
Wassa Schelesnowa
von Maxim Gorki
"Ich stelle mir täglich die Frage, wie wir das, was wir heute gut machen, morgen noch besser machen können. Wir sind ein Familienunternehmen, unser Zusammenhalt ist unsere Stärke, unser Rückgrat. Musst du das zerstören?"
Bedingungslos, mit scharfem Verstand und fester Hand führt Wassa Schelesnowa das marode Unternehmen ihrer Familie und versucht es mit materialistisch ausgerichtetem Familiensinn vor dem Niedergang zu bewahren. Sie vertuscht, lügt und kämpft mit allen Kräften für eine Sache, die aussichtslos scheint, und rechtfertigt dabei alle ihre Unternehmungen mit ihrer Funktion als Mutter. Ihre untüchtigen oder schlicht unglücklichen Söhne haben keine Vision, keinen Plan, wie sie ihr Leben gestalten könnten. Familie, Zusammenhalt oder Zukunft sind für sie Begriffe, deren Sinn verloren gegangen ist. Als Wassas Ehemann stirbt, beginnt der Kampf um das Erbe. Nur Wassas Tochter Anna, deren Ehe gescheitert ist und die in ihr Elternhaus zurückkehrt, scheint eine Idee für das Familienunternehmen zu haben. Als Wassa schwächelt, steht sie bereit…
Maxim Gorki schrieb Wassa Schelesnowa 1910 als Reaktion auf die gescheiterte erste Russische Revolution und zeigt eine eiserne Kämpferin in einer kapitalistischen Endzeitgesellschaft. So düster und defätistisch das Stück ist, steckt es gleichzeitig voller komischer Momente: diese durchgedrehte Familie, verstrickt in ein Wirrwarr von Schuldzuweisungen, Liebessehnsüchten und Geldangelegenheiten, ist in ihrem verzweifelten Kampf lächerlich und berührend, abschreckend und faszinierend zugleich.
Bedingungslos, mit scharfem Verstand und fester Hand führt Wassa Schelesnowa das marode Unternehmen ihrer Familie und versucht es mit materialistisch ausgerichtetem Familiensinn vor dem Niedergang zu bewahren. Sie vertuscht, lügt und kämpft mit allen Kräften für eine Sache, die aussichtslos scheint, und rechtfertigt dabei alle ihre Unternehmungen mit ihrer Funktion als Mutter. Ihre untüchtigen oder schlicht unglücklichen Söhne haben keine Vision, keinen Plan, wie sie ihr Leben gestalten könnten. Familie, Zusammenhalt oder Zukunft sind für sie Begriffe, deren Sinn verloren gegangen ist. Als Wassas Ehemann stirbt, beginnt der Kampf um das Erbe. Nur Wassas Tochter Anna, deren Ehe gescheitert ist und die in ihr Elternhaus zurückkehrt, scheint eine Idee für das Familienunternehmen zu haben. Als Wassa schwächelt, steht sie bereit…
Maxim Gorki schrieb Wassa Schelesnowa 1910 als Reaktion auf die gescheiterte erste Russische Revolution und zeigt eine eiserne Kämpferin in einer kapitalistischen Endzeitgesellschaft. So düster und defätistisch das Stück ist, steckt es gleichzeitig voller komischer Momente: diese durchgedrehte Familie, verstrickt in ein Wirrwarr von Schuldzuweisungen, Liebessehnsüchten und Geldangelegenheiten, ist in ihrem verzweifelten Kampf lächerlich und berührend, abschreckend und faszinierend zugleich.
Regie Stephan Kimmig
Bühne Katja Haß
Kostüme Anja Rabes
Musik Michael Verhovec
Dramaturgie Sonja Anders
Premiere 16. Mai 2014
Corinna HarfouchWassa Schelesnowa

Franziska MachensAnna, ihre Tochter

Christoph FrankenSemjon, ihr Sohn

Alexander KhuonPawel, ihr Sohn

Lisa HrdinaNatalja, Semjons Frau

Katharina Marie SchubertLjudmilla, Pawels Frau und Michailo Wassilijews Tochter

Michael GoldbergProchor, Bruder von Wassas Mann Sachar

Bernd StempelMichailo Wassilijew, Geschäftsführer

Marcel KohlerAlexander, Assistent von Wassa

Wassa Schelesnowa
Anna, ihre Tochter
Semjon, ihr Sohn
Pawel, ihr Sohn
Natalja, Semjons Frau
Ljudmilla, Pawels Frau und Michailo Wassilijews Tochter
Prochor, Bruder von Wassas Mann Sachar
Michailo Wassilijew, Geschäftsführer
Alexander, Assistent von Wassa
Ludwigshafen
28. und 29. Oktober 2015
28. und 29. Oktober 2015
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Regie: Claudia Bossard
DT Kontext: Im Anschluss an die Vorstellung Vortrag und Gespräch mit Rainald Goetz
DT Bühne
19.30 - 21.50
Wiederaufnahme
Mit englischen Übertiteln
Forever Yin Forever Young
Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
20.00 - 22.40
Dieser Abend ist Theater, das dem schnellen Blick schlichter Gemüter nach plumper Fernsehdramatik aussehen mag, nach einem Realismus, der auch mir oft wie die schiere Verdopplung einer schlechten Wirklichkeit vorkam, gerade bei Inszenierungen von Kimmig, gerade in der Erinnerung an seinen Prachtboulevard-Abend „Kinder der Sonne“ am DT vor vier Jahren. Diesmal aber ist es psychologischer Realismus schärfsten Wassers, kein weich gezeichnetes Gegenwartsaquarell, sondern ein Kupferstich, spitz und beißend.Es ist außerhalb der Theaterdiskurse derzeit viel von einem Neuen Realismus die Rede. Neuer Realismus heißt: die Versprechen auf Freiheit der Postmoderne, die Triumph-Rufe von den Todesnachrichten der Metaphysik sind verpufft. Und jetzt? Jetzt gewinnt eine alte, aber noch nie veraltete Einsicht wieder Gewicht, die Robert Spaemann kürzlich niederschrieb: "Unser Leben ist nicht in unserer Hand. Wir sind unserer selbst nicht mächtig." Aber was folgt daraus? Und was lassen wir daraus folgen? (...)
Das sind die Fragen dieses knapp zweistündigen, sehr streitbaren und ungemein aufschlussreichen Abends. Es ist damit im Theater eine Wirklichkeit angekommen, die jenseits der engen Bühnenbetriebsmoden längst durchlitten wird. Es wird jetzt also abermals zu prüfen und durchdringen sein, was gestern noch altmodisch, womöglich gar überwunden schien. Es gilt abermals, die eigenen und allgemeinen Vorurteile über uns Gegenwartsleute und unser Gegenwartstheater zu überdenken. Besseres kann einem nicht geschehen. Für Kimmig ist es ein Sonnenuntergangsstück – das Zerrissensein blieb, der Horizont des Utopischen aber ist verschlossen. Verstellt vom Schreckensdogma der Alternativlosigkeit. Man sieht: eine in die Gegenwart kopierte Familie von Ichlingen, die allesamt mit der Pflege ihrer Seelenhinterhöfe beschäftigt sind. Hocken herum und schlagen sich, verlangen Reichtum und wüssten nicht, was damit anzufangen. Wollen geliebt werden und ängstigen sich, für die Liebe etwas herzuschenken. Suchen Leidenschaft und fürchten die Hingabe. Arme, stumpfe Karrieretröpfe. (...)
Dieser Abend ist Theater, das dem schnellen Blick schlichter Gemüter nach plumper Fernsehdramatik aussehen mag, nach einem Realismus, der auch mir oft wie die schiere Verdopplung einer schlechten Wirklichkeit vorkam, gerade bei Inszenierungen von Kimmig, gerade in der Erinnerung an seinen Prachtboulevard-Abend „Kinder der Sonne“ am DT vor vier Jahren. Diesmal aber ist es psychologischer Realismus schärfsten Wassers, kein weich gezeichnetes Gegenwartsaquarell, sondern ein Kupferstich, spitz und beißend.Es ist außerhalb der Theaterdiskurse derzeit viel von einem Neuen Realismus die Rede. Neuer Realismus heißt: die Versprechen auf Freiheit der Postmoderne, die Triumph-Rufe von den Todesnachrichten der Metaphysik sind verpufft. Und jetzt? Jetzt gewinnt eine alte, aber noch nie veraltete Einsicht wieder Gewicht, die Robert Spaemann kürzlich niederschrieb: "Unser Leben ist nicht in unserer Hand. Wir sind unserer selbst nicht mächtig." Aber was folgt daraus? Und was lassen wir daraus folgen? (...)
Das sind die Fragen dieses knapp zweistündigen, sehr streitbaren und ungemein aufschlussreichen Abends. Es ist damit im Theater eine Wirklichkeit angekommen, die jenseits der engen Bühnenbetriebsmoden längst durchlitten wird. Es wird jetzt also abermals zu prüfen und durchdringen sein, was gestern noch altmodisch, womöglich gar überwunden schien. Es gilt abermals, die eigenen und allgemeinen Vorurteile über uns Gegenwartsleute und unser Gegenwartstheater zu überdenken. Besseres kann einem nicht geschehen.
Selbst Bernd Stempel als steifstöckiger Verwalter Michailo macht als vergeblich liebender Ljudmilla-Vater Punkte. Und Michael Goldberg, obwohl er sich über Kratzer im Autolack beschweren muss und nicht mehr wie bei Gorki über getötete Tauben, steht am Ende alleine im Regen seiner unglücklichen Liebe zu Verwaltertochter und schaut nicht nur wie gewöhnlich auf diesem Theater übermüdet, sondern geradezu verloren und deshalb sehr menschlich drein. Bevor er erschlagen wird, weil er die Orgasmen mit Pawels Frau Ljudmilla als Morphium für seine Herzkrankheit gefeiert hatte.
Aber wie es, ungewöhnlich genug, ein Abend der Männer ist im Deutschen Theater, ist es auch ein Abend der Frauen. Wundersam, verrückt und tränenumflort somnambul gibt Katharina Marie Schubert Schwiegertochter Nr. 2, Michailos, also Stempels, Tochter Ljudmilla, die zugleich knüppelhart ihrem Mann Pawel jede Zärtlichkeit verweigert ("Meine Haut würde ich Dir gerne da lassen, wenn ich nur weg könnte"). Als revoluzzendes und ihren Kerl Semjon mit Klauen verteidigendes Springteufelchen Natalja, Schwiegertochter Nr. 1, sorgt Lisa Hrdina für den comic relief. Mit ihrem Auftrittsmotz "Gibt's keine Eier?" sollte sie sich für tragende Rollen in "Fuck ju Goethe" 2 bis 17 aufgedrängt haben. (...)
Und natürlich (...) die Diva Corinna Harfouch als Wassa. Harfouch ist die Seele und das Zentrum, Harfouch hält den Laden zusammen. Kraft ihrer Präsenz. Nüchtern, zurückgenommen, mit kleinen Zeichen der Sache Fahrt und Richtung gebend. (...)
Harfouch bebt innerlich und zeigt es außen, Harfouch kommandiert und Harfouch liebt, Harfouch kämpft um "ihren", also Wassas Besitz, den sie schließlich mit Tricks vor den untauglichen Söhnen in Sicherheit bringt, und Harfouch zeigt, dass sie sich die Liebe zur Familie aus der Seele schneiden muss, will sie die Firma behalten, die wiederum den Kitt abgeben soll, den Rest, allerdings den von Wassa selbst auserwählten Rest der Familie, Anna und Ljudmilla und sie selbst, zusammenzuhalten. Man könnte auch sagen, die Weise, wie die kapitalistischen Gesetze "in der Familie privatisiert werden" (Programmheft), gewinnt in Corinna Harfouchs Darstellung der Familienunternehmerin Wassa Schelesnowa eine vorbildliche Gestalt. Großer Jubel und Chapeau. Spielleiter Stephan Kimmig und seine Leute nehmen die Figuren ernst. Das bedeutet zum Beispiel: Sohn Pawel, den Alexander Khuon gibt, ist am Anfang völlig gaga. Er sabbert und brabbelt vor sich hin, er sei ein Schiff, das durch Eis... und solches Zeug. Was ihn aber nicht daran hindert, Mutter und Eheweib und Onkel brutalst zu bedrängen und dabei dennoch den Liebesbedürftigen, Zukurzgekommenen, Bemitleidenswerten nicht nur im Knopfloch zu tragen. Desgleichen Christoph Franken als der zweite Bruder Semjon. Gemeinsam mit Pawel eine rechte Skorpionenbrut, die Mutters Assistenten Alexander (in Vertretung von Gorkis Dienstmägden: Marcel Kohler, beachtlich) zusammenschlägt, Schwester Anna um den Esstisch jagt, wenn sie in Verdacht gerät, das Familienerbe zu erschleichen. Und doch gelingt es auch Franken, am Ende, wenn er mit gespitztem Kussmund um die Liebe der sich vor ihrer Ausgeburt ekelnden Mutter Wassa bettelt, als armer Junge, den man trösten möchte, vor den Herzen des Publikums zu erscheinen.
Selbst Bernd Stempel als steifstöckiger Verwalter Michailo macht als vergeblich liebender Ljudmilla-Vater Punkte. Und Michael Goldberg, obwohl er sich über Kratzer im Autolack beschweren muss und nicht mehr wie bei Gorki über getötete Tauben, steht am Ende alleine im Regen seiner unglücklichen Liebe zu Verwaltertochter und schaut nicht nur wie gewöhnlich auf diesem Theater übermüdet, sondern geradezu verloren und deshalb sehr menschlich drein. Bevor er erschlagen wird, weil er die Orgasmen mit Pawels Frau Ljudmilla als Morphium für seine Herzkrankheit gefeiert hatte.
Aber wie es, ungewöhnlich genug, ein Abend der Männer ist im Deutschen Theater, ist es auch ein Abend der Frauen. Wundersam, verrückt und tränenumflort somnambul gibt Katharina Marie Schubert Schwiegertochter Nr. 2, Michailos, also Stempels, Tochter Ljudmilla, die zugleich knüppelhart ihrem Mann Pawel jede Zärtlichkeit verweigert ("Meine Haut würde ich Dir gerne da lassen, wenn ich nur weg könnte"). Als revoluzzendes und ihren Kerl Semjon mit Klauen verteidigendes Springteufelchen Natalja, Schwiegertochter Nr. 1, sorgt Lisa Hrdina für den comic relief. Mit ihrem Auftrittsmotz "Gibt's keine Eier?" sollte sie sich für tragende Rollen in "Fuck ju Goethe" 2 bis 17 aufgedrängt haben. (...)
Und natürlich (...) die Diva Corinna Harfouch als Wassa. Harfouch ist die Seele und das Zentrum, Harfouch hält den Laden zusammen. Kraft ihrer Präsenz. Nüchtern, zurückgenommen, mit kleinen Zeichen der Sache Fahrt und Richtung gebend. (...)
Harfouch bebt innerlich und zeigt es außen, Harfouch kommandiert und Harfouch liebt, Harfouch kämpft um "ihren", also Wassas Besitz, den sie schließlich mit Tricks vor den untauglichen Söhnen in Sicherheit bringt, und Harfouch zeigt, dass sie sich die Liebe zur Familie aus der Seele schneiden muss, will sie die Firma behalten, die wiederum den Kitt abgeben soll, den Rest, allerdings den von Wassa selbst auserwählten Rest der Familie, Anna und Ljudmilla und sie selbst, zusammenzuhalten. Man könnte auch sagen, die Weise, wie die kapitalistischen Gesetze "in der Familie privatisiert werden" (Programmheft), gewinnt in Corinna Harfouchs Darstellung der Familienunternehmerin Wassa Schelesnowa eine vorbildliche Gestalt. Großer Jubel und Chapeau.
Pawel wird von Alexander Khuon gespielt – sehr emotional und berührend. Und auch die anderen Akteure überzeugen. Die Aufführung ist von einer unglaublichen Intensität. Am Ende großer Applaus für Corinna Harfouch und das gesamte Ensemble. Die Harfouch ist der Star des Abends. Man kann ihre inneren Kämpfe mitverfolgen. Soll sie ihren Schwager, der die Firma ruinieren möchte, vergiften lassen? Sie zögert. Und auch als Mutter ist sie unsicher. Sie begegnet ihren Kindern grob, zeigt aber doch immer wieder, dass sie sie liebt. Ihren Sohn Pawel, der von seiner Frau betrogen wird, versucht sie zu trösten (... ).
Pawel wird von Alexander Khuon gespielt – sehr emotional und berührend. Und auch die anderen Akteure überzeugen. Die Aufführung ist von einer unglaublichen Intensität. Am Ende großer Applaus für Corinna Harfouch und das gesamte Ensemble.