Niemand

Tragödie in sieben Bildern von Ödön von Horváth
Regie / Bühne Dušan David Pařízek
Musikalische Leitung Marcel Braun
Dramaturgie Birgit Lengers
Deutsche Erstaufführung am 25. März 2017, Kammerspiele
Marcel KohlerFürchtegott Lehmann
Franziska MachensGilda
Wiebke MollenhauerUrsula
Frank SeppelerKaspar Lehmann
Elias ArensKlein
Lisa HrdinaKellnerin, Nachfolgerin, Backfisch
Henning VogtWladimir
Fürchtegott Lehmann
Kaspar Lehmann
Klein
Kellnerin, Nachfolgerin, Backfisch
Wladimir
Berliner Zeitung
Ulrich Seidler, 27.03.2017
Vieles in ''Niemand'', das Horváth unter dem frischen Eindruck der Hyperinflation geschrieben hat, deutet auf den späteren Dramatiker hin. Es treten prekäre Gestalten auf − gefallene Fräuleins, Prostituierte, Diebe, Zuhälter, Missgestaltete − deren Notlage moralische Abgründe aufreißt und dramatische Konflikte spannt. [...] Der 1971 im tschechischen Brno geborene Regisseur Dušan David Pařízek mochte aber bei allen Strichen nicht auf die originalen, interessanten Mängel des Stückes verzichten. Er hat die Unreife, den rohen Pathos und den verschwatzten Furor nicht herausgefiltert, sondern er geht auf Abstand. [...]

Diese Verkünstlichung ist ein kluger Zugriff, mit dem auch jeglicher Sozialkitsch vermieden wird, der eigentlich zwangsläufig entsteht, wenn sich wohlsituierte Zuschauer unreflektiert mit armen Elenden identifizieren. Da die Bedingungen des Abends schnell geklärt sind, dürfen sich Spieler und Zuschauer einlassen. Dann beginnt die Freiheit des Spiels. Und die Spieler, vor allem die Spielerinnen, nutzen sie. Franziska Machens als Gilda Amour geht das sexistische Klischee von der passionierten Hure, die ihrem Zuhälter verfallen ist, ohne irgendwelche Korrektheitshemmungen, dafür mit spielerischer Genauigkeit und Blitzschlagfertigkeit an. Lisa Hrdina bremst mit bemerkenswerter Dominanz und seltsam maschinellem Eifer in einigen der besagten Nebenrollen das Geschehen immer mal wieder ab. Und wie Wiebke Mollenhauer, als ihre Ursula den Hurenauftritt übt und sich unter Gildas Anleitung immer ordinärer und lächerlicher in die Verstellung zurückzieht, Tränen aufsteigen lässt − da ist der Abend richtig groß.

Schöne Nummern liefern Henning Vogt als schnurrbärtiger Macho Wladimir und Elias Arens als kreischig-selbstmitleidiger Musiker Klein. Die Aufmerksamkeit des Jungdramatikers galt aber eher dem ungleichen Brüderpaar Fürchtegott und Kaspar. Mit dem Ergebnis, dass diese einfach nicht fertig werden wollen, Gerechtigkeits- und Religionsfragen, sowie sonstiges Allgemeingültiges und Existenzielles zu besprechen, was Marcel Kohler und Frank Seppeler tapfer mit ironischem Gebrüll, Lachkrampfanfällen und prügelndem Körpereinsatz durchexzerzieren.
Vieles in ''Niemand'', das Horváth unter dem frischen Eindruck der Hyperinflation geschrieben hat, deutet auf den späteren Dramatiker hin. Es treten prekäre Gestalten auf − gefallene Fräuleins, Prostituierte, Diebe, Zuhälter, Missgestaltete − deren Notlage moralische Abgründe aufreißt und dramatische Konflikte spannt. [...] Der 1971 im tschechischen Brno geborene Regisseur Dušan David Pařízek mochte aber bei allen Strichen nicht auf die originalen, interessanten Mängel des Stückes verzichten. Er hat die Unreife, den rohen Pathos und den verschwatzten Furor nicht herausgefiltert, sondern er geht auf Abstand. [...]

Diese Verkünstlichung ist ein kluger Zugriff, mit dem auch jeglicher Sozialkitsch vermieden wird, der eigentlich zwangsläufig entsteht, wenn sich wohlsituierte Zuschauer unreflektiert mit armen Elenden identifizieren. Da die Bedingungen des Abends schnell geklärt sind, dürfen sich Spieler und Zuschauer einlassen. Dann beginnt die Freiheit des Spiels. Und die Spieler, vor allem die Spielerinnen, nutzen sie. Franziska Machens als Gilda Amour geht das sexistische Klischee von der passionierten Hure, die ihrem Zuhälter verfallen ist, ohne irgendwelche Korrektheitshemmungen, dafür mit spielerischer Genauigkeit und Blitzschlagfertigkeit an. Lisa Hrdina bremst mit bemerkenswerter Dominanz und seltsam maschinellem Eifer in einigen der besagten Nebenrollen das Geschehen immer mal wieder ab. Und wie Wiebke Mollenhauer, als ihre Ursula den Hurenauftritt übt und sich unter Gildas Anleitung immer ordinärer und lächerlicher in die Verstellung zurückzieht, Tränen aufsteigen lässt − da ist der Abend richtig groß.

Schöne Nummern liefern Henning Vogt als schnurrbärtiger Macho Wladimir und Elias Arens als kreischig-selbstmitleidiger Musiker Klein. Die Aufmerksamkeit des Jungdramatikers galt aber eher dem ungleichen Brüderpaar Fürchtegott und Kaspar. Mit dem Ergebnis, dass diese einfach nicht fertig werden wollen, Gerechtigkeits- und Religionsfragen, sowie sonstiges Allgemeingültiges und Existenzielles zu besprechen, was Marcel Kohler und Frank Seppeler tapfer mit ironischem Gebrüll, Lachkrampfanfällen und prügelndem Körpereinsatz durchexzerzieren.
Spiegel Online
Wolfgang Höbel, 26.03.2017
Die Entdeckung des lange verschollenen Horváth-Stücks ''Niemand'' galt 2015 als Sensation. Jetzt ist es im Deutschen Theater in Berlin zu sehen. Regisseur Parízek präsentiert das milieusatte Sittenbild eher spielerisch.

[...]

Parízek lässt ein durchgehend junges Ensemble aus drei Frauen und vier Männern erstmal mit Rasseln, Reiben und Zupfinstrumenten musizieren. So zetteln sie eine Art Klingelstreich an, der uns nach und nach in die Einzelwohnungen und Abseiten des Mietshauses führt. [...]

In unterhaltsamen zwei Stunden schildert Parízeks ''Niemand'' eine sehr ferne Welt.
Die Entdeckung des lange verschollenen Horváth-Stücks ''Niemand'' galt 2015 als Sensation. Jetzt ist es im Deutschen Theater in Berlin zu sehen. Regisseur Parízek präsentiert das milieusatte Sittenbild eher spielerisch.

[...]

Parízek lässt ein durchgehend junges Ensemble aus drei Frauen und vier Männern erstmal mit Rasseln, Reiben und Zupfinstrumenten musizieren. So zetteln sie eine Art Klingelstreich an, der uns nach und nach in die Einzelwohnungen und Abseiten des Mietshauses führt. [...]

In unterhaltsamen zwei Stunden schildert Parízeks ''Niemand'' eine sehr ferne Welt.
Theater heute
Franz Wille, 01.06.2017
Ein neues Stück von Ödön von Horváth: Nach 90 Jahren taucht "Niemand" wieder auf – in Wien und Berlin

Sieben Schauspieler müssen genügen, und die Bühne ist auch kein Treppenhaus, sondern ein klaustrophobisches Dielenparkett, das auch die Rückwand überspannt und bestenfalls Schächte öffnet, die in den nächsten Nebenkeller führen.

Der Regisseur und Bühnenbildner legt auch bei der Spielfassung eingreifend Hand an. Aus sieben Bildern wird eine gut zweistündige Session, deren Personal durchgehend am Rand sitzt und bei Bedarf die Fläche entert. [...]

Dabei glänzen Monolog-Auftritte von Lisa Hrdina und Elias Arens, die aus ihren schlecht belichteten Nebenrollen treten. So schmettert Hrdina die zähnefletschende Rede einer Chancenlosen, die ihre nicht vorhandenen Chancen um jeden Preis ergreifen wird, und Arens gibt Horváths leise duldendem Walzergeiger Klein eine federnde Schärfe, die für jede politische Radikalisierung offen steht. Und wenn Henning Vogts handgreiflicher Wladimir nach seinem Raubmord an die Rampe tritt, von seiner besten Zeit beim Militär erzählt und über den Krieg nachdenkt, dann versteht jeder, dass der Frieden danach seinesgleichen nicht viel zu bieten hat. Für Franziska Machens' Überlebensprostituierte Gilda ist der Beruf des Sich-Verkaufens dagegen eher ein schauspielerisches Phänomen, das sie mit hautengem Flower-Body mit viel Spaß an der Profession verbindet. Die Schattenseiten des Gewerbes wie der Tod am Galgen und Wladimirs Faust bleiben ihr in der Strichfassung erspart.
Ein neues Stück von Ödön von Horváth: Nach 90 Jahren taucht "Niemand" wieder auf – in Wien und Berlin

Sieben Schauspieler müssen genügen, und die Bühne ist auch kein Treppenhaus, sondern ein klaustrophobisches Dielenparkett, das auch die Rückwand überspannt und bestenfalls Schächte öffnet, die in den nächsten Nebenkeller führen.

Der Regisseur und Bühnenbildner legt auch bei der Spielfassung eingreifend Hand an. Aus sieben Bildern wird eine gut zweistündige Session, deren Personal durchgehend am Rand sitzt und bei Bedarf die Fläche entert. [...]

Dabei glänzen Monolog-Auftritte von Lisa Hrdina und Elias Arens, die aus ihren schlecht belichteten Nebenrollen treten. So schmettert Hrdina die zähnefletschende Rede einer Chancenlosen, die ihre nicht vorhandenen Chancen um jeden Preis ergreifen wird, und Arens gibt Horváths leise duldendem Walzergeiger Klein eine federnde Schärfe, die für jede politische Radikalisierung offen steht. Und wenn Henning Vogts handgreiflicher Wladimir nach seinem Raubmord an die Rampe tritt, von seiner besten Zeit beim Militär erzählt und über den Krieg nachdenkt, dann versteht jeder, dass der Frieden danach seinesgleichen nicht viel zu bieten hat. Für Franziska Machens' Überlebensprostituierte Gilda ist der Beruf des Sich-Verkaufens dagegen eher ein schauspielerisches Phänomen, das sie mit hautengem Flower-Body mit viel Spaß an der Profession verbindet. Die Schattenseiten des Gewerbes wie der Tod am Galgen und Wladimirs Faust bleiben ihr in der Strichfassung erspart.
tip
Peter Laudenbach, 19.04.2017
Dušan David Pařízek macht es sich in seiner Inszenierung in den DT-Kammerspielen nicht im Milieu-Naturalismus gemütlich. Die Bühne (ebenfalls von Pařízek) ist abstrakt: eine Holzwand mit Parkettmuster, die sich als Spielfläche auf den Boden fortsetzt. Ab und zu werden Passagen aus Horváths Manuskript auf sie projiziert. Pařízeks Regie interessiert sich für die Künstlichkeit von Horváths Versuchsanordnung und seine verfremdete Sprache. Die Doppelgängermotive der Vorlage werden ausgiebig und gekonnt benutzt, um den Künstlichkeits- und Irritationsfaktor zu erhöhen: Surrealismus statt Sozialrealismus, was dem etwas kruden Text Horváths ausgesprochen gut bekommt. Um zu betonen, dass wir Spielsituationen zusehen, sitzen alle Spieler an den Bühnenrändern, um für ihre Szenen ins Spiel zu treten. Ihr Spiel ist nur in Teilen realistisch, ausgestellt auf der Spielfläche werden die Figuren zu Spiel- und Sprechpuppen. Marcel Kohler und Frank Seppeler als die Brüder Lehmann gönnen sich Ausflüge ins Rummatschen mit Blutfarbe auf ihren nackten Körpern – so viel Gelegenheitsexpressionismus muss sein. Aber weil auch das im kühl gesetzten Rahmen der Versuchsanordnung bleibt, wirkt das erfreulicherweise nicht verschwitzt testosterongesteuert, sondern ausgesprochen klar: Die beiden Niemande wollen Jemande sein. Dušan David Pařízek macht es sich in seiner Inszenierung in den DT-Kammerspielen nicht im Milieu-Naturalismus gemütlich. Die Bühne (ebenfalls von Pařízek) ist abstrakt: eine Holzwand mit Parkettmuster, die sich als Spielfläche auf den Boden fortsetzt. Ab und zu werden Passagen aus Horváths Manuskript auf sie projiziert. Pařízeks Regie interessiert sich für die Künstlichkeit von Horváths Versuchsanordnung und seine verfremdete Sprache. Die Doppelgängermotive der Vorlage werden ausgiebig und gekonnt benutzt, um den Künstlichkeits- und Irritationsfaktor zu erhöhen: Surrealismus statt Sozialrealismus, was dem etwas kruden Text Horváths ausgesprochen gut bekommt. Um zu betonen, dass wir Spielsituationen zusehen, sitzen alle Spieler an den Bühnenrändern, um für ihre Szenen ins Spiel zu treten. Ihr Spiel ist nur in Teilen realistisch, ausgestellt auf der Spielfläche werden die Figuren zu Spiel- und Sprechpuppen. Marcel Kohler und Frank Seppeler als die Brüder Lehmann gönnen sich Ausflüge ins Rummatschen mit Blutfarbe auf ihren nackten Körpern – so viel Gelegenheitsexpressionismus muss sein. Aber weil auch das im kühl gesetzten Rahmen der Versuchsanordnung bleibt, wirkt das erfreulicherweise nicht verschwitzt testosterongesteuert, sondern ausgesprochen klar: Die beiden Niemande wollen Jemande sein.

Außerdem im Spielplan

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PREMIERE
DT Jung*

Henny & Ponger

Szenische Lesung nach einem Roman von Nils Mohl
Koproduktion von LesArt - Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur und DT Jung*
Künstlerische Leitung: Sofie Hüsler, Kristina Stang
Im Anschluss Nachgespräch mit Nils Mohl, Autor von Henny & Ponger. Moderation: Annette Wostrak von LesArt
Anschließend: Premierenparty in der Bar
Box
19.00
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
VORSTELLUNGSÄNDERUNG
von Nikolai Gogol
Aufgrund eines Krankheitsfalls im Ensemble muss die heutige Vorstellung von Liebe, einfach außerirdisch von René Pollesch (Regie: René Pollesch) leider entfallen. Stattdessen zeigen wir Tagebuch eines Wahnsinnigen von Nikolai Gogol (Regie: Hanna Rudolph). Bereits gekaufte Karten für Liebe, einfach außerirdischkönnen Sie ab sofort umbuchen oder innerhalb von 14 Tagen an der Theaterkasse zurückgeben.
DT Bühne.
20:00 - 21.15