
Gertrud
von Einar Schleef
nach dem gleichnamigen Roman
in einer Bühnenfassung von Jakob Fedler
Gelebte und lebendige Geschichte des 20. Jahrhunderts: „Meine Kindheit fiel ins Kaiserreich, der Sportplatz in der Weimaraner, die Ehe auf Hitler und das Alter in die DDR. Wohin mein Kopf. Das 1000-jährige Gottesreich erleb ich nimmer." Gertrud pflegt ihren kranken Mann Willy bis zu seinem Tod. Sie bleibt allein in der thüringischen Kleinstadt Sangerhausen zurück, versucht sich neu zurechtzufinden, begleitet von ihren Erinnerungen. Sie trifft Freundinnen, besucht ihre Söhne in Berlin und Westdeutschland, läuft durch ihre Heimatstadt, spricht mit ihrem toten Mann, sucht eine neue Liebe, sehnt sich nach dem Tod.
Einar Schleefs Roman Gertrud ist ein eigenwilliger, sprunghafter, sich preisgebender Erzählsturm. Schleef schrieb den fiktionalen Monolog seiner Mutter Gertrud, einer Näherin, als ein schroffes und wütendes, sehnsüchtiges und gieriges sich Mitteilen einer „anständigen Frau“, aber auch als eine an ihren Toten vereinsamende Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Kaiserreich und später DDR. Mit dem Hintergrund der Industrie- und Bergbaustadt Sangerhausen verweist Schleef zugleich auf die Zerrüttung der Verheißungen des industriellen Zeitalters und dessen proletarischer Milieus, verweist auf kleinbürgerlichen Überlebenszwang und das beständige Ausbleiben der Zukunft.
in einer Bühnenfassung von Jakob Fedler
Gelebte und lebendige Geschichte des 20. Jahrhunderts: „Meine Kindheit fiel ins Kaiserreich, der Sportplatz in der Weimaraner, die Ehe auf Hitler und das Alter in die DDR. Wohin mein Kopf. Das 1000-jährige Gottesreich erleb ich nimmer." Gertrud pflegt ihren kranken Mann Willy bis zu seinem Tod. Sie bleibt allein in der thüringischen Kleinstadt Sangerhausen zurück, versucht sich neu zurechtzufinden, begleitet von ihren Erinnerungen. Sie trifft Freundinnen, besucht ihre Söhne in Berlin und Westdeutschland, läuft durch ihre Heimatstadt, spricht mit ihrem toten Mann, sucht eine neue Liebe, sehnt sich nach dem Tod.
Einar Schleefs Roman Gertrud ist ein eigenwilliger, sprunghafter, sich preisgebender Erzählsturm. Schleef schrieb den fiktionalen Monolog seiner Mutter Gertrud, einer Näherin, als ein schroffes und wütendes, sehnsüchtiges und gieriges sich Mitteilen einer „anständigen Frau“, aber auch als eine an ihren Toten vereinsamende Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Kaiserreich und später DDR. Mit dem Hintergrund der Industrie- und Bergbaustadt Sangerhausen verweist Schleef zugleich auf die Zerrüttung der Verheißungen des industriellen Zeitalters und dessen proletarischer Milieus, verweist auf kleinbürgerlichen Überlebenszwang und das beständige Ausbleiben der Zukunft.
Premiere
15. Dezember 2017, Kammerspiele
Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum
15. Dezember 2017, Kammerspiele
Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum
Antonia Bill

Wolfram Koch

Almut Zilcher

Sangerhausen
2. November 2018
2. November 2018
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Regie: Claudia Bossard
DT Kontext: Im Anschluss an die Vorstellung Vortrag und Gespräch mit Rainald Goetz
DT Bühne
19.30 - 21.50
Wiederaufnahme
Mit englischen Übertiteln
Forever Yin Forever Young
Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
20.00 - 22.40
Die relativ karge Bühnenhandlung kreist um eine bronzene Schräge mit einem geöffneten Sarg, in dem angeblich der tote Willy liegt. Um den trauert nun Gertrud, gespielt vonWolfram Kochin Bluse und Rock. Feinfühlig macht er das, bietet all seine Sprech- und Schauspielkunst auf. Glaubhaft schildert er/sie ihren körperlichen Verfall, den krummen Rücken, den schmerzenden Arm, den sie sich am liebsten selbst abhacken möchte. [...]
Zuletzt rennt die junge Gertrud erneut, die mittlere taucht ebenfalls auf, und Koch mimt wieder die einsame Witwe, deren Gedanken und Erinnerungen – typisch für den Autor und Regisseur Einar Schleef – übereinander purzeln. Sein Fazit: Keine Zukunft für die alte kranke Mutter – nirgends. Ein hartes, realistisches Ende.
Danach herzlicher Schlussbeifall für die drei Darsteller und das Regieteam. Jakob Fedler hat aus diesem tausendseitigen, teils wütenden, teils wehleidigen Gedanken- und Erzähl-Konvolut eine knapp zweistündige Bühnenfassung extrahiert und führt auch Regie in den Kammerspielen vom Deutschen Theater bei dieser Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum. [...]
Die relativ karge Bühnenhandlung kreist um eine bronzene Schräge mit einem geöffneten Sarg, in dem angeblich der tote Willy liegt. Um den trauert nun Gertrud, gespielt vonWolfram Kochin Bluse und Rock. Feinfühlig macht er das, bietet all seine Sprech- und Schauspielkunst auf. Glaubhaft schildert er/sie ihren körperlichen Verfall, den krummen Rücken, den schmerzenden Arm, den sie sich am liebsten selbst abhacken möchte. [...]
Zuletzt rennt die junge Gertrud erneut, die mittlere taucht ebenfalls auf, und Koch mimt wieder die einsame Witwe, deren Gedanken und Erinnerungen – typisch für den Autor und Regisseur Einar Schleef – übereinander purzeln. Sein Fazit: Keine Zukunft für die alte kranke Mutter – nirgends. Ein hartes, realistisches Ende.
Danach herzlicher Schlussbeifall für die drei Darsteller und das Regieteam.
Schleef, der einst selbst große Chöre inszenierte, hat gern von „Chor-Riss“, von „Chor-Sprengung“ gesprochen, denn der Riss gehöre als Ausdruck einer ureigenen menschlichen Zerrissenheit zu jedem Chor immer dazu. Sie lässt sich nicht auflösen, nur durch den Rausch, nur als Droge.
Der Rausch soll an diesem Abend durch Verzicht entstehen: Das Mutter-Trio hat keine Requisiten, keine Musik, kaum Lichtwechsel. Es hat Sprache, Gänge, Gestik. Reduktion als Mittel der Vergrößerung. In den zehn Punkten für Schauspieler, die Einar Schleef vor 25 Jahren notierte und hier freundlicherweise auf den Programmzettel gedruckt sind, heißt es an sechster Stelle: „Picasso sagt: Wenn du mit drei Farben malen kannst, male mit zwei.“ Das wird bei Fedler wörtlich genommen: Sie malen mit Worten ihre Figuren an, von grellbunt bis grautrüb. Sie gefallen sich in Witznummern und Traueretüden. Sie hüpfen frohgemut vom Komischen ins Tragische. [...] Ein Chor bietet sich an, und chorisch lässt auch Jakob Fedler seine Inszenierung beginnen. Almut Zilcher, Antonia Bill und Wolfram Koch bauen sich hinter dem Sarg auf: forsch ins Publikum geschaut und stramm einen Satz gesprochen, den sie noch mehrfach wiederholen werden, seiner Leitmotivik wegen [...]
Schleef, der einst selbst große Chöre inszenierte, hat gern von „Chor-Riss“, von „Chor-Sprengung“ gesprochen, denn der Riss gehöre als Ausdruck einer ureigenen menschlichen Zerrissenheit zu jedem Chor immer dazu. Sie lässt sich nicht auflösen, nur durch den Rausch, nur als Droge.
Der Rausch soll an diesem Abend durch Verzicht entstehen: Das Mutter-Trio hat keine Requisiten, keine Musik, kaum Lichtwechsel. Es hat Sprache, Gänge, Gestik. Reduktion als Mittel der Vergrößerung. In den zehn Punkten für Schauspieler, die Einar Schleef vor 25 Jahren notierte und hier freundlicherweise auf den Programmzettel gedruckt sind, heißt es an sechster Stelle: „Picasso sagt: Wenn du mit drei Farben malen kannst, male mit zwei.“ Das wird bei Fedler wörtlich genommen: Sie malen mit Worten ihre Figuren an, von grellbunt bis grautrüb. Sie gefallen sich in Witznummern und Traueretüden. Sie hüpfen frohgemut vom Komischen ins Tragische. [...]
Der Regisseur Jakob Fedler rahmt seine Inszenierung am Deutschen Theater Berlin jetzt mit einem Refrain, der schon ahnen lasst, dass gerade die Brüche in Gertruds Leben ihn interessieren: "Meine Kindheit fiel ins Kaiserreich, der Sportplatz in der Weimaraner, die Ehe auf Hitler und das Alter in die DDR. Wohin mein Kopf. Viermal Deutsches Reich, das fünfte ist zwei Meter lang."Die Geschichte von Gertrud ist auch eine, um der deutschen Geschichte auf die Spur zu kommen.[...]
Gertrud durchschaut sich. Manchmal. Das macht einen Teil der Komik aus, die dieser Text auch hat. Ebenso wie das Dazwischenfunken des Körpers, der mit Jucken, Furzen und Blut ihre Gedanken unterläuft. Wolfram Koch schafft es, die skurrilen Seiten im Kampf gegen den Widerstand des Körpers auszuagieren.
Diese verschiedenen Zeithorizonte und Gefühlsebenen sind in "Gertrud" immer nebeneinander gegenwärtig, und das transportiert auch diese Inszenierung gut. Allmählich schlüsselt sich ihr Leben auf, die Bitterkeit, die Einsamkeit, der Leib gewordene Vorwurf. [...]
Knapp zwei Stunden dauert die Inszenierung und bringt dabei doch erstaunlich viele Gertrud-Momente auf die Bühne. Das puzzelt sich so nach und nach zusammen, ohne sich je allzu sehr Bedeutung zu geben. Es ist ein Schleef-Abend der leichteren Art und vielleicht deshalb ganz gut, um sich mit ihm anzufreunden. "Gertrud" ist ein Roman von Einar Schleef, ein wuchtiger Text über seine Mutter, fantasiert als Monolog, boshaft oft im Blick auf den Mann, die Söhne und auch auf das eigene Leid. [...]
Der Regisseur Jakob Fedler rahmt seine Inszenierung am Deutschen Theater Berlin jetzt mit einem Refrain, der schon ahnen lasst, dass gerade die Brüche in Gertruds Leben ihn interessieren: "Meine Kindheit fiel ins Kaiserreich, der Sportplatz in der Weimaraner, die Ehe auf Hitler und das Alter in die DDR. Wohin mein Kopf. Viermal Deutsches Reich, das fünfte ist zwei Meter lang."Die Geschichte von Gertrud ist auch eine, um der deutschen Geschichte auf die Spur zu kommen.[...]
Gertrud durchschaut sich. Manchmal. Das macht einen Teil der Komik aus, die dieser Text auch hat. Ebenso wie das Dazwischenfunken des Körpers, der mit Jucken, Furzen und Blut ihre Gedanken unterläuft. Wolfram Koch schafft es, die skurrilen Seiten im Kampf gegen den Widerstand des Körpers auszuagieren.
Diese verschiedenen Zeithorizonte und Gefühlsebenen sind in "Gertrud" immer nebeneinander gegenwärtig, und das transportiert auch diese Inszenierung gut. Allmählich schlüsselt sich ihr Leben auf, die Bitterkeit, die Einsamkeit, der Leib gewordene Vorwurf. [...]
Knapp zwei Stunden dauert die Inszenierung und bringt dabei doch erstaunlich viele Gertrud-Momente auf die Bühne. Das puzzelt sich so nach und nach zusammen, ohne sich je allzu sehr Bedeutung zu geben. Es ist ein Schleef-Abend der leichteren Art und vielleicht deshalb ganz gut, um sich mit ihm anzufreunden.
Mit einem exquisiten Ensemble aus Antonia Bill und den alten Bochum-Bekannten Almut Zilcher und Wolfram Koch gelingt ihm ein kongenialer Nachvollzug von Schleefs Projekt: Der Autor zeichnete ein Bild seiner 60-jährigen, im ostdeutschen Sangershausen lebenden Mutter zwischen Realität und Fiktion. Er mischte Tagebuch- und Gesprächsaufzeichnungen mit erdachten Bewusstseinsströmen. [...]
Vor allem Wolfram Kochs Spiel zwischen Einfühlung und Kommentar ist schlichtweg genial, die Inszenierung, die nur selten gespielt wird, unbedingt sehenswert. Einar Schleefs Tausend-Seiten-Roman "Gertrud" auf die Bühne zu bringen, ist eine dieser unlösbaren Aufgaben, die, wenn sie in fähige Hände geraten, doch gelingen können. Jakob Fedlers Inszenierung, die als Koproduktion des Schauspielhauses Bochum mit dem Deutschen Theater Berlin entstanden ist, ist solch ein Glücksfall. [...]
Mit einem exquisiten Ensemble aus Antonia Bill und den alten Bochum-Bekannten Almut Zilcher und Wolfram Koch gelingt ihm ein kongenialer Nachvollzug von Schleefs Projekt: Der Autor zeichnete ein Bild seiner 60-jährigen, im ostdeutschen Sangershausen lebenden Mutter zwischen Realität und Fiktion. Er mischte Tagebuch- und Gesprächsaufzeichnungen mit erdachten Bewusstseinsströmen. [...]
Vor allem Wolfram Kochs Spiel zwischen Einfühlung und Kommentar ist schlichtweg genial, die Inszenierung, die nur selten gespielt wird, unbedingt sehenswert.
Alle drei sind Gertrud: Almut Zilcher spielt die noch rüstige Seniorin, die in einer thüringischen Kleinstadt ihren kranken Mann Willy pflegt. Antonia Bill ist die blühende Gertrud, die einst eine große Leichtathletin war. Und Wolfram Koch, der nach seinem Solo "Tod des Lehrers" an sperrigen Schleef-Texten offenbar einen Narren gefressen hat, gibt wunderbar leicht die leidende Alte mit all ihren 1000 Zipperlein.
Im Team spielen sie groß auf, wobei vor allem die junge Antonia Bill eine Entdeckung ist. [...]
Almut Zilcher, die tief in den Abgründen von Gertruds Seele wühlt, erweist sich als ausdrucksstärkste unter den dreien. Ihre vom Dasein geschlagene Witwe ("Ich will auch leben! Die paar Jahre noch") geht ans Herz. So gerät der rund 100-minütige Blick in Gertruds verworrene Hirnwindungen zu einem Fest der Schauspielkunst. Mit Wolfram Koch, Almut Zilcher und Antonia Bill erlesen besetzt, wird die Figur in unterschiedliche Lebensphasen aufgeteilt, wobei die Übergänge fließend sind.
Alle drei sind Gertrud: Almut Zilcher spielt die noch rüstige Seniorin, die in einer thüringischen Kleinstadt ihren kranken Mann Willy pflegt. Antonia Bill ist die blühende Gertrud, die einst eine große Leichtathletin war. Und Wolfram Koch, der nach seinem Solo "Tod des Lehrers" an sperrigen Schleef-Texten offenbar einen Narren gefressen hat, gibt wunderbar leicht die leidende Alte mit all ihren 1000 Zipperlein.
Im Team spielen sie groß auf, wobei vor allem die junge Antonia Bill eine Entdeckung ist. [...]
Almut Zilcher, die tief in den Abgründen von Gertruds Seele wühlt, erweist sich als ausdrucksstärkste unter den dreien. Ihre vom Dasein geschlagene Witwe ("Ich will auch leben! Die paar Jahre noch") geht ans Herz.
Fedler hat eine Partitur geschaffen, mit der seine drei hervorragenden Schauspieler virtuos umzugehen verstehen. Wolfram Koch gewinnt dem körperlichen Verfall der alternden Frau auch komische Seiten ab, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben; die agile Antonia Bill erinnert an die junge Gertrud, die eine ambitionierte Sportlerin war; Almut Zilcher artikuliert Gertruds teils sehr dezidierte politische Ansichten. [...]
Fedler hat eine Partitur geschaffen, mit der seine drei hervorragenden Schauspieler virtuos umzugehen verstehen.