
Unterwerfung
nach dem Roman von Michel Houellebecq
Fassung von David Heiligers und Stephan Kimmig
"Es stimmt, dass mein Atheismus auf keiner soliden Grundlage fußt; es wäre anmaßend von mir, das zu behaupten."
Es ist das Jahr 2022. Frankreich steht vor einer elementaren Umwälzung. Bei den Wahlen hat sich Mohammed Ben Abbes durchgesetzt und wird der erste muslimische Präsident in einem europäischen Land – ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden innenpolitischen wie außenpolitischen Folgen. Mittendrin: François, Literaturwissenschaftler, Mitte Vierzig, depressiv vereinsamter Single und Trinker. Ein verlorener Intellektueller und am Individualismus Krankender in einer Gesellschaft des Wettbewerbs, die kurz vor einem Bürgerkrieg zwischen Rechtsextremen der Identitären Bewegung und gewaltbereiten Salafisten steht. Der erstarkte Front National und die aufstrebende Bruderschaft der Muslime, die Entsprechungen dieser Strömungen auf Parteienebene, haben die erstarrte politische Landschaft aufgewirbelt und den Wahlkampf bestimmt. Nun haben also die Muslime gewonnen, und zwar auf friedlichem, legalem und demokratischem Wege. Und Frankreich hat mit Ben Abbes endlich wieder einen smarten, charismatischen und strahlenden Präsidenten, der seine versprochenen Reformen unmittelbar und tatkräftig umsetzt. Was aber heißt das, wenn der Islam an die Macht kommt? Für Frankreich, für Europa, für François?
Michel Houellebecqs Unterwerfung erschien am Tag des Anschlags auf Charlie Hebdo. Zu Unrecht wurde daraufhin seiner Fiktion vorschnell der Vorwurf einer islamophoben Dystopie gemacht. Wohlgemerkt ist es auch keine utopische Fantasie geworden. Houellebecq bewegt sich vielmehr im Spalt zwischen dem albtraumhaften Ende des alten Europas und dem verlockenden Neubeginn eines goldenen Zeitalters. In seiner typisch humorvollen, schonungslosen und prophezeienden Manier erklärt er der Ära der Ökonomie den endgültigen Bankrott. Unterwerfung ist nicht die Geschichte einer feindlichen Übernahme, sondern erzählt, wie die Bruderschaft der Muslime für eine sinnsuchende, säkulare und laizistische westliche Republik auf einmal zu einer echten Alternative wird. Der Islam sagt dem ungebremsten Kapitalismus den Kampf an und gibt dem taumelnden Europa seine ureigenen Werte zurück: Keine Politik mehr unter dem Diktat der Wirtschaft, sondern eine der Bildung, der Familie, des Sozialen, des Kollektivs, der Kultur und der Moral. Keine so schlechte Zukunftsprognose. Oder?
"Es stimmt, dass mein Atheismus auf keiner soliden Grundlage fußt; es wäre anmaßend von mir, das zu behaupten."
Es ist das Jahr 2022. Frankreich steht vor einer elementaren Umwälzung. Bei den Wahlen hat sich Mohammed Ben Abbes durchgesetzt und wird der erste muslimische Präsident in einem europäischen Land – ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden innenpolitischen wie außenpolitischen Folgen. Mittendrin: François, Literaturwissenschaftler, Mitte Vierzig, depressiv vereinsamter Single und Trinker. Ein verlorener Intellektueller und am Individualismus Krankender in einer Gesellschaft des Wettbewerbs, die kurz vor einem Bürgerkrieg zwischen Rechtsextremen der Identitären Bewegung und gewaltbereiten Salafisten steht. Der erstarkte Front National und die aufstrebende Bruderschaft der Muslime, die Entsprechungen dieser Strömungen auf Parteienebene, haben die erstarrte politische Landschaft aufgewirbelt und den Wahlkampf bestimmt. Nun haben also die Muslime gewonnen, und zwar auf friedlichem, legalem und demokratischem Wege. Und Frankreich hat mit Ben Abbes endlich wieder einen smarten, charismatischen und strahlenden Präsidenten, der seine versprochenen Reformen unmittelbar und tatkräftig umsetzt. Was aber heißt das, wenn der Islam an die Macht kommt? Für Frankreich, für Europa, für François?
Michel Houellebecqs Unterwerfung erschien am Tag des Anschlags auf Charlie Hebdo. Zu Unrecht wurde daraufhin seiner Fiktion vorschnell der Vorwurf einer islamophoben Dystopie gemacht. Wohlgemerkt ist es auch keine utopische Fantasie geworden. Houellebecq bewegt sich vielmehr im Spalt zwischen dem albtraumhaften Ende des alten Europas und dem verlockenden Neubeginn eines goldenen Zeitalters. In seiner typisch humorvollen, schonungslosen und prophezeienden Manier erklärt er der Ära der Ökonomie den endgültigen Bankrott. Unterwerfung ist nicht die Geschichte einer feindlichen Übernahme, sondern erzählt, wie die Bruderschaft der Muslime für eine sinnsuchende, säkulare und laizistische westliche Republik auf einmal zu einer echten Alternative wird. Der Islam sagt dem ungebremsten Kapitalismus den Kampf an und gibt dem taumelnden Europa seine ureigenen Werte zurück: Keine Politik mehr unter dem Diktat der Wirtschaft, sondern eine der Bildung, der Familie, des Sozialen, des Kollektivs, der Kultur und der Moral. Keine so schlechte Zukunftsprognose. Oder?
Regie Stephan Kimmig
Bühne Katja Haß
Kostüme Sigi Colpe
Musik Michael Verhovec
Video Julian Krubasik
Licht Robert Grauel
Dramaturgie David Heiligers
Premiere am 22. April 2016
Lorna IshemaKrankenschwester/Marie-Françoise Tanneur, Kollegin an der Uni/Reporterin/Marine Le Pen, Front National/Myriam, Studentin und Ex-Freundin

Camill JammalChefarzt/Mohammed Ben Abbes, Bruderschaft der Muslime

Marcel KohlerZivi/Lempereur, Kollege an der Uni/Reporter

Wolfgang PreglerTanneur, Spion beim Inlandsgeheimdienst/Robert Rediger, Präsident der Uni Sorbonne

Steven ScharfFrançois, Literaturwissenschaftler

Krankenschwester/Marie-Françoise Tanneur, Kollegin an der Uni/Reporterin/Marine Le Pen, Front National/Myriam, Studentin und Ex-Freundin
Chefarzt/Mohammed Ben Abbes, Bruderschaft der Muslime
Zivi/Lempereur, Kollege an der Uni/Reporter
Tanneur, Spion beim Inlandsgeheimdienst/Robert Rediger, Präsident der Uni Sorbonne
François, Literaturwissenschaftler
Michel Houellebecqs umstrittener und viel diskutierter Roman "Unterwerfung" als Theaterabend am DT, inszeniert von Stephan Kimmig. Premiere war am 22. April 2016. Nach der dritten Vorstellung lud Dramaturg David Heiligers ein zu einer Diskussion über diese Inszenierung. Hier hören Sie Ausschnitte daraus.
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Weltall Erde Mensch
Eine unwahrscheinliche Reise von Alexander Eisenach und Ensemble
Regie: Alexander Eisenach
DT Bühne
19.00 - 22.40
BERLIN-PREMIERE
Mit englischen Übertiteln
Kammer
19.30 - 21.15
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Aus dem eigenbrötlerischen Literaturwissenschaftler, der sich am Ende des Romans womöglich auf eine Karriere unter muslimischen Vorzeichen einlässt, wird, auch mit Hilfe von Mikroport-Technik und einigen Kameranahaufnahmen, eine in sich gekehrte, kränkliche Figur, die für ein insgesamt morbides System steht: "Es stimmt, dass mein Atheismus auf keiner soliden Grundlage fußt, es wäre anmaßend, das zu behaupten", sagt François auch stellvertretend für die westliche säkulare Gesellschaft im Gespräch mit dem neuen Universitätspräsidenten, der ihn zur Rückkehr an das gewandelte Institut überreden will, inklusive Konvertierung, exzellenter Bezahlung und mehrerer junger Ehefrauen. Die Unterwerfung ist laut Koran, Herzstück des Glaubens an Allah, für François, den Mann ohne Eigenschaften ist sie eine konsequente Fortsetzung seines ziellosen Lebens. Am Ende durchbricht die nach unten schwebende Papierdecke den Kopf des Einsamen, so dass er schließlich über dem Holzskelett des ehemaligen Dachs balanciert, desorientiert wie eh und je.
Zumal er zu diesem Zeitpunkt schon Besuch vom neuen Präsidenten persönlich hatte. Bei Camill Jammal ist dieser Ben Abbes von der Bruderschaft der Muslime einer, der seine politischen und territorialen Visionen mit menschlichem Gestus begleitet und am Krankenbett erst mal Händchen hält, bevor er sich zu François in die Kissen kuschelt.
Mit spießiger Brille und braunem Lederblouson tritt Scharf auf. Schnippt Monologfetzen vom Überleben, Beten, Lebensekel heraus, an die er selbst kaum zu glauben scheint. Er lässt keine Zweifel, dass hier ein Nerd spricht, der den Kontakt nach außen verloren hat. Er wirkt wie ein zu groß geratenes Kind, das einst zu viel Computer spielte und nun naiv, einsam und frustriert von der Regie ins Krankenbett gelegt wird. Dieses Metallbett steht ganz im Zentrum der Bühne. Über weite Strecken liegt Scharf dort, körperlich auf kleinsten Radius reduziert.
In den Arbeiten von Regisseur Kimmig spielen die Vereinzelungen des Individuums, bröckelnder emotionaler und gesellschaftlicher Halt immer wieder eine Rolle. "Unterwerfung" reiht sich nahtlos ein als Psychogramm einer Zerrüttung. Man schaut mit Laboblick zu, wie die Spezies Mensch ihrem metaphysischen Leid preisgegeben ist.
Regisseur Kimmig und die seinen machen alles richtig. Sie nehmen den Roman nicht als kreischende Warnung vor dem Islam, sondern als das, was alle Houellebecq-Romane sind: zunehmend komischer werdende, wollüstig sich in Dekadenz ergebende Reflexionen über Frankreich und damit auch über Europa. Für Franzosen ist Frankreich sowieso Europa und alle außerhalb der Grenzen des Achtecks nur Anwärter auf den Europäerstatus – und damit haben sie auch recht.