
Sommergäste
von Maxim Gorki
Deutsch von Ulrike Zemme
Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers
"Die Elite – das sind nicht wir! Wir sind etwas Anderes. Wir sind Sommergäste in unserem Land ... Zugereiste. Wir sind ausschließlich damit beschäftigt, uns einen bequemen Platz im Leben zu suchen. Wir tun nichts und reden entsetzlich viel."
Das Landhaus von Rechtsanwalt Bassow und seiner Frau Warwara. Hier trifft sich eine privilegierte Runde: Ärzte, Schriftsteller, Fabrikanten, Ingenieure. Die gehobene Mittelschicht hat die Stadt verlassen um den Sommer im Grünen zu verbringen. Sie haben Zeit, sie haben Geld und führen ein überwiegend angenehmes, sorgenfreies Leben. Und doch fühlen sie sich einsam, biografielos und leer, sind von sich selbst ermattet und müde von ihren Freiheiten. Da helfen die diversen Bindungen, Verhältnisse und Freundschaften auch nicht weiter. Sie sehnen sich nach einer anderen Zukunft – mit erlösender Liebe und einer sinnhaften Erde. Sie reden, streiten, lamentieren und diskutieren. Wie mit diesem Weltschmerz umgehen? Was für eine Realität anstreben? Wozu sich weiter hetzen und warum Ideale verfolgen? Welche Vision entwerfen? Warwara: "Dieses Abwägen, dieses Berechnen! Wir haben so eine Angst vor dem Leben! Was soll das? Wir versinken im Selbstmitleid!"
Maxim Gorki schrieb Sommergäste 1904, am Vorabend der Russischen Revolution. Laut eigener Aussage wollte er mit diesem Szenenreigen und Beziehungsgeflecht "die moderne bürgerlich-materialistische Intelligenz darstellen". Er zeigt eine bequem gewordene Gesellschaft, die sich ihrer selbst nicht mehr sicher ist und in der es ruhelos rumort. Eine umwälzende Zeitenwende wirft ihre Schatten voraus auf diese Sommergäste und ihre suchenden Seelen.
Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers
"Die Elite – das sind nicht wir! Wir sind etwas Anderes. Wir sind Sommergäste in unserem Land ... Zugereiste. Wir sind ausschließlich damit beschäftigt, uns einen bequemen Platz im Leben zu suchen. Wir tun nichts und reden entsetzlich viel."
Das Landhaus von Rechtsanwalt Bassow und seiner Frau Warwara. Hier trifft sich eine privilegierte Runde: Ärzte, Schriftsteller, Fabrikanten, Ingenieure. Die gehobene Mittelschicht hat die Stadt verlassen um den Sommer im Grünen zu verbringen. Sie haben Zeit, sie haben Geld und führen ein überwiegend angenehmes, sorgenfreies Leben. Und doch fühlen sie sich einsam, biografielos und leer, sind von sich selbst ermattet und müde von ihren Freiheiten. Da helfen die diversen Bindungen, Verhältnisse und Freundschaften auch nicht weiter. Sie sehnen sich nach einer anderen Zukunft – mit erlösender Liebe und einer sinnhaften Erde. Sie reden, streiten, lamentieren und diskutieren. Wie mit diesem Weltschmerz umgehen? Was für eine Realität anstreben? Wozu sich weiter hetzen und warum Ideale verfolgen? Welche Vision entwerfen? Warwara: "Dieses Abwägen, dieses Berechnen! Wir haben so eine Angst vor dem Leben! Was soll das? Wir versinken im Selbstmitleid!"
Maxim Gorki schrieb Sommergäste 1904, am Vorabend der Russischen Revolution. Laut eigener Aussage wollte er mit diesem Szenenreigen und Beziehungsgeflecht "die moderne bürgerlich-materialistische Intelligenz darstellen". Er zeigt eine bequem gewordene Gesellschaft, die sich ihrer selbst nicht mehr sicher ist und in der es ruhelos rumort. Eine umwälzende Zeitenwende wirft ihre Schatten voraus auf diese Sommergäste und ihre suchenden Seelen.
Regie Daniela Löffner
Bühne Claudia Rohner
Kostüme Eva Martin
Musik Matthias Erhard
Licht Cornelia Gloth
Dramaturgie David Heiligers
Premiere
23. Februar 2018, Deutsches Theater
23. Februar 2018, Deutsches Theater
Alexander KhuonSergej Bassow, Rechtsanwalt

Anja SchneiderWarwara Michajlowna, seine Frau

Linn ReusseKalerija, Bassows Schwester

Marcel KohlerWlas, Bruder von Warwara

Frank SeppelerPjotr Suslow, Ingenieur

Kathleen MorgeneyerJulija Filippowna, seine Frau

Andreas PietschmannKirill Dudakow, Arzt

Natali SeeligOlga Alexejewna, seine Frau

Bernd StempelJakow Schalimow, Schriftsteller

Christoph FrankenPawel Rjumin

Regine ZimmermannMarja Lwowna, Ärztin

Maike KnirschSonja, ihre Tochter

Helmut MooshammerDoppelpunkt, Suslows Onkel

Caner SunarNikolaj Samyslow, Bassows Assistent

Nikolay SidorenkoSimin, Student

Sergej Bassow, Rechtsanwalt
Warwara Michajlowna, seine Frau
Kalerija, Bassows Schwester
Wlas, Bruder von Warwara
Pjotr Suslow, Ingenieur
Julija Filippowna, seine Frau
Kirill Dudakow, Arzt
Olga Alexejewna, seine Frau
Jakow Schalimow, Schriftsteller
Pawel Rjumin
Marja Lwowna, Ärztin
Sonja, ihre Tochter
Doppelpunkt, Suslows Onkel
Nikolaj Samyslow, Bassows Assistent
Simin, Student
Außerdem im Spielplan
Künstlerische Leitung: Sofie Hüsler, Kristina Stang
Box
11.00
Künstlerische Leitung: Sofie Hüsler, Kristina Stang
Box
19.00
Wiederaufnahme
Mit englischen Übertiteln
Eingeladen zum Theatertreffen 2023
Der Einzige und sein Eigentum
Regie: Sebastian Hartmann
DT Bühne
20.00 - 21.45
Irgendwo pulsiert dieser Trieb noch in all diesen selbstmitleidigen Überflüssigen - vom Ensemble durchgängig in glaubhaften Miniaturen gezeichnet. Schön schräg und in Anlehnung an die kreischenden Mütter aus Prenzlberg zeigt Natali Seelig ihre überforderte Mutter haarscharf auf der Kippe zur Karikatur. Der schreibgehemmte Schriftsteller von Bernd Stempel ist komisches Hochamt. Marcel Kohler und Regine Zimmermann sind ganz hinreißend als unmögliche Kombi junger Mann und alte Frau. Sicher, entschlackte und auf heute getrimmte "Sommergäste" hat man schon öfters gesehen. Bei Daniela Löffner, die am DT schon in ähnlicher, am großen Jürgen Gosch geschulter Machart "Väter und Söhne" in Szene setzte, sind sie aber tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Und wie schön zu sehen, dass Ensembletheater mit Menschendarstellern auch in Berlin gelingen kann. Sommergastgeber Bassow, ein Rechtsanwalt, säuft sich lieber die Hucke voll, als sich totales Scheitern einzugestehen. Bei Alexander Khuon ist er ein sanftmütiger Kindskopf, der seiner starken, am stärksten von allen, den Überdruss an allem, artikulierenden Frau nichts entgegenzusetzen hat. Anja Schneider ist hier das leuchtende Kraftzentrum, wie sie, allen Kopfgeburten zum Trotz immer wieder geerdet, nach wahrem, echtem Leben verlangt.
Irgendwo pulsiert dieser Trieb noch in all diesen selbstmitleidigen Überflüssigen - vom Ensemble durchgängig in glaubhaften Miniaturen gezeichnet. Schön schräg und in Anlehnung an die kreischenden Mütter aus Prenzlberg zeigt Natali Seelig ihre überforderte Mutter haarscharf auf der Kippe zur Karikatur. Der schreibgehemmte Schriftsteller von Bernd Stempel ist komisches Hochamt. Marcel Kohler und Regine Zimmermann sind ganz hinreißend als unmögliche Kombi junger Mann und alte Frau. Sicher, entschlackte und auf heute getrimmte "Sommergäste" hat man schon öfters gesehen. Bei Daniela Löffner, die am DT schon in ähnlicher, am großen Jürgen Gosch geschulter Machart "Väter und Söhne" in Szene setzte, sind sie aber tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Und wie schön zu sehen, dass Ensembletheater mit Menschendarstellern auch in Berlin gelingen kann.
Allen voran wieder mal Bernd Stempel. Wenn Sie es bislang nicht hingekriegt haben, merken Sie sich bitte jetzt endlich diesen Namen [...]. An diesem Abend spielt er einen resignierten Schriftsteller. Alles hat er verloren: seine Leser, seinen Elan, seine Dringlichkeit. Aber dann reicht ihm Anja Schneider eine Blume und BAM! Es kostet ihn nichts als ein Blitzen in den Augen, und schon flutet sie die Bühne: die Hoffnung eines Zynikers durch diese Frau ein anderer, ein besserer Mensch zu werden.
Auch Christoph Franken gelingt ein Kunststück. Linkisch tappst sein liebeskranker Philosoph über die Bühne, holt sich auf Knien seinen Korb ab, bibbert vor Erregung und Erniedrigung am ganzen Leib. Und doch bewahrt er die Würde seiner Figur.
Auch Ensembleneuling Maike Knirsch ist eine Entdeckung. Berührend, wie sie versucht ihre Mutter zu trösten, sich das gemeinsame Leben der beiden mit ihren Männern ausmalt und plötzlich Rotz und Wasser heult, als sie zum ersten Mal ahnt, dass Glück vielleicht gar nicht vorgesehen sein könnte in ihrer Zukunft. Zum Glück interessiert sich Löffner dann doch weniger für den kommenden Aufstand als für das, wovon sie ohne Zweifel einiges versteht: Schauspielerführung. Vor der Rückwand eines bronzenen Guckkastens sitzt ihr Ensemble wie früher bei Jürgen Gosch, bei dem Löffner Assistentin war, den gesamten Abend auf Stühlen und schaut interessiert den gerade spielenden Kollegen zu. Mitunter ist ganz private Bewunderung zu erahnen. Klar, Profis bei der Arbeit zuzuschauen, das bereitet immer Freude.
Allen voran wieder mal Bernd Stempel. Wenn Sie es bislang nicht hingekriegt haben, merken Sie sich bitte jetzt endlich diesen Namen [...]. An diesem Abend spielt er einen resignierten Schriftsteller. Alles hat er verloren: seine Leser, seinen Elan, seine Dringlichkeit. Aber dann reicht ihm Anja Schneider eine Blume und BAM! Es kostet ihn nichts als ein Blitzen in den Augen, und schon flutet sie die Bühne: die Hoffnung eines Zynikers durch diese Frau ein anderer, ein besserer Mensch zu werden.
Auch Christoph Franken gelingt ein Kunststück. Linkisch tappst sein liebeskranker Philosoph über die Bühne, holt sich auf Knien seinen Korb ab, bibbert vor Erregung und Erniedrigung am ganzen Leib. Und doch bewahrt er die Würde seiner Figur.
Auch Ensembleneuling Maike Knirsch ist eine Entdeckung. Berührend, wie sie versucht ihre Mutter zu trösten, sich das gemeinsame Leben der beiden mit ihren Männern ausmalt und plötzlich Rotz und Wasser heult, als sie zum ersten Mal ahnt, dass Glück vielleicht gar nicht vorgesehen sein könnte in ihrer Zukunft.
Löffner hat zusammen mit ihrem Dramaturgen David Heiligers die ohnehin schon sachlich-moderne Übersetzung von Ulrike Zemme klar auf Heute gekrempelt – nichts erinnert ans Russland vor der Revolution, alles wirkt, als säßen hier Prenzlauer-Berg-Bewohner in der brandenburgischen Sommerfrische, Mücken, Picknick und Anglerglück inklusive. Die verheirateten Paare, die einander nichts mehr zu sagen haben. Die aufgeblasenen Möchtegern-Intellektuellen. Die Ausgebrannten, die immerzu über ihre Erschöpfung stöhnen. [...]
Es ist verteufelt amüsant, ihnen bei dem Seelenstriptease zuzugucken, die ganzen vier Stunden lang. Für Daniela Löffners "Sommergäste"-Inszenierung am Deutschen Theater hat Claudia Rohner so einen rostbraunen Raum gebaut, der nur zum Publikum hin offen ist. Wenn die Schauspieler in einer Szene nichts zu suchen haben, setzen sie sich hinten auf einen der schlichten Klappstühle. Wenn sie aber dran sind, knipsen sie ihre Charaktere an wie eine Lampe. Natürlich erinnert das an Jürgen Goschs so großartige wie tiefsinnige Tschechow-, Albee- und Schimmelpfenning-Abende am DT. Schauspielerfeste, wie auch Löffners "Väter und Söhne" an den DT-Kammerspielen eines war, das 2016 zum Theatertreffen eingeladen wurde. Und wie auch Gorkis "Sommergäste" jetzt eines ist. [...]
Löffner hat zusammen mit ihrem Dramaturgen David Heiligers die ohnehin schon sachlich-moderne Übersetzung von Ulrike Zemme klar auf Heute gekrempelt – nichts erinnert ans Russland vor der Revolution, alles wirkt, als säßen hier Prenzlauer-Berg-Bewohner in der brandenburgischen Sommerfrische, Mücken, Picknick und Anglerglück inklusive. Die verheirateten Paare, die einander nichts mehr zu sagen haben. Die aufgeblasenen Möchtegern-Intellektuellen. Die Ausgebrannten, die immerzu über ihre Erschöpfung stöhnen. [...]
Es ist verteufelt amüsant, ihnen bei dem Seelenstriptease zuzugucken, die ganzen vier Stunden lang.
Löffner hat aber noch etwas anderes im Auge: Es sind, tendenziell, die Frauen bei Gorki, die die Lage treffsicher analysieren, denen "Sargnagel" als passendes Synonym für "Ehemann" erscheint und die auf Veränderung pochen, während es sich die etablierten Gatten in ihrem Beharrungsvermögen gemütlich machen. Geschlechterkampf also auf der DT-Bühne, passend zur #MeToo-Debatte. [...]
Claudia Rohners braune Bühnen-Box erinnert an die Kästen, wie sie Johannes Schütz für Gosch oft baute: Die Akteure sind gleichsam gefangen und sehen einander beim Spielen zu. Gorkis berufselitäre Sommerfrischler, jene Ärzte, Ingenieure, Unternehmer oder eben Literaten vom Vorabend der Russischen Revolution, die sich da im Landhaus des Rechtsanwalts Bassow (Alexander Khuon) und seiner schwer am Lebenssinn-Verlust laborierenden Gattin Warwara (Anja Schneider) treffen, sind wir, so die Behauptung des Abends: lethargische Archetypen einer Gesellschaft, in deren Tiefenschichten es heftig brodelt. [...]
Löffner hat aber noch etwas anderes im Auge: Es sind, tendenziell, die Frauen bei Gorki, die die Lage treffsicher analysieren, denen "Sargnagel" als passendes Synonym für "Ehemann" erscheint und die auf Veränderung pochen, während es sich die etablierten Gatten in ihrem Beharrungsvermögen gemütlich machen. Geschlechterkampf also auf der DT-Bühne, passend zur #MeToo-Debatte. [...]
Claudia Rohners braune Bühnen-Box erinnert an die Kästen, wie sie Johannes Schütz für Gosch oft baute: Die Akteure sind gleichsam gefangen und sehen einander beim Spielen zu.
Nach ihrer gefeierten Turgenjew-Adaption „Väter und Söhne“ zeigt Löffner einmal mehr, dass ihr die gruppendynamischen Tableaus liegen, sie komponiert diese polyphone Psychofuge souverän, spürt den anziehenden Konflikten nach, setzt die Drehpunkte fein, aber deutlich – und lässt viel Raum für die sehr verschiedenen Schauspieler, die schon an diesem Premierenabend immer besser in den Flow zu finden scheinen. Das hebt jetzt schon in manchen Phasen ab und wird sich bestimmt noch weiter eingrooven.
Diese Inszenierung ist ein Segen für das Ensemble, eine Feier des Spiels und ein großes Zuschauerglück, entsprechend der Jubel. Dieser vierstündige, von Daniela Löffner inszenierte Abend spielt in einem dieser bewährten Jürgen-Gosch-Kästen. Alle Mitspielenden sind darin gefangen wie in einem Boxring, das Licht brezelt von vorn auf die kahle kupferne Szenerie.
Nach ihrer gefeierten Turgenjew-Adaption „Väter und Söhne“ zeigt Löffner einmal mehr, dass ihr die gruppendynamischen Tableaus liegen, sie komponiert diese polyphone Psychofuge souverän, spürt den anziehenden Konflikten nach, setzt die Drehpunkte fein, aber deutlich – und lässt viel Raum für die sehr verschiedenen Schauspieler, die schon an diesem Premierenabend immer besser in den Flow zu finden scheinen. Das hebt jetzt schon in manchen Phasen ab und wird sich bestimmt noch weiter eingrooven.
Diese Inszenierung ist ein Segen für das Ensemble, eine Feier des Spiels und ein großes Zuschauerglück, entsprechend der Jubel.
Das Zentrum der Aufführung bilden Anja Schneider als warmherzige, verzweifelt sinnsuchende Ehefrau Warja und Alexander Khuon als ihr so verweichlichter wie zynischer Mann Sergej Bassow. Auch ohne viele Worte ist ihre Abscheu füreinander immer greifbar. Ein schrecklich trauriges Dilemma, wenn sie ihn heiß umarmt, als er nackt aus der Dusche kommt, und er sie von sich weglobt mit den Worten: "Du bist eine tolle Frau, intelligent, ehrlich – und so weiter."
Auch Bernd Stempel als selbstverliebter, opportunistischer Schriftsteller Schalimow möchte man stundenlang bei seiner Desavouierung zusehen, die junge Maike Knirsch in der Rolle der noch optimistischen, lebenshungrigen und empathischen Tochter Sonja ist eine echte Entdeckung. [...]
Ein Abend, der durch das Zusammenspiel des Spitzen-Ensembles immer wieder an Höhen (und Unterhaltung) gewinnt. Und der die psychologischen Abgründe seiner Figuren zu durchleuchten versucht, die alle so schrecklich aneinander vorbeilieben. Jetzt ist Löffner zurück am DT – wieder mit einem russischen Stück, wieder mit einem hochkarätigen Ensemble besetzt. Gespielt wird Gorkis "Sommergäste", ein Stück, das vom sinnentleerten Bürgertum am Vorabend der Russischen Revolution erzählt. [...]
Das Zentrum der Aufführung bilden Anja Schneider als warmherzige, verzweifelt sinnsuchende Ehefrau Warja und Alexander Khuon als ihr so verweichlichter wie zynischer Mann Sergej Bassow. Auch ohne viele Worte ist ihre Abscheu füreinander immer greifbar. Ein schrecklich trauriges Dilemma, wenn sie ihn heiß umarmt, als er nackt aus der Dusche kommt, und er sie von sich weglobt mit den Worten: "Du bist eine tolle Frau, intelligent, ehrlich – und so weiter."
Auch Bernd Stempel als selbstverliebter, opportunistischer Schriftsteller Schalimow möchte man stundenlang bei seiner Desavouierung zusehen, die junge Maike Knirsch in der Rolle der noch optimistischen, lebenshungrigen und empathischen Tochter Sonja ist eine echte Entdeckung. [...]
Ein Abend, der durch das Zusammenspiel des Spitzen-Ensembles immer wieder an Höhen (und Unterhaltung) gewinnt. Und der die psychologischen Abgründe seiner Figuren zu durchleuchten versucht, die alle so schrecklich aneinander vorbeilieben.
Realistisches Theater ist im Deutschen Theater anzuschauen: »Sommergäste« von Gorki aus dem Jahr 1904. Besetzt mit hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern, voran Anja Schneider als Warwara Michajlowna, ihr zur Seite Alexander Khuon als Sergej Bassow. Das ungleiche Paar empfängt Sommergäste, eine Crew des russischen Mittelstandes um 1900. [...]
Gespielt wird eine knapp vier Stunden dauernde, auf 15 Personen reduzierte und behutsam aktualisierte Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers. Ohne individualistische Attitüde, ohne jenen rockigen obsessiven Dampf (heiße Luft), den Bühnen gerne ablassen. Der Text bildet die Substanz der Aufführung. Das Stück spielt an einem Sommertag. Die Sonne scheint, die Natur gibt Früchte und erfreut sich an Nässe und Winden, aber die Winde im Leben der Individuen sind ungemütlich, rau, kalt. [...]
Die Spielidee geht so: An der Hinterwand warten die Akteure auf ihren Einsatz. Einzeln, paarweise, in Gruppen treten sie vor, verhalten sich, lauschen, schweigen, treten wieder zurück. Ein so menschliches wie gefährliches Beziehungsgeflecht soll sich aufbauen. [...]
Eine Art Wettbewerb kommt in Gang. Wer ist zynischer und verzweifelter als der Rest? Wer leidet mehr unter der Dürre der Zeit? Du, ich, ihr, wir alle? Die Herrschaften schenken sich nichts. Vorwürfe und Selbstvorwürfe, persönliche Angriffe und Abwehrreaktionen machen die Runde. [...]
Dass sich nichts ändert, ist Wesenselement der Inszenierung. Stillstand schafft Unglück und - Aufstand. Die Menschen laufen umher, betätigen Körper, Geist und Sinne, möchten Liebe geben und empfangen, tanzen und feiern, und doch steht alles still. Herzerfrischend die Aufführung[...]
Realistisches Theater ist im Deutschen Theater anzuschauen: »Sommergäste« von Gorki aus dem Jahr 1904. Besetzt mit hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern, voran Anja Schneider als Warwara Michajlowna, ihr zur Seite Alexander Khuon als Sergej Bassow. Das ungleiche Paar empfängt Sommergäste, eine Crew des russischen Mittelstandes um 1900. [...]
Gespielt wird eine knapp vier Stunden dauernde, auf 15 Personen reduzierte und behutsam aktualisierte Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers. Ohne individualistische Attitüde, ohne jenen rockigen obsessiven Dampf (heiße Luft), den Bühnen gerne ablassen. Der Text bildet die Substanz der Aufführung. Das Stück spielt an einem Sommertag. Die Sonne scheint, die Natur gibt Früchte und erfreut sich an Nässe und Winden, aber die Winde im Leben der Individuen sind ungemütlich, rau, kalt. [...]
Die Spielidee geht so: An der Hinterwand warten die Akteure auf ihren Einsatz. Einzeln, paarweise, in Gruppen treten sie vor, verhalten sich, lauschen, schweigen, treten wieder zurück. Ein so menschliches wie gefährliches Beziehungsgeflecht soll sich aufbauen. [...]
Eine Art Wettbewerb kommt in Gang. Wer ist zynischer und verzweifelter als der Rest? Wer leidet mehr unter der Dürre der Zeit? Du, ich, ihr, wir alle? Die Herrschaften schenken sich nichts. Vorwürfe und Selbstvorwürfe, persönliche Angriffe und Abwehrreaktionen machen die Runde. [...]
Dass sich nichts ändert, ist Wesenselement der Inszenierung. Stillstand schafft Unglück und - Aufstand. Die Menschen laufen umher, betätigen Körper, Geist und Sinne, möchten Liebe geben und empfangen, tanzen und feiern, und doch steht alles still.
Der ist bei Andreas Pitschmann als Arzt Kirill ein gut gebauter Freund der Menschheit, nicht der Menschen und insofern selten für seine Familie da. Drumherum die Trabanten: Christoph Franken als wohlgenährter, phrasendreschender Salonlöwe Rjumin, Bernd Stempel als erschöpfter, arroganter Schriftsteller Jakow, Linn Reusse als Kalerija, die zickige, literarisierende Schwester Sergejs, Caner Sunar als smarter Ehebruchsartist Samyslow und Helmut Moosmacher als wunderbarer frohgemuter, fernsinniger, genießerischer Fabrikant "Doppelpunkt" im Ruhestand. [...]
Der baumlange Marcel Kohler zeigt ihn [Wlas] als verzweifelt albernen, zart besaiteten Kindskopf, der schon dermaßen verletzt wurde, dass ihm bloß Komik einfällt, um sich zu behaupten. Wlas trägt seine Jeans ohne Gürtel, weshalb sie ihm immer wieder von den Hüften rutscht und er sie hochziehen muss, was er wie ein alter Mann tut, der er einst sein wird, und wie ein trauriger Clown, der er noch sein muss. Bei Regine Zimmermann ist Marja, die ihn durchschaut, herausfordert und liebt, eine entschiedene, warmherzig-selbstbewusste Frau. Einerseits lehnt sie sich beim Sitzen nie an, andererseits lacht sie ohne Bosheit wenn die anderen aus der Haut fahren, weil sie begreift, wie diese verlogene Gesellschaft funktioniert - und weil sie trotzdem weder Furcht oder Schrecken empfindet, sondern offene Worte und soziale Anteilnahme bevorzugt. Unter den starken Frauen ist sie hier die stärkste, und dank Regine Zimmermann die klarste, strahlendste und die Wegweisende. [...]
Wie in Gorkis Stück die Szenen abrupt ineinander übergehen, ja sich manchmal geradezu ins Wort fallen, agiert das Ensemble auch in Daniela Löffners hoch verdichteter, von immenser Binnenspannung und freudigem Vertrauen in die Erzählungskraft des Theaters getragener Inszenierung. In ihrer mit dem Dramaturgen David Heiligers erstellten Fassung überwiegt eine heutige Redeweise ("Du solltest eine Therapie machen, Warja!"), die Kostüme von Eva Martin entsprechen der aktuellen Mode. Das freilich ist nur die niedrichschwellige Oberfläche, unter der diese großartig geschlossene Aufführung eine ganze Welt ausbreitet: als kunstvolle Einladung zum Mitdenken, Mitfühlen, Mitlernen und Mitgenießen. Daniela Löffner, die sich bereits 2015 am Deutschen Theater mit "Väter und Söhne" von Brian Friel nach dem Roman von Iwan Turgenew als meisterliche Spezialistin für groß besetzte Gesellschaftspanoramen erwiesen hat, überzeugt erneut als souveräne Breitwand-Coloristin. Sie schafft es, dass der Star des mit vier Stunden nicht zu langen Abends das Ensemble ist und alle konzentriert dem Geschehen folgen, auch wenn sie grade nichts zu tun haben. Sie sitzen dann auf Klappstühlen am Rand und sehen den Kollegen gespannt bei der Arbeit zu, ob sich Alexander Khuon und Anja Schneider als trinkfreudiger Sergej und frustrierte Warwara entwürdigende Ehekräche liefern, ob Kathleen Morgeneyer als männermordernde Julija ihren von Frank Seppeler als grantig-grauen Bauingenieur dargestellten Ehemann Pjotr ("Ich bin gern ein Spießer!") betrügt, ob Natali Seelig als Olga, Mutter von vier Kindern, mit äußerst spitzer Zunge alle inklusive ihres Gatten angiftet.
Der ist bei Andreas Pitschmann als Arzt Kirill ein gut gebauter Freund der Menschheit, nicht der Menschen und insofern selten für seine Familie da. Drumherum die Trabanten: Christoph Franken als wohlgenährter, phrasendreschender Salonlöwe Rjumin, Bernd Stempel als erschöpfter, arroganter Schriftsteller Jakow, Linn Reusse als Kalerija, die zickige, literarisierende Schwester Sergejs, Caner Sunar als smarter Ehebruchsartist Samyslow und Helmut Moosmacher als wunderbarer frohgemuter, fernsinniger, genießerischer Fabrikant "Doppelpunkt" im Ruhestand. [...]
Der baumlange Marcel Kohler zeigt ihn [Wlas] als verzweifelt albernen, zart besaiteten Kindskopf, der schon dermaßen verletzt wurde, dass ihm bloß Komik einfällt, um sich zu behaupten. Wlas trägt seine Jeans ohne Gürtel, weshalb sie ihm immer wieder von den Hüften rutscht und er sie hochziehen muss, was er wie ein alter Mann tut, der er einst sein wird, und wie ein trauriger Clown, der er noch sein muss. Bei Regine Zimmermann ist Marja, die ihn durchschaut, herausfordert und liebt, eine entschiedene, warmherzig-selbstbewusste Frau. Einerseits lehnt sie sich beim Sitzen nie an, andererseits lacht sie ohne Bosheit wenn die anderen aus der Haut fahren, weil sie begreift, wie diese verlogene Gesellschaft funktioniert - und weil sie trotzdem weder Furcht oder Schrecken empfindet, sondern offene Worte und soziale Anteilnahme bevorzugt. Unter den starken Frauen ist sie hier die stärkste, und dank Regine Zimmermann die klarste, strahlendste und die Wegweisende. [...]
Wie in Gorkis Stück die Szenen abrupt ineinander übergehen, ja sich manchmal geradezu ins Wort fallen, agiert das Ensemble auch in Daniela Löffners hoch verdichteter, von immenser Binnenspannung und freudigem Vertrauen in die Erzählungskraft des Theaters getragener Inszenierung. In ihrer mit dem Dramaturgen David Heiligers erstellten Fassung überwiegt eine heutige Redeweise ("Du solltest eine Therapie machen, Warja!"), die Kostüme von Eva Martin entsprechen der aktuellen Mode. Das freilich ist nur die niedrichschwellige Oberfläche, unter der diese großartig geschlossene Aufführung eine ganze Welt ausbreitet: als kunstvolle Einladung zum Mitdenken, Mitfühlen, Mitlernen und Mitgenießen.