
Der Hauptmann von Köpenick
von Carl Zuckmayer
Fassung von Jan Bosse und David Heiligers
Mitarbeit und zusätzliche Texte von Armin Petras
Wilhelm Voigt, Schuster mit krimineller Laufbahn, wird aus der Strafanstalt Plötzensee entlassen und steht pass- und identitätslos in Berlin. Ohne Papiere keine Arbeit und ohne Arbeit keine Papiere – eine Kaffeemühle. Voigt versucht alles, um wieder am normalen Leben teilhaben zu dürfen und in die Stadtgesellschaft integriert zu sein, doch nimmt von seinem kleinen Schicksal niemand Notiz. Um an seine Personalakten zu gelangen, bricht er ins Potsdamer Polizeirevier ein, was ihn erneut hinter Gitter bringt – nun für volle zehn Jahre. Das ausgeprägte Faible des Gefängnisdirektors für die Armee nutzt Voigt für sich als Weiterbildungsmaßnahme und wird während seiner Haft zum Experten im Militärwesen. Als Voigt rauskommt, steht er obdachlos einer völlig veränderten Stadt gegenüber. Berlin ist zu einer neuzeitlichen Metropole geworden, die auf einen vorbestraften Arbeitslosen nicht gewartet hat. Seine wiedergewonnene Freiheit erweist sich schnell als ihr Gegenteil und er erfährt keine Resozialisierung: die Kaffeemühle dreht sich von vorn. Doch Wilhelm Voigt gibt (sich) nicht auf und schlägt die herrschende Ordnung mit ihren eigenen Waffen. Er erwirbt eine originale Hauptmannsuniform… die Köpenickiade nimmt ihren Lauf.
Carl Zuckmayers Hauptmann von Köpenick ist ein Urberliner Stück, das 1931 in der Regie von Heinz Hilpert am Deutschen Theater uraufgeführt wurde. 86 Jahre später, an gleicher Stelle, erzählt Jan Bosse das berühmte Märchen mit Milan Peschel in der Titelrolle ins Heute hinein – eine Geschichte vom Mensch draußen.
Mitarbeit und zusätzliche Texte von Armin Petras
Wilhelm Voigt, Schuster mit krimineller Laufbahn, wird aus der Strafanstalt Plötzensee entlassen und steht pass- und identitätslos in Berlin. Ohne Papiere keine Arbeit und ohne Arbeit keine Papiere – eine Kaffeemühle. Voigt versucht alles, um wieder am normalen Leben teilhaben zu dürfen und in die Stadtgesellschaft integriert zu sein, doch nimmt von seinem kleinen Schicksal niemand Notiz. Um an seine Personalakten zu gelangen, bricht er ins Potsdamer Polizeirevier ein, was ihn erneut hinter Gitter bringt – nun für volle zehn Jahre. Das ausgeprägte Faible des Gefängnisdirektors für die Armee nutzt Voigt für sich als Weiterbildungsmaßnahme und wird während seiner Haft zum Experten im Militärwesen. Als Voigt rauskommt, steht er obdachlos einer völlig veränderten Stadt gegenüber. Berlin ist zu einer neuzeitlichen Metropole geworden, die auf einen vorbestraften Arbeitslosen nicht gewartet hat. Seine wiedergewonnene Freiheit erweist sich schnell als ihr Gegenteil und er erfährt keine Resozialisierung: die Kaffeemühle dreht sich von vorn. Doch Wilhelm Voigt gibt (sich) nicht auf und schlägt die herrschende Ordnung mit ihren eigenen Waffen. Er erwirbt eine originale Hauptmannsuniform… die Köpenickiade nimmt ihren Lauf.
Carl Zuckmayers Hauptmann von Köpenick ist ein Urberliner Stück, das 1931 in der Regie von Heinz Hilpert am Deutschen Theater uraufgeführt wurde. 86 Jahre später, an gleicher Stelle, erzählt Jan Bosse das berühmte Märchen mit Milan Peschel in der Titelrolle ins Heute hinein – eine Geschichte vom Mensch draußen.
Regie Jan Bosse
Bühne Stéphane Laimé
Kostüme Kathrin Plath
Musik Arno Kraehahn
Video Jan Speckenbach
Dramaturgie David Heiligers
Premiere
21. Dezember 2017, Deutsches Theater
21. Dezember 2017, Deutsches Theater
Milan PeschelWilhelm Voigt

Regine ZimmermannWormser, Jellinek, Gefängnisdirektor, Inspektor

Božidar KocevskiWabschke, Kalle, Pudritzki, Eisenbahner, Soldat

Felix GoeserGrenadier, Friedrich Hoprecht, Obermüller

Katrin WichmannMarie Hoprecht, Frau Obermüller

Lisa HrdinaPlörösenmieze, das kranke Mädchen, Fanny

Timo Weisschnurv. Schlettow, Oberwachtmeister, Polizist, Rosencrantz

Martin OttingWilly, Schlickmann, Kellner, Schutzmann, Bulcke, Kilian
Jan SpeckenbachLive-Kamera
Wilhelm Voigt
Wormser, Jellinek, Gefängnisdirektor, Inspektor
Wabschke, Kalle, Pudritzki, Eisenbahner, Soldat
Grenadier, Friedrich Hoprecht, Obermüller
Marie Hoprecht, Frau Obermüller
Plörösenmieze, das kranke Mädchen, Fanny
v. Schlettow, Oberwachtmeister, Polizist, Rosencrantz
Willy, Schlickmann, Kellner, Schutzmann, Bulcke, Kilian
Jan Speckenbach
Live-Kamera
Regisseur Jan Bosse arbeitet mit zusätzlichen Texten von Armin Petras. Außerdem hat Schauspieler Martin Otting Männer um die 50 auf der Straße interviewt. Diese Texte fließen immer wieder mit ein, heben das Stück noch mehr ins Hier und Jetzt. Hinzu kommt eine geschickt eingesetzte Kamera, die die Schauspieler metergroß an die Hauskulissen wirft und so mehrere Szenen gleichzeitig möglich macht.
Trotz der zwei Stunden 20 Minuten ohne Pause ist die Inszenierung kurzweilig – ein guter Einstieg für Zuckmayer-Anfänger. Die ersten sechs Minuten baut Milan Peschel als Wilhelm Voigt das Bühnenbild. Ein wirklich wunderbares, erschaffen von Stéphane Laimé. Peschel schiebt schnaufend meterhohe Häuserkulissen auf die Drehbühne, bis ein kleines, modernes Berlin-Mitte entsteht. Aus einer überdimensionalen Garderobe tritt Timo Weisschnur als Hauptmann von Schlettow, ohne Hosen aber obenrum mit DER Uniform. Und was für einer: die knallblauen Pailletten glitzern bis hoch in die vollen Ränge. Dann tritt die tolle Steffi Kühnert dazu, die wie alle, außer Peschel, mehrere Rollen spielt. [...]
Regisseur Jan Bosse arbeitet mit zusätzlichen Texten von Armin Petras. Außerdem hat Schauspieler Martin Otting Männer um die 50 auf der Straße interviewt. Diese Texte fließen immer wieder mit ein, heben das Stück noch mehr ins Hier und Jetzt. Hinzu kommt eine geschickt eingesetzte Kamera, die die Schauspieler metergroß an die Hauskulissen wirft und so mehrere Szenen gleichzeitig möglich macht.
Trotz der zwei Stunden 20 Minuten ohne Pause ist die Inszenierung kurzweilig – ein guter Einstieg für Zuckmayer-Anfänger.
Phänotypisch passt er bestens zu Zuckmayers Figurenbeschreibung: ein dünner, blasser, knochiger Typ, von einer Feldwebel-Statur keine Spur. Wie er den Hauptman gibt, treibt Zuckmayers Urberliner Posse allerdings jede Heiterkeit aus: ein wütender, in seiner Verzweiflung aufbrausender Ausgestoßener, ein schnoddriger, später sarkastischer Anarchist, der das Militär von vorneherein lächerlich findet.
Auch der Regisseur Jan Bosse nimmt dem Schwank seine Heiterkeit – nichts Versöhnliches liegt in diesem Abend. Bosse hebt ganz die gesellschaftskritische Seite des Stücks hervor, dafür hat er Interviews eingebaut, die der Autor und Regisseur Armin Petras mit Menschen geführt hat, die sich heutzutage als Ausgestoßene der Gesellschaft empfinden. Auch aktuelle Ungerechtigkeiten bezieht er ein – die Schauspielerin Steffi Kühnert erzählt etwa von ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, aus der sie jetzt, Stichwort Gentrifizierung, bald ausziehen muss. [...]
Zudem nutzt Bosse die Kostüme und die Bühne von Stéphane Laimé, um das Stück in verschiedenen Zeiten zu verorten. Zu Beginn schiebt Peschel gigantische Papphäuser herein: Plattenbauten wie am Alexanderplatz, spiegelverglaste Wolkenkratzer wie am Potsdamer Platz, aber auch das DDR-Staatsratsgebäude. Per Video werden moderne Werbebanner mit lasziven Models auf die Häuser projiziert. Die Spieler tragen einerseits preußische Pickelhauben, andererseits Bundeswehr-Tarnanzüge aus der Gegenwart. [...]
Milan Peschel ist bewegend. Wenn er eingefallen auf seinem Stuhl sitzt und die berühmten Sätze spricht, es könne doch nicht alles gewesen sein kann, im Knast Fußmatten geknüpft zu haben, auf denen jetzt alle herumtrampeln – dann sieht man einen gebrochenen Menschen dort sitzen. Die großen Fußstapfen seiner Vorgänger kann Peschel durchaus ausfüllen – wenngleich er die Rolle anders anlegt als seine Vorgänger, also eine eigene Spur legt. Während Heinz Rühmann und Harald Juhnke als eher sanfte Hauptmänner durchgehen können, bei denen auch mal eine Träne im Auge blitzte, kann bei Milan Peschel von Milde und Rührseligkeit keine Rede sein.
Phänotypisch passt er bestens zu Zuckmayers Figurenbeschreibung: ein dünner, blasser, knochiger Typ, von einer Feldwebel-Statur keine Spur. Wie er den Hauptman gibt, treibt Zuckmayers Urberliner Posse allerdings jede Heiterkeit aus: ein wütender, in seiner Verzweiflung aufbrausender Ausgestoßener, ein schnoddriger, später sarkastischer Anarchist, der das Militär von vorneherein lächerlich findet.
Auch der Regisseur Jan Bosse nimmt dem Schwank seine Heiterkeit – nichts Versöhnliches liegt in diesem Abend. Bosse hebt ganz die gesellschaftskritische Seite des Stücks hervor, dafür hat er Interviews eingebaut, die der Autor und Regisseur Armin Petras mit Menschen geführt hat, die sich heutzutage als Ausgestoßene der Gesellschaft empfinden. Auch aktuelle Ungerechtigkeiten bezieht er ein – die Schauspielerin Steffi Kühnert erzählt etwa von ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, aus der sie jetzt, Stichwort Gentrifizierung, bald ausziehen muss. [...]
Zudem nutzt Bosse die Kostüme und die Bühne von Stéphane Laimé, um das Stück in verschiedenen Zeiten zu verorten. Zu Beginn schiebt Peschel gigantische Papphäuser herein: Plattenbauten wie am Alexanderplatz, spiegelverglaste Wolkenkratzer wie am Potsdamer Platz, aber auch das DDR-Staatsratsgebäude. Per Video werden moderne Werbebanner mit lasziven Models auf die Häuser projiziert. Die Spieler tragen einerseits preußische Pickelhauben, andererseits Bundeswehr-Tarnanzüge aus der Gegenwart. [...]
Milan Peschel ist bewegend. Wenn er eingefallen auf seinem Stuhl sitzt und die berühmten Sätze spricht, es könne doch nicht alles gewesen sein kann, im Knast Fußmatten geknüpft zu haben, auf denen jetzt alle herumtrampeln – dann sieht man einen gebrochenen Menschen dort sitzen.
Von Außenseitern, Ausgestoßenen, durchs soziale Netz Gefallenen will auch Jan Bosse erzählen. [...]
Bezeichnenderweise gerät jene Szene zur Stärksten, in der Voigt mit seinem Schwager Friedrich, einem Beamten, über Staat, Ordnung, Pflichtgefühl spricht. Friedrich sagt: Du hast Pech. Was dir zusteht, das kriegste auch. Voigt sagt: Da stimmt was nicht, wenn die Ordnung gegen den Menschen geht. Das ist Gedanken-Ping-Pong, weil Felix Goeser seine Figur ernst nimmt, ein Kleinbürger, der daran glaubt, ja, glauben muss, dass alles seine Richtigkeit hat. Er hat ja auch noch was zu verlieren. Wie es in Goesers Gesicht da mahlt, wie er denkt, aber gewisse Grenzen nicht überschreiten kann, weil dann sein ganzes Sein implodierte, ist stark. [...]
Zu Beginn gibt es eine hinreißende Szene, in der Milan Peschel quer über die leere Bühne schlurft zum hohen Kulissentor im Rundhorizont. Er klopft an, horcht, kiekt. Nüscht. Gerade, als er sich wieder aufmacht, öffnet sich die Tür, hinter der hohe Quader lagern, mit Berliner Fassaden bedruckt zwischen Plattenbau und Potsdamer-Platz-Stahlglas. Eine Bauklötzchen-Metropole. [...]
Das Lach-Happy-End von Zuckmayer ist gestrichen, Peschels Voigt bleibt allein vor dem Eisernen Vorhang zurück, ein Ausgestoßener bis zuletzt. Seht her, ein Mensch! Und Peschel ist großartig! Wie er schlenzt und guckt und quasselt, geht er einem herrlich auf den Keks. Wenn er sich und uns mal wieder das Leben zurechterklärt zwischen Demut und Straßenphilosophie, dann könnte er auch als Verkäufer einer Obdachlosenzeitung durchgehen. Das ist deshalb so gut, weil sich im Publikum jeder fragen muss, wie er oder sie umgehen würde, wenn so einer um einen herumlungert – wie im Laden vom Uniform-Schneider Wormser, aus dem Steffi Kühnert eine herrlich doppelbödige Ich-sag-ja-aber-eigentlich-isses-mir-wurscht-so-lange-du-nur-zahlst-Miniatur macht. [...]
Von Außenseitern, Ausgestoßenen, durchs soziale Netz Gefallenen will auch Jan Bosse erzählen. [...]
Bezeichnenderweise gerät jene Szene zur Stärksten, in der Voigt mit seinem Schwager Friedrich, einem Beamten, über Staat, Ordnung, Pflichtgefühl spricht. Friedrich sagt: Du hast Pech. Was dir zusteht, das kriegste auch. Voigt sagt: Da stimmt was nicht, wenn die Ordnung gegen den Menschen geht. Das ist Gedanken-Ping-Pong, weil Felix Goeser seine Figur ernst nimmt, ein Kleinbürger, der daran glaubt, ja, glauben muss, dass alles seine Richtigkeit hat. Er hat ja auch noch was zu verlieren. Wie es in Goesers Gesicht da mahlt, wie er denkt, aber gewisse Grenzen nicht überschreiten kann, weil dann sein ganzes Sein implodierte, ist stark. [...]
Zu Beginn gibt es eine hinreißende Szene, in der Milan Peschel quer über die leere Bühne schlurft zum hohen Kulissentor im Rundhorizont. Er klopft an, horcht, kiekt. Nüscht. Gerade, als er sich wieder aufmacht, öffnet sich die Tür, hinter der hohe Quader lagern, mit Berliner Fassaden bedruckt zwischen Plattenbau und Potsdamer-Platz-Stahlglas. Eine Bauklötzchen-Metropole. [...]
Das Lach-Happy-End von Zuckmayer ist gestrichen, Peschels Voigt bleibt allein vor dem Eisernen Vorhang zurück, ein Ausgestoßener bis zuletzt. Seht her, ein Mensch!
Denn was man an diesem DT-Abend zweifelsohne zu sehen bekommt, ist ein Schauspielensemble in Höchstform. Katrin Wichmann etwa erzählt als Wilhelm Voigts Kleinbürger-Schwester Marie Hoprecht en passant und gleichsam mit lässigst-minimalen Strichen eine abgrundtiefe Ehetragikomödie, wenn sie aus dem vollmundigen Schwärmen über ihren Gatten – halb Angeberei vor dem Bruder, halb existenzielle Selbsterbauungsnotwendigkeit – plötzlich in feinstens ziselierten Übersprungsaussetzern explodiert. Und Felix Goeser, wechselweise als Maries rechtschaffener Cordhosen-Gatte oder als Bürgermeister von Köpenick in einem wirklich überwältigende Wülste aufwerfenden Fatsuit, steht ihr in nichts nach. Getragen wird der Abend aber natürlich von Milan Peschel, der den "Hauptmann" in Richtung Fallada’scher "Kleiner Mann" rückt: ein Prekärer und vom Leben Geschlagener, der mit seinem Urberliner (Spiel-)Witz jede Rührseligkeit genauso zielsicher auskontert wie anfallartige Existenzverzweiflungsschübe. Im aktuellen Inszenierungsfall versuchen Regisseur Jan Bosse und Dramaturg David Heiligers, die unter Mitarbeit von Armin Petras eine eigene Textfassung kreiert haben, tatsächlich eine Art programmatischen Brückenschlag zwischen dem Zuckmayer’schen und dem heutigen Berlin. Und zwar dankenswerterweise ohne das Stück einfach platterdings in die Gegenwart zu verpflanzen. Ähnlich wie bei den projizierten Stadtkulissen geht es eher um verschiedene Zeitschichten und ihre strukturellen Verbindungslinien. [...]
Denn was man an diesem DT-Abend zweifelsohne zu sehen bekommt, ist ein Schauspielensemble in Höchstform. Katrin Wichmann etwa erzählt als Wilhelm Voigts Kleinbürger-Schwester Marie Hoprecht en passant und gleichsam mit lässigst-minimalen Strichen eine abgrundtiefe Ehetragikomödie, wenn sie aus dem vollmundigen Schwärmen über ihren Gatten – halb Angeberei vor dem Bruder, halb existenzielle Selbsterbauungsnotwendigkeit – plötzlich in feinstens ziselierten Übersprungsaussetzern explodiert. Und Felix Goeser, wechselweise als Maries rechtschaffener Cordhosen-Gatte oder als Bürgermeister von Köpenick in einem wirklich überwältigende Wülste aufwerfenden Fatsuit, steht ihr in nichts nach. Getragen wird der Abend aber natürlich von Milan Peschel, der den "Hauptmann" in Richtung Fallada’scher "Kleiner Mann" rückt: ein Prekärer und vom Leben Geschlagener, der mit seinem Urberliner (Spiel-)Witz jede Rührseligkeit genauso zielsicher auskontert wie anfallartige Existenzverzweiflungsschübe.
Ein schöner, symbolträchtiger Anfang: Selbst die Stadt, die ihn nicht haben will, selbst das Umfeld, die Verhältnisse, die ihn ausstoßen, muss er eigens errichten. Ist er womöglich auch selber schuld an seinem Elend? Von der ersten Szene weg stellt diese Inszenierung die Vorlage auf eine gesellschaftskritische Perspektive um. Und Gesellschaftskritik bedeutet hier, die inneren und äußeren Widersprüche aufzudecken, das Verwickeltsein des Einzelnen, den Irrsinn des Ganzen. [...]
Im Herzen dieser Inszenierung am Deutschen Theater, wo Zuckmayers Werk 1931 uraufgeführt wurde, ist bei Bosse also der Mensch Wilhelm Voigt platziert. [...]
Das kann Milan Peschel wie es wenige können: den Irrsinn der Verhältnisse ins Innere jeder Silbe verlegen, das Rebellische in jedes Augenrollen, das Widerborstige in die Schritte und bei all dem doch wie ein Lufttänzer auszusehen, in die Zwischenräume Ironie zu schmuggeln, nie jedoch biederen Zynismus, nie die Billigkeit des Effekts. [...]
Krise ist bei Peschel kein Schlagwort, keine Floskel, sondern Zustand, konkretes dasein. Krise: "Det is nu ne öffentliche Anjelegenheit."
Das Berlinern verliert an diesem Abend übrigens jede lokalkolorierte Putzigkeit, überhaupt stehen diese zweieinhalb pausenlosen Stunden nicht im Dienste einer Milieustudie, weil Armut, Ausgrenzung und Ausbeutung keine Milieufragen (mehr) sind. [...]
Ja, das ist ein ungemein bissiger, gegenwartssatter Abend. [...]. Danke. Vom Menschen reden. Sehr leer und sehr weiß ist der Raum von Stéphane Laimé zu Beginn. Milan Peschel schlurft in viel zu weiten Hosen und viel zu großer Jacke mit viel zu sichtbaren Flecken nach hinten, steht vor einer hohen, verschlossenen Tür, klopft, stöhnt stumm, klopft wieder, geht, und im Weggehen öffnet sich das Portal. Er hat jetzt zu tun: Das Bühnenbild bauen, Hochhauselemente schieben, schwitzen, schauen, dass alles passt.
Ein schöner, symbolträchtiger Anfang: Selbst die Stadt, die ihn nicht haben will, selbst das Umfeld, die Verhältnisse, die ihn ausstoßen, muss er eigens errichten. Ist er womöglich auch selber schuld an seinem Elend? Von der ersten Szene weg stellt diese Inszenierung die Vorlage auf eine gesellschaftskritische Perspektive um. Und Gesellschaftskritik bedeutet hier, die inneren und äußeren Widersprüche aufzudecken, das Verwickeltsein des Einzelnen, den Irrsinn des Ganzen. [...]
Im Herzen dieser Inszenierung am Deutschen Theater, wo Zuckmayers Werk 1931 uraufgeführt wurde, ist bei Bosse also der Mensch Wilhelm Voigt platziert. [...]
Das kann Milan Peschel wie es wenige können: den Irrsinn der Verhältnisse ins Innere jeder Silbe verlegen, das Rebellische in jedes Augenrollen, das Widerborstige in die Schritte und bei all dem doch wie ein Lufttänzer auszusehen, in die Zwischenräume Ironie zu schmuggeln, nie jedoch biederen Zynismus, nie die Billigkeit des Effekts. [...]
Krise ist bei Peschel kein Schlagwort, keine Floskel, sondern Zustand, konkretes dasein. Krise: "Det is nu ne öffentliche Anjelegenheit."
Das Berlinern verliert an diesem Abend übrigens jede lokalkolorierte Putzigkeit, überhaupt stehen diese zweieinhalb pausenlosen Stunden nicht im Dienste einer Milieustudie, weil Armut, Ausgrenzung und Ausbeutung keine Milieufragen (mehr) sind. [...]
Ja, das ist ein ungemein bissiger, gegenwartssatter Abend. [...]. Danke.
Immer wieder injiziert Bosse Gegenwart in den Stoff und wird dabei überdeutlich. Es geht ihm dabei auch um die Kritik an der Obrigkeitshörigkeit, vor allem aber interessiert er sich für den randständigen Menschen, der rausgefallen ist aus der Gesellschaft und partout nicht wieder reinfindet, für die Ungerechtigkeit, die all dem innewohnt. Dafür hat er den Text zusammen mit David Heiligers bearbeitet und zusätzliche Passagen von Armin Petras eingebaut. [...]
Milan Peschel ist ein hervorragender, zeitloser und sehr präsenter Wilhelm Voigt. Immer ein bisschen gebeugt und zerknautscht, aber mit schnoddrigen Mutterwitz. Und er berlinert mit Gebraus! Natürlich denkt man die berühmten Vorgänger-"Hauptmänner" dabei immer mit, Heinz Rühmann zum Beispiel oder Harald Juhnke, letzteren zitiert er sogar einmal. Aber Peschels Wilhelm Voigt hat ein ganz eigenes Format, der ist kein sich durchlavierender Filou, sondern einer, der stinksauer ist auf die ganze Bürokratie, der anständig sein will, aber man lässt ihn ja nicht. Eine bei allem Witz dennoch traurige Gestalt, die immer wieder überkocht. Manchmal etwas zu laut, die leiseren Szenen sind seine besten, hier offenbart sich seine Gebrochenheit. Das ist ein enorm starker Anfang, mit dem Regisseur Jan Bosse seine "Hauptmann von Köpenick"-Inszenierung eröffnet. Da ist alles schon drin: die Hoffnung, die Mühsal und natürlich die Stadt, die immer größer wird und den schmalen Voigt beinahe zu zerquetschen droht. [...]
Immer wieder injiziert Bosse Gegenwart in den Stoff und wird dabei überdeutlich. Es geht ihm dabei auch um die Kritik an der Obrigkeitshörigkeit, vor allem aber interessiert er sich für den randständigen Menschen, der rausgefallen ist aus der Gesellschaft und partout nicht wieder reinfindet, für die Ungerechtigkeit, die all dem innewohnt. Dafür hat er den Text zusammen mit David Heiligers bearbeitet und zusätzliche Passagen von Armin Petras eingebaut. [...]
Milan Peschel ist ein hervorragender, zeitloser und sehr präsenter Wilhelm Voigt. Immer ein bisschen gebeugt und zerknautscht, aber mit schnoddrigen Mutterwitz. Und er berlinert mit Gebraus! Natürlich denkt man die berühmten Vorgänger-"Hauptmänner" dabei immer mit, Heinz Rühmann zum Beispiel oder Harald Juhnke, letzteren zitiert er sogar einmal. Aber Peschels Wilhelm Voigt hat ein ganz eigenes Format, der ist kein sich durchlavierender Filou, sondern einer, der stinksauer ist auf die ganze Bürokratie, der anständig sein will, aber man lässt ihn ja nicht. Eine bei allem Witz dennoch traurige Gestalt, die immer wieder überkocht. Manchmal etwas zu laut, die leiseren Szenen sind seine besten, hier offenbart sich seine Gebrochenheit.
Das Männchen ist der Schuster Voigt, ein entlassener Häftling. So beginnt am Deutschen Theater Berlin Jan Bosses Inszenierung eines etwas zu Unrecht verachteten Klassikers. "Der Hauptmann von Köpenick" von Carl Zuckmayer ist ein bemerkenswertes Werk. Das erste Bild der Inszenierung zeigt eine große Einsamkeit und eine ziemlich fürchterliche Sinnlosigkeit. Dass diese Szene so traurig ist, liegt auch an Milan Peschel. Er spielt den Häftling Voigt mit einer Härte, Lakonie und Deutlichkeit, die keine Sentimentalität aufkommen lässt. Die Verzweiflung der Figur ist nüchtern sachbezogen. Ein Mann läuft gegen eine Wand. Eigentlich ist es eher ein Männchen. Er humpelt, er ist schlecht anzogen, er kommt in der Welt offenbar nicht sehr gut zurecht. Aber er gibt nicht auf. Er stürmt immer weiter an gegen die Ordnung eines Systems, in dem es keinen Platz für ihn gibt. [...]
Das Männchen ist der Schuster Voigt, ein entlassener Häftling. So beginnt am Deutschen Theater Berlin Jan Bosses Inszenierung eines etwas zu Unrecht verachteten Klassikers. "Der Hauptmann von Köpenick" von Carl Zuckmayer ist ein bemerkenswertes Werk. Das erste Bild der Inszenierung zeigt eine große Einsamkeit und eine ziemlich fürchterliche Sinnlosigkeit. Dass diese Szene so traurig ist, liegt auch an Milan Peschel. Er spielt den Häftling Voigt mit einer Härte, Lakonie und Deutlichkeit, die keine Sentimentalität aufkommen lässt. Die Verzweiflung der Figur ist nüchtern sachbezogen.
Zwischen die im Altberliner Dialekt gesprochenen Dialoge lässt Regissuer Jan Bosse Monologfragmente von Armin Petras einfließen: Martin Otting schildert auf schlicht-schneidende Weise den Alltag eines Flaschenpfandsammlers, der die verschiedenen Taktiken des "Mülleimerhineinschauens" erklärt. Und aus der wunderbaren Steffi Kühnert bricht an einer Stelle eine herzbewegende Rentnerinnen-Suada heruas: 35 Jahre wohnt sie schon als Alt-Prenzlbergerin in Berlin, jetzt soll sie raus aus ihrer Wohnung. Milan Peschel spielt den von Amt zu Amt gehetzten, von allen gedemütigten Außenseiter vor, zwischen und in fahrbaren Hochkulissen, auf die Stéphane Laimé Fotografien von Enblemen des Berliner Wohlstands gedruckt hat [...].
Zwischen die im Altberliner Dialekt gesprochenen Dialoge lässt Regissuer Jan Bosse Monologfragmente von Armin Petras einfließen: Martin Otting schildert auf schlicht-schneidende Weise den Alltag eines Flaschenpfandsammlers, der die verschiedenen Taktiken des "Mülleimerhineinschauens" erklärt. Und aus der wunderbaren Steffi Kühnert bricht an einer Stelle eine herzbewegende Rentnerinnen-Suada heruas: 35 Jahre wohnt sie schon als Alt-Prenzlbergerin in Berlin, jetzt soll sie raus aus ihrer Wohnung.
Timo Weisschnur war am Deutschen Theater Berlin länger nicht zu sehen und darf diesmal sein komödiantisches Talent zeigen. Peschel und Weisschnur spielen die Gegensätze zwischen dem geduckt-ängstlichen Schuster Voigt, der sich später als Hauptmann ausgeben wird, und dem selbstherrlich-herablassenden Adligen in Glitzeruniform von Lettow gekonnt aus. Später drehen sie den Spieß um: Sobald Peschel die Uniform des Hauptmanns anhat, steht Weisschnur in der Rolle des dienstbeflissenen Kassenwarts Rosencrantz stramm und schlägt die Hacken zusammen. Für komische Momente sorgen auch die Szenen von Peschel mit Bozidar Kocevski als Sidekick und Ganoven-Kumpel in mehreren Nebenrollen. [...]
Regisseur Jan Bosse, sein langjähriger Bühnenbildner Stéphane Laimé sowie David Heiligers und Armin Petras, die am Text mitgearbeitet haben, konzentrieren sich jedoch weniger auf Militarismus und Drill, sondern rücken die Verzweiflung und soziale Verelendung des Schusters Voigt in den Mittelpunkt. Der Abend porträtiert ein Berlin, in dem sich die Schere zwischen Arm und Reich deutlich öffnet. Mit seinem stets verschmitzt-melancholischen Blick, seinen hängenden Schultern und seinem Faible für Underdog-Rollen ist Milan Peschel eine exzellente Besetzung für den "Hauptmann von Köpenick". [...]
Timo Weisschnur war am Deutschen Theater Berlin länger nicht zu sehen und darf diesmal sein komödiantisches Talent zeigen. Peschel und Weisschnur spielen die Gegensätze zwischen dem geduckt-ängstlichen Schuster Voigt, der sich später als Hauptmann ausgeben wird, und dem selbstherrlich-herablassenden Adligen in Glitzeruniform von Lettow gekonnt aus. Später drehen sie den Spieß um: Sobald Peschel die Uniform des Hauptmanns anhat, steht Weisschnur in der Rolle des dienstbeflissenen Kassenwarts Rosencrantz stramm und schlägt die Hacken zusammen. Für komische Momente sorgen auch die Szenen von Peschel mit Bozidar Kocevski als Sidekick und Ganoven-Kumpel in mehreren Nebenrollen. [...]
Regisseur Jan Bosse, sein langjähriger Bühnenbildner Stéphane Laimé sowie David Heiligers und Armin Petras, die am Text mitgearbeitet haben, konzentrieren sich jedoch weniger auf Militarismus und Drill, sondern rücken die Verzweiflung und soziale Verelendung des Schusters Voigt in den Mittelpunkt. Der Abend porträtiert ein Berlin, in dem sich die Schere zwischen Arm und Reich deutlich öffnet.
Jan Bosse rückt den "Hauptmann von Köpenick" ins Berlin der Gegenwart. Sein Voigt ist ein Loser unter dem Diktat des Kapitals. Fehlen dir Pass, Arbeit und Wohnung, kannste nüscht werden im Leben, lernt er. [...]
Und mit einer Idealbesetzung in der Titelrolle: Milan Peschel ist ein gedemütigter, aber kraftvoll heller Hauptmann von Köpenick. So schön wird auf Bühnen selten berlinert. Es ist ja auch ein Heimatabend par excellence: Carl Zuckmayers Drama um die Köpenickiade des Schusters Wilhelm Voigt, der in falscher Uniform Soldaten kommandiert, das Köpenicker Rathaus besetzt und die Stadtkasse raubt, kam hier im Deutschen Theater 1931 zur Uraufführung. Als Fanal gegen den Militarismus des angehenden Nazi-Reichs.
Jan Bosse rückt den "Hauptmann von Köpenick" ins Berlin der Gegenwart. Sein Voigt ist ein Loser unter dem Diktat des Kapitals. Fehlen dir Pass, Arbeit und Wohnung, kannste nüscht werden im Leben, lernt er. [...]
Und mit einer Idealbesetzung in der Titelrolle: Milan Peschel ist ein gedemütigter, aber kraftvoll heller Hauptmann von Köpenick.
Uraufgeführt wurde das "deutsche Märchen" um den Etikettenschwindel des vorbestraften Schusters, der als Hauptmann verkleidet das Rathaus von Köpenick besetzt, 1931 am Deutschen Theater Berlin. Und genau dort bürstet Jan Bosse jetzt mit seiner herausragenden Inszenierung die Uniform des falschen Hauptmanns auf. [...]
Seine Zuckmayer-Lesart nun ist die der Tragik hinter der Köpenickiade: Der Einzelne, der gestrauchelt ist und nicht Fuß fassen kann in der anonymen Welt.[...]
ass dieser Voigt gar keine Wahl hat, macht Milan Peschel glaubhaft deutlich. Er spielt ihn nicht rührend und heiter wie Rühmann oder volkstümlich wie Juhnke – Peschel grundiert ihn von Anfang an als störrischen Ausgestoßenen. Authentisch wirkt das, wie überhaupt dieser große Theaterabend ganz nah dran ist am Leben in der Stadt. Dazu tragen auch die zusätzlichen Texte von Armin Petras bei – mit Gebrauchsanweisung für Pfandgutsammler und Kritik an der Wohnungsnot. So gelingt der Brückenschlag ins Heute. Es ist das Berliner Stück schlechthin.
Uraufgeführt wurde das "deutsche Märchen" um den Etikettenschwindel des vorbestraften Schusters, der als Hauptmann verkleidet das Rathaus von Köpenick besetzt, 1931 am Deutschen Theater Berlin. Und genau dort bürstet Jan Bosse jetzt mit seiner herausragenden Inszenierung die Uniform des falschen Hauptmanns auf. [...]
Seine Zuckmayer-Lesart nun ist die der Tragik hinter der Köpenickiade: Der Einzelne, der gestrauchelt ist und nicht Fuß fassen kann in der anonymen Welt.[...]
ass dieser Voigt gar keine Wahl hat, macht Milan Peschel glaubhaft deutlich. Er spielt ihn nicht rührend und heiter wie Rühmann oder volkstümlich wie Juhnke – Peschel grundiert ihn von Anfang an als störrischen Ausgestoßenen. Authentisch wirkt das, wie überhaupt dieser große Theaterabend ganz nah dran ist am Leben in der Stadt. Dazu tragen auch die zusätzlichen Texte von Armin Petras bei – mit Gebrauchsanweisung für Pfandgutsammler und Kritik an der Wohnungsnot. So gelingt der Brückenschlag ins Heute.