dann tut es weh. Ein guter, auch ernster, die Seele aufrauender Theaterabend, was in erster Linie an den Schauspielern liegt. [...] Als Eduard in einem kostbaren zweisamen Moment der Ehrlichkeit Charlotte fragt: "Wollen wir gerade, was hier passiert?", klingt das fast so, als hätte der Wille noch den Einfluss, den Goethe ihm zugesteht.
Zusätzlich Fahrt nehmen die Verwerfungen auf – und erreichen im dritten Bild nach der Pause des dreistündigen Abends tatsächlich die Komplexität einer Tschechow’schen Figurenkonstellation – als Lillys Vater (Andreas Pietschmann) mit seiner neuen Frau Eleonora (Birgit Unterweger) auftauchen und afghanisches Opium als dramatischer Katalysator Einsatz findet.
Spätestens dann fällt die Kontrolle, löst sich der Schutz der Drechseldialoge, kippt das die Figuren bis aufs Messer verteidigende Spiel in Wahrhaftigkeit, galoppieren die Attacken, reißen Wunden auf, wird umwerfend schön und schief getanzt und ausgesprochen, was nie zurückzunehmen ist. Dann tut es weh.