
Phädra
von Jean Racine
Tragödie in fünf Akten aus dem Französischen übertragen von Friedrich Schiller
"Ich suche Mich selbst, und finde mich nicht mehr."
In Theseus Palast – der König ist seit längerem verschollen – toben verbotene Leidenschaften: Seine Frau Phädra liebt verzweifelt ihren Stiefsohn Hippolyt. Dieser wiederum liebt die feindliche Gefangene Aricia. Als Theseus Tod gemeldet wird, brechen die verborgenen Geheimnisse ans Tageslicht, werden Schuld und Scham zu irrationaler Hoffnung auf die Erfüllung verzweifelter Sehnsüchte. Doch der König lebt und kehrt schon bald zurück…
Phädra ist bei Racine ein Mensch ohne die Gnade Gottes. Ihr Begehren und das Gefühl von Schuld, das ihr Verlangen heraufbeschwört, quälen sie bis aufs Blut. Racine schrieb dieses Meisterwerk der klassischen Sprache 1677 als einen kategorischen Text über den nach Wahrheit suchenden und in seinen Leidenschaften verlorenen Menschen – ein Geschöpf voller Irrtum.
Im Heute steht dieser Text wie ein Monolith – fremd, tief, gewaltig. Die präzise Sprache beschwört Bilder und Szenen wie aus einem anderen Universum: voller Maßlosigkeit, Widersprüchlichkeit, Kampf, Tragik und Leidenschaft.
"Ich suche Mich selbst, und finde mich nicht mehr."
In Theseus Palast – der König ist seit längerem verschollen – toben verbotene Leidenschaften: Seine Frau Phädra liebt verzweifelt ihren Stiefsohn Hippolyt. Dieser wiederum liebt die feindliche Gefangene Aricia. Als Theseus Tod gemeldet wird, brechen die verborgenen Geheimnisse ans Tageslicht, werden Schuld und Scham zu irrationaler Hoffnung auf die Erfüllung verzweifelter Sehnsüchte. Doch der König lebt und kehrt schon bald zurück…
Phädra ist bei Racine ein Mensch ohne die Gnade Gottes. Ihr Begehren und das Gefühl von Schuld, das ihr Verlangen heraufbeschwört, quälen sie bis aufs Blut. Racine schrieb dieses Meisterwerk der klassischen Sprache 1677 als einen kategorischen Text über den nach Wahrheit suchenden und in seinen Leidenschaften verlorenen Menschen – ein Geschöpf voller Irrtum.
Im Heute steht dieser Text wie ein Monolith – fremd, tief, gewaltig. Die präzise Sprache beschwört Bilder und Szenen wie aus einem anderen Universum: voller Maßlosigkeit, Widersprüchlichkeit, Kampf, Tragik und Leidenschaft.
Regie Stephan Kimmig
Bühne Katja Haß
Kostüme Johanna Pfau
Licht Robert Grauel
Dramaturgie Sonja Anders
Premiere am 12. Mai 2017, Deutsches Theater
Corinna HarfouchPhädra, Tochter des Minos und der Phasiphae

Bernd StempelTheseus, König von Athen, ihr Gemahl

Alexander KhuonHippolyt, Sohn des Theseus und der Antiope

Linn ReusseAricia, aus dem Geschlechte der Pallantiden

Kathleen MorgeneyerOenone, Vertraute der Phädra

Jeremy MockridgeTheramen, Vertrauter des Hippolyt

Mascha SchneiderPanope, Vertraute der Aricia

Phädra, Tochter des Minos und der Phasiphae
Theseus, König von Athen, ihr Gemahl
Hippolyt, Sohn des Theseus und der Antiope
Aricia, aus dem Geschlechte der Pallantiden
Oenone, Vertraute der Phädra
Theramen, Vertrauter des Hippolyt
Panope, Vertraute der Aricia
Gütersloh
9. Dezember 2018
Hamburger Theater Festival
2. und 3. Oktober 2017
9. Dezember 2018
Hamburger Theater Festival
2. und 3. Oktober 2017
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Regie: Claudia Bossard
DT Kontext: Im Anschluss an die Vorstellung Vortrag und Gespräch mit Rainald Goetz
DT Bühne
19.30 - 21.50
Wiederaufnahme
Mit englischen Übertiteln
Forever Yin Forever Young
Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
20.00 - 22.40
Harfouch zeigt sehr unterschiedliche Facetten: Manchmal ist ihre Phädra erstaunlich überlegt und pragmatisch. Manchmal mädchenhaft, wenn sie von ihrer Liebe zu Hippolyt erzählt. In unbeholfener Koketterie versucht sie, ihn zu verführen. Wenn sie Theseus, den totgeglaubten Ehemann wiedersieht, wirkt sie wie eine Puppe. Ihr aufgesetztes Lachen erstarrt. Sekundenlang passiert nichts. Bis ganz langsam ihre Mundwinkel anfangen zu zucken.
Diese Phädra ist frei von Selbstmitleid und nimmt ihr Schicksal fatalistisch hin. Harfouch hat ja einen wunderbar trockenen Ton, der hier manchmal etwas Witziges hat. So wie der Abend überhaupt überraschend komische Momente hat.
Es ist eine große Ensembleleistung. Die meisten Figuren werden sichtbar, auch mit ihrer Tragik. Sie tragen heutige, zeitlose Kleidung in schwarz-weiß. Die Bühne ist leer, es gibt fast keine Requisiten, keine Musik – der Abend ist ganz auf die Schauspieler konzentriert, die Schillers Text fast unbearbeitet sprechen. [...]
Alexander Khuon als Hippolyt und Linn Reusse als Aricia haben eine verspielte Liebesszene, hin- und hergerissen zwischen der vorgeschriebenen Distanz und jugendlichem Übermut. Sie zupft ihn schüchtern am Mantel, er kann ihr kaum in Augen schauen. Die Blicke erzählen hier schon die ganze Geschichte. Linn Reusse, die seit dieser Spielzeit neu im Ensemble des Deutschen Theaters und schon mehrmals aufgefallen ist, zeigt hier wieder mal ihr Talent; sehr anrührend, wie dieser Wildfang zwischen Zurückhaltung und Leidenschaft schwankt.
Oenone, die Vertraute Phädras, spielt hier eine große Rolle. Sie dient ihr als Gegenpol, wenn sie dafür plädiert, dass Menschen menschlich sein und Schwächen haben dürfen. Kathleen Morgeneyer spielt sie tänzelnd, durchlässig und als große Tragödin: eine Frau, die ums eigene Überleben kämpft und aus Verzweiflung zur Strategin wird.
Toll und präzise ist auch Jeremy Mockridge als Hippolyts Erzieher Theramen. Er ist ungewöhnlich jung besetzt für die Rolle. Er ist gerade erst mit der Schauspielschule fertig und spielt seine erste größere Theaterrolle – ein Schauspieler, von dem man hören wird. [...]
Es gibt viel zu sehen, was auf den Bühnen zurzeit eher Mangelware ist: Perfektes Timing. Ein genauer Umgang mit Sprache. Und Vertrauen in Schauspieler. Das ist Theater pur – und erinnert manchmal in seiner Klarheit und Intensität an die großen Antiken-Abende von Michael Thalheimer. Das Tolle an der Inszenierung ist, dass sie nicht versucht, modern zu sein; zumindest nicht in einem plakativem Sinn oder im Sinn einer Aufladung des Stückes mit aktuellen Ereignissen. Sondern sie erzählt einfach die Geschichte. [...]
Harfouch zeigt sehr unterschiedliche Facetten: Manchmal ist ihre Phädra erstaunlich überlegt und pragmatisch. Manchmal mädchenhaft, wenn sie von ihrer Liebe zu Hippolyt erzählt. In unbeholfener Koketterie versucht sie, ihn zu verführen. Wenn sie Theseus, den totgeglaubten Ehemann wiedersieht, wirkt sie wie eine Puppe. Ihr aufgesetztes Lachen erstarrt. Sekundenlang passiert nichts. Bis ganz langsam ihre Mundwinkel anfangen zu zucken.
Diese Phädra ist frei von Selbstmitleid und nimmt ihr Schicksal fatalistisch hin. Harfouch hat ja einen wunderbar trockenen Ton, der hier manchmal etwas Witziges hat. So wie der Abend überhaupt überraschend komische Momente hat.
Es ist eine große Ensembleleistung. Die meisten Figuren werden sichtbar, auch mit ihrer Tragik. Sie tragen heutige, zeitlose Kleidung in schwarz-weiß. Die Bühne ist leer, es gibt fast keine Requisiten, keine Musik – der Abend ist ganz auf die Schauspieler konzentriert, die Schillers Text fast unbearbeitet sprechen. [...]
Alexander Khuon als Hippolyt und Linn Reusse als Aricia haben eine verspielte Liebesszene, hin- und hergerissen zwischen der vorgeschriebenen Distanz und jugendlichem Übermut. Sie zupft ihn schüchtern am Mantel, er kann ihr kaum in Augen schauen. Die Blicke erzählen hier schon die ganze Geschichte. Linn Reusse, die seit dieser Spielzeit neu im Ensemble des Deutschen Theaters und schon mehrmals aufgefallen ist, zeigt hier wieder mal ihr Talent; sehr anrührend, wie dieser Wildfang zwischen Zurückhaltung und Leidenschaft schwankt.
Oenone, die Vertraute Phädras, spielt hier eine große Rolle. Sie dient ihr als Gegenpol, wenn sie dafür plädiert, dass Menschen menschlich sein und Schwächen haben dürfen. Kathleen Morgeneyer spielt sie tänzelnd, durchlässig und als große Tragödin: eine Frau, die ums eigene Überleben kämpft und aus Verzweiflung zur Strategin wird.
Toll und präzise ist auch Jeremy Mockridge als Hippolyts Erzieher Theramen. Er ist ungewöhnlich jung besetzt für die Rolle. Er ist gerade erst mit der Schauspielschule fertig und spielt seine erste größere Theaterrolle – ein Schauspieler, von dem man hören wird. [...]
Es gibt viel zu sehen, was auf den Bühnen zurzeit eher Mangelware ist: Perfektes Timing. Ein genauer Umgang mit Sprache. Und Vertrauen in Schauspieler. Das ist Theater pur – und erinnert manchmal in seiner Klarheit und Intensität an die großen Antiken-Abende von Michael Thalheimer.
Corinna Harfouch allerdings, die in dieser Racineschen "Phädra"-Inszenierung von Stephan Kimmig die Titelrolle spielt, legt ihren Gefühlshaushalt – wobei es freilich nicht bleibt – zunächst wohltuend unaufgeregt offen. Analytisch fast, was einerseits die Sprache der kanonischen Tragödienübersetzung von Friedrich Schiller hervorragend zur Geltung bringt und andererseits natürlich auch eine ebenfalls nicht unangenehme Distanz zum Sujet andeutet. Denn klar: Diese antike, von Racine im 17. Jahrhundert vor höfischem Gesellschaftshintergrund aktualisierte Inzestgeschichte verströmt keinen unmittelbaren Zeitgeist-Appeal. "Im Heute steht dieser Text wie ein Monolith", schreibt das DT zu Recht in seinem Ankündigungstext, "fremd, tief gewaltig." Corinna Harfouch beeindruckt als "Phädra" im Deutschen Theater Berlin
Corinna Harfouch allerdings, die in dieser Racineschen "Phädra"-Inszenierung von Stephan Kimmig die Titelrolle spielt, legt ihren Gefühlshaushalt – wobei es freilich nicht bleibt – zunächst wohltuend unaufgeregt offen. Analytisch fast, was einerseits die Sprache der kanonischen Tragödienübersetzung von Friedrich Schiller hervorragend zur Geltung bringt und andererseits natürlich auch eine ebenfalls nicht unangenehme Distanz zum Sujet andeutet. Denn klar: Diese antike, von Racine im 17. Jahrhundert vor höfischem Gesellschaftshintergrund aktualisierte Inzestgeschichte verströmt keinen unmittelbaren Zeitgeist-Appeal. "Im Heute steht dieser Text wie ein Monolith", schreibt das DT zu Recht in seinem Ankündigungstext, "fremd, tief gewaltig."
Stephan Kimmig verwendet die Schiller-Übersetzung in Blankversen und beschwert den Text nicht mit Aktualisierungen, obwohl die Darstller heutige Kleidung tragen. Kimmig inszeniert ihn als zeitloses Drama der unterdrückten Gefühle, in dem das Begehren, das Verbergen und Enthüllen in distanzierender Brechung durchaus seine komischen und lächerlichen Seiten, vor allem aber immer auch körperlichen Konsequenzen hat. Wenn etwa Phädra dem Hippolyt (Alexander Khuon) ihre Liebe gesteht und dabei zunächst eine nervöse, eien zittrige Erotik des Nicht-Berührens entsteht. Auch der weiße, leere Bühnenraum von Katja Haß lädt mit Schrägen, Vorsprüngen und kleinen Rampen zu physischen Gefühlsentladungen ein. Es ist ein starkes Ensemble, das hier zusammenkommt und in dem besonders die Frauen überzeugen: Linn Reusse als springlebendige, kecke Aricia, Kathleen Morgeneyer als lebensbejahende, intrigierende Phädra-Vetraute Oenone und natürlich Corinna Harfouch selbst als brüchige Liebesleidende. Was hier zu sehen ist, ist pures, reines, starkes Schauspieltheater, das ganz dem Text vertraut, ihn strahlen lässt. Nicht mehr. Aber mehr als genug. Starkes Schauspiel im Deutschen Theater in Berlin: Corinna Harfouch überzeugt als "Phädra"
Stephan Kimmig verwendet die Schiller-Übersetzung in Blankversen und beschwert den Text nicht mit Aktualisierungen, obwohl die Darstller heutige Kleidung tragen. Kimmig inszeniert ihn als zeitloses Drama der unterdrückten Gefühle, in dem das Begehren, das Verbergen und Enthüllen in distanzierender Brechung durchaus seine komischen und lächerlichen Seiten, vor allem aber immer auch körperlichen Konsequenzen hat. Wenn etwa Phädra dem Hippolyt (Alexander Khuon) ihre Liebe gesteht und dabei zunächst eine nervöse, eien zittrige Erotik des Nicht-Berührens entsteht. Auch der weiße, leere Bühnenraum von Katja Haß lädt mit Schrägen, Vorsprüngen und kleinen Rampen zu physischen Gefühlsentladungen ein. Es ist ein starkes Ensemble, das hier zusammenkommt und in dem besonders die Frauen überzeugen: Linn Reusse als springlebendige, kecke Aricia, Kathleen Morgeneyer als lebensbejahende, intrigierende Phädra-Vetraute Oenone und natürlich Corinna Harfouch selbst als brüchige Liebesleidende. Was hier zu sehen ist, ist pures, reines, starkes Schauspieltheater, das ganz dem Text vertraut, ihn strahlen lässt. Nicht mehr. Aber mehr als genug.
Die Spielpraxis dieses von Stephan Kimmig arrangierten Zweistundenabends erzählt jedoch eine eigene Geschichte, es ist die Geschichte einer unheimlichen Nähe: "Phädra"als Gegenwartsstoff, als Spiegel heutiger Affektlandschaften.
Denn so wie Alexander Khuon im graublassen Strickpullover seinen Hippolyt vor die Wand stellt und in die Stirn eine Kummerfalte schiebt, wie ihm dabei die Silben stets abrutschen, wie er ohne Anlauf ins Sieden gerät, wenn er der Gefangenen Aricia seine Liebe eröffnet, was Linn Reusse gegen die Wand rennen, gleichzeitig starren und staunen, kurz einmal auch einen Tanzschritt probieren lässt, wie sie dabei mitten im Wort die Silben um Sechzehntel schneller macht, als stürzten sie unvermittelt ab; und so wie Bernd Stempel seinen Phädra-Gatten Theseus den Zorn über ihre Hippolyt-Liebe in Zynismus erstickt, wie Morgeneyer ihre Tränen und Harfouch mit teilnahmsloser Ergriffenheit ihre kalte Glut ausstellt, wie sie hier stets einander in den Rücken sprechen, wie sie die Sätze übereinander herfallen und verunglücken lassen – darin sind Menschen zu erkennen, die sich selbst nur zu gut kennen, aber nicht begreifen. [...]
Ja, sie spielen den 1677 uraufgeführten Racine-Text, sie sprechen Schillers Übersetzungsworte von 1805, verzichten auf jede Musik, jeden Lichteffekt, jede Ablenkung, aber sie aktualisieren nicht einfach einen kanonischen Text, sie werfen ihn ungebremst ins Gegenwärtige. Die Liebe als Zumutung, das Leben als Drahtseilakt, das ist der Stoff dieser dichten, anspruchsvollen Inszenierung. Das also ist Phädra: herübergekommen aus tiefer Zeit, eingekerkert in unserer Gegenwart. Sie ist bei Corinna Harfouch eine Schwebende, schwebend vor Schwere, niedergedrückt aufrecht. Wenn diese Phädra der Vertrauten Oenone die Liebe zu ihrem Stiefsohn Hippolyt gesteht, lässt Kathleen Morgeneyer Oenone in Wuttränen und Entsetzensblicke über die unmöglichen Gefühle ausbrechen: das erwartbare, verständliche Beben, die Unausweichlichkeit des Herzens. Harfouch aber legt ihre rechte Hand nicht aufs Herz, sondern darunter, Richtung Milz und Magen. Sie liebt mit den Eingeweiden, gegen sich, gegen jede Vernunft, gegen jedes geordnete Gefühl. Phädra, in einer Tragödie zu Hause und doch unsere Artgenossin, noch immer, trotz allem. [...]
Die Spielpraxis dieses von Stephan Kimmig arrangierten Zweistundenabends erzählt jedoch eine eigene Geschichte, es ist die Geschichte einer unheimlichen Nähe: "Phädra"als Gegenwartsstoff, als Spiegel heutiger Affektlandschaften.
Denn so wie Alexander Khuon im graublassen Strickpullover seinen Hippolyt vor die Wand stellt und in die Stirn eine Kummerfalte schiebt, wie ihm dabei die Silben stets abrutschen, wie er ohne Anlauf ins Sieden gerät, wenn er der Gefangenen Aricia seine Liebe eröffnet, was Linn Reusse gegen die Wand rennen, gleichzeitig starren und staunen, kurz einmal auch einen Tanzschritt probieren lässt, wie sie dabei mitten im Wort die Silben um Sechzehntel schneller macht, als stürzten sie unvermittelt ab; und so wie Bernd Stempel seinen Phädra-Gatten Theseus den Zorn über ihre Hippolyt-Liebe in Zynismus erstickt, wie Morgeneyer ihre Tränen und Harfouch mit teilnahmsloser Ergriffenheit ihre kalte Glut ausstellt, wie sie hier stets einander in den Rücken sprechen, wie sie die Sätze übereinander herfallen und verunglücken lassen – darin sind Menschen zu erkennen, die sich selbst nur zu gut kennen, aber nicht begreifen. [...]
Ja, sie spielen den 1677 uraufgeführten Racine-Text, sie sprechen Schillers Übersetzungsworte von 1805, verzichten auf jede Musik, jeden Lichteffekt, jede Ablenkung, aber sie aktualisieren nicht einfach einen kanonischen Text, sie werfen ihn ungebremst ins Gegenwärtige. Die Liebe als Zumutung, das Leben als Drahtseilakt, das ist der Stoff dieser dichten, anspruchsvollen Inszenierung.
Den Gegenpol zu ihr bietet Aricia eine junge Gefangene aus dem Feindesgeschlecht, in die sich Hippolyt verliebt hat. Während er ihr unter Tränen sein Irrsein gesteht ("Ich suche mich selbst, aber finde mich nicht mehr"), springt sie von Wand zu Wand, zieht ihm die Regenjacke über den Kopf und gibt ihm schließlich einen Schulmädchenkuss. Kurz lachen und spielen die beiden miteinander, wie zwei Königskinder, die wissen, dass sie nie zueinanderkommen werden. Die phantastische Linn Reusse spielt ihre Aricia mit leicht prolligem Unterton, als würde sie lieber brüllen als sprechen. Und doch geht ein eigentümlicher Reiz von ihr aus. Corinna Harfouch spielt die eigentlich liebestolle Königin, die ihren Stiefsohn ums Verrecken begehrt, nicht als Gefährdete, sondern als kühl Berechnende, in ihrer Erregung stets Gefasste. Ihr Schmerz über die erlittenen Demütigungen Theseus' ihres in der Ferne herumhurenden Ehemanns, hat sie von innen her ausgekühlt. Ihre Augen sind voll Zorn und Verachtung gegenüber allem, was lebt und liebt. Mit schwarzer Trauerperrücke steht sie am Anfang auf unebenem Grund und streckt die Hand gegen die weiße Wand. Nicht, um ihren Körper zu stützen, sondern, um zu zeigen, dass sie keinen Dolch in ihr versteckt hält. Noch nicht. [...]
Den Gegenpol zu ihr bietet Aricia eine junge Gefangene aus dem Feindesgeschlecht, in die sich Hippolyt verliebt hat. Während er ihr unter Tränen sein Irrsein gesteht ("Ich suche mich selbst, aber finde mich nicht mehr"), springt sie von Wand zu Wand, zieht ihm die Regenjacke über den Kopf und gibt ihm schließlich einen Schulmädchenkuss. Kurz lachen und spielen die beiden miteinander, wie zwei Königskinder, die wissen, dass sie nie zueinanderkommen werden. Die phantastische Linn Reusse spielt ihre Aricia mit leicht prolligem Unterton, als würde sie lieber brüllen als sprechen. Und doch geht ein eigentümlicher Reiz von ihr aus.
Mindestens einer muss dabei ja draufgehen. Zunächst erwischt es nicht die manisch-depressiv liebende Phädra (Corinna Harfouch), sondern ihren Stiefsohn. Alexander Khuon interpretiert den Hippolyt als sanft verklemmten Grübler, der in reizvollem Kontrast zu einer burschikosen Aricia (Linn Reusse) steht. Sie und der heimkehrende Herrscher Theseus (Bernd Stempel) gehen zur Sache: Hier wird nicht überlegt, sondern gegrabscht; der verwirrte Ehrenmann wird geknutscht, ein Hintern, wenn er halt gerade da ist, dusselig betastet. Was im wahren Leben keine zwei Wochen als Wohngemeinschaft funktionieren würde, greift auf der Bühne perfekt ineinander: Es macht Spaß, dem allgemeinen Spannungsabbau zuzusehen. Hippolyts Tod lässt die unterschiedlichen Charakterzüge letztlich nur noch deutlicher hervortreten. Theseus und Aricia arrangieren sich in Trauer miteinander. Phädra geht in loderndem Schmerz die Wände hoch. [...]
An der Stimme und am grandiosen Mienenspiel von Corinna Harfouch lässt sich ablesen, worum es bei "Phädra" für alle Zeiten gehen kann: Nur Trieb ist wahllos. Leidenschaft bleibt exklusiv gerichtet. Bekommt man beides in den Griff? Tja. Wenn ja, wird's todsicher langweilig. Ansonsten manchmal tragisch. Berlin verzichtet auf politische Assoziationen. Hausregisseur Stephan Kimmig arbeitet allgemeine Fragen ab, nach der Beherrschbarkeit von Affekten, nach Schuld, Scham, Moralität: Ist es okay, als Königin den Sohn des eigenen Mannes zu begehren? Wie riskant wird ein Geständnis, wenn der tot geglaubte Gatte plötzlich wieder auftaucht? Und was wiegt schwerer: Loyalität zu den Eltern oder der eigene Weg, die eigenen Gefühle?
Mindestens einer muss dabei ja draufgehen. Zunächst erwischt es nicht die manisch-depressiv liebende Phädra (Corinna Harfouch), sondern ihren Stiefsohn. Alexander Khuon interpretiert den Hippolyt als sanft verklemmten Grübler, der in reizvollem Kontrast zu einer burschikosen Aricia (Linn Reusse) steht. Sie und der heimkehrende Herrscher Theseus (Bernd Stempel) gehen zur Sache: Hier wird nicht überlegt, sondern gegrabscht; der verwirrte Ehrenmann wird geknutscht, ein Hintern, wenn er halt gerade da ist, dusselig betastet. Was im wahren Leben keine zwei Wochen als Wohngemeinschaft funktionieren würde, greift auf der Bühne perfekt ineinander: Es macht Spaß, dem allgemeinen Spannungsabbau zuzusehen. Hippolyts Tod lässt die unterschiedlichen Charakterzüge letztlich nur noch deutlicher hervortreten. Theseus und Aricia arrangieren sich in Trauer miteinander. Phädra geht in loderndem Schmerz die Wände hoch. [...]
An der Stimme und am grandiosen Mienenspiel von Corinna Harfouch lässt sich ablesen, worum es bei "Phädra" für alle Zeiten gehen kann: Nur Trieb ist wahllos. Leidenschaft bleibt exklusiv gerichtet. Bekommt man beides in den Griff? Tja. Wenn ja, wird's todsicher langweilig. Ansonsten manchmal tragisch.
Das liegt vor allem am starken Ensemble. Die Betonungen und Pausen sind präzise; schon die Blicke der Figuren erzählen ganze Geschichten. Fast jede Figur wird in ihrer Tragik sichtbar. Corinna Harfouch spielt Phädra als eine Frau, die mehr und mehr zu sich kommt. Als Zombie torkelt sie anfangs auf die Bühne – bleich, mit zotteliger, schwarzer Perücke, die Augen beim Sprechen geschlossen. Leuchtend und kerzengerade tritt sie in der Todesszene auf. Es ist, als würde jedes Geständnis ihrer Gefühle – erst probeweise gegenüber Oenone, dann bei Hyppolyt, und schließlich bei Theseus – ihr Kraft geben. Sie changiert zwischen mädchenhafter Schwärmerei und stoischem Fatalismus. Der trockene Tonfall von Harfouch ist angenehm pathosfrei, manchmal auch ziemlich komisch. Kathleen Morgeneyer spielt eine zutiefst anrührende Oenone. Sie, die alles geopfert hat, um Phädra treu zu sein, tritt zuerst als genervte Managerin auf. Aber hinter der kühlen Strategin steckt eine verzweifelte Frau. Linn Reusse als Aricia und Alexander Khuon als Hippolyt zeigen eine wunderbar leichte Liebesszene auf der Höhe der Zeit: sie als Energiebündel, er als Schmerzensmann. Keine Musik, auch keine Requsisiten. Dafür Körper und Text. Die Blankverse, die sich – anders als im Original – nicht reimen, fließen organisch durch die Schauspieler hindurch. Friedrich Schiller hat Racines Drama 1805 kongenial ins Deutsche übertragen. Hier, in der Stille, hört man die ganze Schönheit dieser Sprache.
Das liegt vor allem am starken Ensemble. Die Betonungen und Pausen sind präzise; schon die Blicke der Figuren erzählen ganze Geschichten. Fast jede Figur wird in ihrer Tragik sichtbar. Corinna Harfouch spielt Phädra als eine Frau, die mehr und mehr zu sich kommt. Als Zombie torkelt sie anfangs auf die Bühne – bleich, mit zotteliger, schwarzer Perücke, die Augen beim Sprechen geschlossen. Leuchtend und kerzengerade tritt sie in der Todesszene auf. Es ist, als würde jedes Geständnis ihrer Gefühle – erst probeweise gegenüber Oenone, dann bei Hyppolyt, und schließlich bei Theseus – ihr Kraft geben. Sie changiert zwischen mädchenhafter Schwärmerei und stoischem Fatalismus. Der trockene Tonfall von Harfouch ist angenehm pathosfrei, manchmal auch ziemlich komisch. Kathleen Morgeneyer spielt eine zutiefst anrührende Oenone. Sie, die alles geopfert hat, um Phädra treu zu sein, tritt zuerst als genervte Managerin auf. Aber hinter der kühlen Strategin steckt eine verzweifelte Frau. Linn Reusse als Aricia und Alexander Khuon als Hippolyt zeigen eine wunderbar leichte Liebesszene auf der Höhe der Zeit: sie als Energiebündel, er als Schmerzensmann.
Da geschieht nichts Überflüssiges. Friedrich Schillers Übersetzungstext verlebendigt sich, so wie er ist. Nichts Fremdes verschandelt ihn. An Ideen, darstellerisch genau und klar zu sein, mangelt es nicht. Jede einzelne Spielerin, jeder einzelne Spieler hat dem Ergebnis nach hart an dem schwierigen Material gearbeitet. Welcher Maler kann heute noch Pferde malen, welcher Theatermann noch mit Hochsprachlichkeit umgehen? Diese "Phädra" des Jean Baptist Racine (1639 - 1699), mit Thomas Corneille (1625 - 1709) seinerzeit der Mann des französischen Dramas, ist barockes Theater der besten Sorte, am DT umgesetzt ohne jede Attitüde, ohne billige Fratzenschneiderei, ohne fanatisches Aktualisieren. [...]
Bedeutend die Harfouch. Sie beherrscht sitzend, schreitend, balancierend, fallend ihre so tragischen wie mit Zynismen besetzten Monologe und verliert dabei die Herrschaft über sich. Behänd im Abtausch mit Oenone, ihrer Vertrauten, von Kathleen Morgeneyer so kraftvoll wie zärtlich gegeben; eine Figur, die ihrer Herrin unentwegt zuredet, abzulassen von dem Alb der Liebe. Oenone zur Seite die Panope. Mascha Schneider gibt sie als rhythmisierende Mahnerin. Phädra ist das Zentrum. Von ihren internen Leiden und Launen leitet sich alles ab. Konfliktbesetzte Seelenlagen führen zu ihr hin und von ihr weg. Alexander Khuon als Hippolyt muss sich dem Begehren seiner Mutter, die nicht die leibliche ist, dauernd erwehren. Komisch Bernd Stempels König Theseus von Athen, Gemahl der Phädra. Der Totgeglaubte - Phädra und weitere wünschten sich ihn tot - kehrt unvermutet zurück von seiner Reise. Phädra gibt ihrer Enttäuschung darüber so kaltschnäuzig wie komisch Ausdruck. Linn Reusses Aricia aus dem Geschlecht der Pallantiden ist an Agilität kaum zu übertreffen, sie hängt an Hippolyt, sie liebt ihn, turtelt, scherzt, spielt mit ihm, während ihr der Schatten Phädras im Nacken sitzt. Ist Aricia zuletzt die Siegerin? Niemand siegt. Schaudern am Schluss. Nichts ist gelöst. Die Katastrophe schreit Theramen (Jeremy Mockridge), Vertrauter des Hippolyt, machtvoll heraus. Derlei fährt unter die Haut. Diese "Phädra" zu erleben, ist ein Hochgenuss. Hoch die sprachliche Brillanz, hoch die darstellerische Qualität! Wie gute Musik und Malerei gibt es tatsächlich noch gutes Theater, eines, das jenseits von rockigen, digitalen, hypertrophen Konzeptionen die Konflikte adressiert; Theater, nackt auf die Bühne gestellt, das artikuliert statt sinnlos zu brüllen, das der menschlichen Sprache Gewicht verleiht statt sie zu vermüllen, zu vernichten. Die "Phädra"-Tragödie, die jetzt am Deutschen Theater Berlin (DT) Premiere hatte, ist ein Beispiel hierfür. Regisseur Stephan Kimmig hat das Stück mit seinem siebenköpfigen Ensemble, voran Corinna Harfouch in der Titelrolle, kristallklar auf die Bühne gebracht, sprachlich nicht minder wie gestisch und bildnerisch.
Da geschieht nichts Überflüssiges. Friedrich Schillers Übersetzungstext verlebendigt sich, so wie er ist. Nichts Fremdes verschandelt ihn. An Ideen, darstellerisch genau und klar zu sein, mangelt es nicht. Jede einzelne Spielerin, jeder einzelne Spieler hat dem Ergebnis nach hart an dem schwierigen Material gearbeitet. Welcher Maler kann heute noch Pferde malen, welcher Theatermann noch mit Hochsprachlichkeit umgehen? Diese "Phädra" des Jean Baptist Racine (1639 - 1699), mit Thomas Corneille (1625 - 1709) seinerzeit der Mann des französischen Dramas, ist barockes Theater der besten Sorte, am DT umgesetzt ohne jede Attitüde, ohne billige Fratzenschneiderei, ohne fanatisches Aktualisieren. [...]
Bedeutend die Harfouch. Sie beherrscht sitzend, schreitend, balancierend, fallend ihre so tragischen wie mit Zynismen besetzten Monologe und verliert dabei die Herrschaft über sich. Behänd im Abtausch mit Oenone, ihrer Vertrauten, von Kathleen Morgeneyer so kraftvoll wie zärtlich gegeben; eine Figur, die ihrer Herrin unentwegt zuredet, abzulassen von dem Alb der Liebe. Oenone zur Seite die Panope. Mascha Schneider gibt sie als rhythmisierende Mahnerin. Phädra ist das Zentrum. Von ihren internen Leiden und Launen leitet sich alles ab. Konfliktbesetzte Seelenlagen führen zu ihr hin und von ihr weg. Alexander Khuon als Hippolyt muss sich dem Begehren seiner Mutter, die nicht die leibliche ist, dauernd erwehren. Komisch Bernd Stempels König Theseus von Athen, Gemahl der Phädra. Der Totgeglaubte - Phädra und weitere wünschten sich ihn tot - kehrt unvermutet zurück von seiner Reise. Phädra gibt ihrer Enttäuschung darüber so kaltschnäuzig wie komisch Ausdruck. Linn Reusses Aricia aus dem Geschlecht der Pallantiden ist an Agilität kaum zu übertreffen, sie hängt an Hippolyt, sie liebt ihn, turtelt, scherzt, spielt mit ihm, während ihr der Schatten Phädras im Nacken sitzt. Ist Aricia zuletzt die Siegerin? Niemand siegt. Schaudern am Schluss. Nichts ist gelöst. Die Katastrophe schreit Theramen (Jeremy Mockridge), Vertrauter des Hippolyt, machtvoll heraus. Derlei fährt unter die Haut. Diese "Phädra" zu erleben, ist ein Hochgenuss. Hoch die sprachliche Brillanz, hoch die darstellerische Qualität!
Die Inszenierung bringt die fernen und intensiven Gefühlswelten der Protagonisten also mit einer gewissen Skepsis, aber umso glaubwürdiger in die Gegenwart der Bühne; der Text ist deutlich gekürzt. Dabei übernimmt der unerwartete Vater/Ehemann Theseus in der Darstellung von Bernd Stempel ein wenig die komisch entspannte Figur. Mit Sonnenbrille und Ignoranz seinem familiären Umfeld gegenüber beschleunigt der in die Jahre gekommene Sonnyboy unfreiwillig das Ende. [...]
Eine starke Ensembleleistung bietet eine nachvollziehbare, wenn auch relativ unterkühlte Tragödie. Die klassizistischen Gefühlswelten erscheinen vorsichtig unserer Gegenwart angenähert. Stephan Kimmig lässt am Deutschen Theater Berlin [...] ein zeitloses Drama ablaufen. [...] Corinna Harfouchs Phädra spielt von Anfang an nicht nur mit ihren schnell wachsenden Perücken, sondern kokettiert auch mit der unmöglichen Liebe zum Sohn des Gatten. "Nur keine Gefühle!", signalisiert sie mit ihren hohlen, zitatähnlichen Posen; andererseits zeigen gerade Kathleen Morgeneyer als Phädras Vertraute und Linn Reusse als unerwünschte liebende Geliebte des Hippolyt eine nervöse Unruhe und Spannung ob der kaum auflösbaren Differenzen. Und auch bei Hippolyt und Phädra schlagen die lange verleugneten Gefühle bald gnadenlos zu; und da ihre Wünsche aneinander vorbeilaufen, ist die Katastrophe schließlich nicht vermeidbar. Die hehren Gesten und Haltungen dieser Phädra sind von Anfang an auch Parodien der klassischen Tragödin. Und dennoch – und hierin liegt die große Kunst der Darstellung von Corinna Harfouch – kann sich diese Heldin von ihren distanziert vorgetragenen Gefühlen eben nicht befreien.
Die Inszenierung bringt die fernen und intensiven Gefühlswelten der Protagonisten also mit einer gewissen Skepsis, aber umso glaubwürdiger in die Gegenwart der Bühne; der Text ist deutlich gekürzt. Dabei übernimmt der unerwartete Vater/Ehemann Theseus in der Darstellung von Bernd Stempel ein wenig die komisch entspannte Figur. Mit Sonnenbrille und Ignoranz seinem familiären Umfeld gegenüber beschleunigt der in die Jahre gekommene Sonnyboy unfreiwillig das Ende. [...]
Eine starke Ensembleleistung bietet eine nachvollziehbare, wenn auch relativ unterkühlte Tragödie. Die klassizistischen Gefühlswelten erscheinen vorsichtig unserer Gegenwart angenähert.
Erst im Akt der Selbstauslöschung erlebt Phädra, gespielt von Corinna Harfouch, so etwas wie Lust. Gerade hat sie Gift genommen, ihr können die Lebenden nicht mehr viel anhaben. Nun wirft sie ihren Körper gegen die Wände der Bühne, um sich, noch vor dem Tod, die Knochen zu brechen. Dabei entsteht ein Doppellaut: das Rumms des Aufpralls, dann das seidige Wischen, mit dem ihr Körper, die Wand hinabrutscht. Immer wieder erzeugt Phädra dieses Geräusch und wenn man die Augen schließt, klingt es, als breche sich eine einzige, wiederkehrende Welle an einer Felsküste.
Sie trägt im Sterben einen Reifrock, dessen rotes Leuchten eine so beißende Aggressivität hat, dass Phädra von ihr schier verschlungen wird. Es ist ein sprechendes, ein schreiendes Kostüm, das uns zeigt, wie sehr Phädra, welche im Hass problemlos leben könnte, von der Lust überfordert wird. [...]
Der, den sie liebt, ist ihr Stiefsohn, Hippolyt. Sie offenbart sich ihm, aber er liebt eine andere, Aricia. Phädra, vom eigenen Liebesgeständnis entblößt, von unerwiderter Liebe beschämt, von Eifersucht verzehrt, kann nun nicht mehr zurück: Sie muss Unheil stiften. Corinna Harfouch treibt am Deutschen Theater Berlin ein Spiel mit der Scham: Sie verhüllt sich mit einer schwarzen Perücke, einem Schleier des Grams, unter dem sie auf der Lauer liegt. Die unmögliche Lust auf den Stiefsohn macht ihre Existenz unmöglich, sie will im Boden versinken. Dann begeht sie einen Fehler: Sie gesteht ihrer Vertrauten Oenone (Kathleen Morgeneyer) die Liebe zu Hippolyt und nun, da das unmögliche Gefühl einer Hörerin unterbreitet wurde, klingt es plötzlich plausibel, es ist in der Welt. Als Phädra dann die Nachricht erhält, ihr Ehemann, Theseus, sei in einer Schlacht gefallen, erscheint der Weg frei zu Hippolyt. Schnell wird die schwarze Perücke abgeworfen, helles, kürzeres Haar umhüllt ihren Schädel. Auch diese Haartracht reißt sie sich aus. Liebesbereitschaft bedeutet, so zeigt Harfouch, sich auf unumkehrbare Weise zu enthüllen. [...]
Die Götter sind anwesend, aber nicht mehr im Himmel, sondern in den Seelen der Figuren. Diesen Zustand untersucht, mit hellhöriger Neugier, die Inszenierung.
Die Bühne (Katja Hass) ist ein fensterloser, "unterirdisch" wirkender Raum mit Halfpipe-artigen Wänden. Kein Ort, an dem man sich gern aufhält, eher einer, durch den Massen an Material – Wasser, Schlamm, Menschen – hindurchgewälzt werden könnten. Alles ist Übergang. Nichts geht hier mehr lange gut. Aus dem Bühnenhintergrund rasen Untergebene nach vorn, als seien sie loskapultiert worden von höheren Mächten. Wo bei Racine jede Figur sich durch ein, aus heutiger Sicht, Unmaß an Text offenbart, geschieht Selbstdarstellung bei Regisseur Stephan Kimmig in der Ungeduld der Auftritte, in der Art, wie sich Figuren gegen die Sprache behaupten.
Es sind große Massen des Dialogs getilgt worden. Regie und Dramaturgie haben sich darauf verständigt, den Text, wenn auch in Sympathie für Racine, zu "unterlaufen". [...]
Unter dem Pathos der Rede spürt man bisweilen den antipathetischen Reflex, den Sicherheitsabstand der Ironie.
Bislang lacht das Publikum, ohne recht zu wissen, warum. Viele Gesten, manche Worte der Aufführung wirken "verrutscht" und werden gerade deshalb zu Okularen, mittels derer man zwischen verschiedenen Zeitebenen hindurch in die Menschentiefe schauen kann. Mehr kann eine Racine-Aufführung von heute wohl nicht leisten.
Als Hippolyt Phädra zurückweist, rammt sie ihren Unterleib gegen seinen – Pantomime des Begehrens und der Zerstörung. Dann ruft sie Venus an: "Räche dich, Göttin – räche mich!"
Dazu macht sie eine herausfordernde Handbewegung, als wolle sie die Göttin aus ihrem Himmel herunter unter die liebessüchtigen Menschen locken – in eine Falle, aus der auch Venus nicht mehr entkäme. Als wolle sie ihr sagen: Komm doch zu uns – wir werden dir den Prozess machen! Mit dieser Geste kommt Kimmigs Phädra, kurz vor ihrem Ende, in der Moderne an. Eine Frau, die nicht befugt ist zu lieben: Corinna Harfouch spielt in Racines "Phädra" am Deutschen Theater in Berlin
Erst im Akt der Selbstauslöschung erlebt Phädra, gespielt von Corinna Harfouch, so etwas wie Lust. Gerade hat sie Gift genommen, ihr können die Lebenden nicht mehr viel anhaben. Nun wirft sie ihren Körper gegen die Wände der Bühne, um sich, noch vor dem Tod, die Knochen zu brechen. Dabei entsteht ein Doppellaut: das Rumms des Aufpralls, dann das seidige Wischen, mit dem ihr Körper, die Wand hinabrutscht. Immer wieder erzeugt Phädra dieses Geräusch und wenn man die Augen schließt, klingt es, als breche sich eine einzige, wiederkehrende Welle an einer Felsküste.
Sie trägt im Sterben einen Reifrock, dessen rotes Leuchten eine so beißende Aggressivität hat, dass Phädra von ihr schier verschlungen wird. Es ist ein sprechendes, ein schreiendes Kostüm, das uns zeigt, wie sehr Phädra, welche im Hass problemlos leben könnte, von der Lust überfordert wird. [...]
Der, den sie liebt, ist ihr Stiefsohn, Hippolyt. Sie offenbart sich ihm, aber er liebt eine andere, Aricia. Phädra, vom eigenen Liebesgeständnis entblößt, von unerwiderter Liebe beschämt, von Eifersucht verzehrt, kann nun nicht mehr zurück: Sie muss Unheil stiften. Corinna Harfouch treibt am Deutschen Theater Berlin ein Spiel mit der Scham: Sie verhüllt sich mit einer schwarzen Perücke, einem Schleier des Grams, unter dem sie auf der Lauer liegt. Die unmögliche Lust auf den Stiefsohn macht ihre Existenz unmöglich, sie will im Boden versinken. Dann begeht sie einen Fehler: Sie gesteht ihrer Vertrauten Oenone (Kathleen Morgeneyer) die Liebe zu Hippolyt und nun, da das unmögliche Gefühl einer Hörerin unterbreitet wurde, klingt es plötzlich plausibel, es ist in der Welt. Als Phädra dann die Nachricht erhält, ihr Ehemann, Theseus, sei in einer Schlacht gefallen, erscheint der Weg frei zu Hippolyt. Schnell wird die schwarze Perücke abgeworfen, helles, kürzeres Haar umhüllt ihren Schädel. Auch diese Haartracht reißt sie sich aus. Liebesbereitschaft bedeutet, so zeigt Harfouch, sich auf unumkehrbare Weise zu enthüllen. [...]
Die Götter sind anwesend, aber nicht mehr im Himmel, sondern in den Seelen der Figuren. Diesen Zustand untersucht, mit hellhöriger Neugier, die Inszenierung.
Die Bühne (Katja Hass) ist ein fensterloser, "unterirdisch" wirkender Raum mit Halfpipe-artigen Wänden. Kein Ort, an dem man sich gern aufhält, eher einer, durch den Massen an Material – Wasser, Schlamm, Menschen – hindurchgewälzt werden könnten. Alles ist Übergang. Nichts geht hier mehr lange gut. Aus dem Bühnenhintergrund rasen Untergebene nach vorn, als seien sie loskapultiert worden von höheren Mächten. Wo bei Racine jede Figur sich durch ein, aus heutiger Sicht, Unmaß an Text offenbart, geschieht Selbstdarstellung bei Regisseur Stephan Kimmig in der Ungeduld der Auftritte, in der Art, wie sich Figuren gegen die Sprache behaupten.
Es sind große Massen des Dialogs getilgt worden. Regie und Dramaturgie haben sich darauf verständigt, den Text, wenn auch in Sympathie für Racine, zu "unterlaufen". [...]
Unter dem Pathos der Rede spürt man bisweilen den antipathetischen Reflex, den Sicherheitsabstand der Ironie.
Bislang lacht das Publikum, ohne recht zu wissen, warum. Viele Gesten, manche Worte der Aufführung wirken "verrutscht" und werden gerade deshalb zu Okularen, mittels derer man zwischen verschiedenen Zeitebenen hindurch in die Menschentiefe schauen kann. Mehr kann eine Racine-Aufführung von heute wohl nicht leisten.
Als Hippolyt Phädra zurückweist, rammt sie ihren Unterleib gegen seinen – Pantomime des Begehrens und der Zerstörung. Dann ruft sie Venus an: "Räche dich, Göttin – räche mich!"
Dazu macht sie eine herausfordernde Handbewegung, als wolle sie die Göttin aus ihrem Himmel herunter unter die liebessüchtigen Menschen locken – in eine Falle, aus der auch Venus nicht mehr entkäme. Als wolle sie ihr sagen: Komm doch zu uns – wir werden dir den Prozess machen! Mit dieser Geste kommt Kimmigs Phädra, kurz vor ihrem Ende, in der Moderne an.
Mit einer großartigen Corinna Harfouch in der Rolle der Minostochter Phädra und einem nicht minder ambitionierten Ensemble an ihrer Seite. Nach zwei Stunden intensivem Spiel ohne Pause gibt es stehende Ovationen für diese liebestolle, aber herzenskalte, hochmütige Rationalistin. Man kennt die rachsüchtige Phädra bislang wutschäumend und rasend, aber in Harfouchs angsteinflößender Erstarrtheit wirkt sie noch viel beeindruckender. Die weiß gehaltene Bühne ist von Katja Haß: Ein puristisch daherkommender Raum mit einer Art Halfpipe an beiden Seiten, der dazu ermuntert, gegen die Wände zu laufen oder dort Halt zu finden. [...]
Mit einer großartigen Corinna Harfouch in der Rolle der Minostochter Phädra und einem nicht minder ambitionierten Ensemble an ihrer Seite. Nach zwei Stunden intensivem Spiel ohne Pause gibt es stehende Ovationen für diese liebestolle, aber herzenskalte, hochmütige Rationalistin. Man kennt die rachsüchtige Phädra bislang wutschäumend und rasend, aber in Harfouchs angsteinflößender Erstarrtheit wirkt sie noch viel beeindruckender.
Mit dem Schicksal lässt sich nicht spielen, mit den Mauern, die es andeuten, indes schon. Corinna Harfouch führt es an der Spitze des Ensembles vor. Es sind Szenen, die in Erinnerung bleiben, etwa wie sie sich mit schwarzer Verzweiflungs-Schleier-Mähne an der Wand windet, ihrer zweifelhaft Vertrauten Oenone (Kathleen Morgeneyer) endlich eröffnet, was sie treibt: "Ich liebe ihn!" Ihn, den Stiefsohn Hippolyt, nicht dessen Vater, ihren Mann, den (Frauen-) Helden Theseus. [...]
Sehr kräftiger Beifall für fünf Kapitel Theater von klassischem Zuschnitt: "Out of order", Freiheit, Gesetz, Chaos und Tod im Schicksalsweiß, ein Entkommen allenfalls ins dunkle Ungewisse. Hohe, glatte, unten abweisend gerundete weiße Wände, Schicksalsmauern, die nicht zu überwinden sind, wo unziemliche Leidenschaften Folgen zeitigen. Die Bühnengestaltung von Katja Haß zeigt gleich den Spielraum auf. Es ist eine hohe Enge, die großes Spiel ermöglicht. [...]
Mit dem Schicksal lässt sich nicht spielen, mit den Mauern, die es andeuten, indes schon. Corinna Harfouch führt es an der Spitze des Ensembles vor. Es sind Szenen, die in Erinnerung bleiben, etwa wie sie sich mit schwarzer Verzweiflungs-Schleier-Mähne an der Wand windet, ihrer zweifelhaft Vertrauten Oenone (Kathleen Morgeneyer) endlich eröffnet, was sie treibt: "Ich liebe ihn!" Ihn, den Stiefsohn Hippolyt, nicht dessen Vater, ihren Mann, den (Frauen-) Helden Theseus. [...]
Sehr kräftiger Beifall für fünf Kapitel Theater von klassischem Zuschnitt: "Out of order", Freiheit, Gesetz, Chaos und Tod im Schicksalsweiß, ein Entkommen allenfalls ins dunkle Ungewisse.