
Das Fest
von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov
Für die Bühne bearbeitet von Bo hr. Hansen
Deutsch von Renate Bleibtreu / Fassung Anne Lenk und David Heiligers
"Ich habe zwei Reden geschrieben. Du kannst dir aussuchen, welche es sein soll. Eine ist grün, die andere ist gelb."
Die Familie, sagt Thomas Vinterberg, gewinnt immer. Sie überdauert die Verbrechen, die sie begeht. Sie hält stand, wenn draußen alles zerbricht. Sie gebiert Ungeheuer und Leid, Glück und Liebe. Sie ist Ort von Verdrängung und Lüge, von Nähe und Sehnsucht. Sie straft und rächt, sie umarmt und verzeiht. In ihr spürt jeder Scham und Schuld, Vertrauen und Geborgenheit – egal ob Täter oder Opfer, ob handelnd oder reagierend. Sie ist Zuflucht und Zumutung, Nest und Gefängnis. In sie wird man geworfen. Ihr kann man nicht entkommen. Familie fürs Leben.
Helge Klingenfeldt-Hansen, Vater von vier Kindern, feiert 60. Geburtstag: Verwandte und Freunde sind gekommen, Wiedersehensfreude mischt sich mit altbekannten Konflikten, es ist ein Fest wie viele – hätte nicht Tochter Linda vor kurzem Selbstmord begangen. Und würde ihr Zwillingsbruder Christian nicht diese Rede halten: Er serviert der versammelten Gesellschaft eine Geschichte aus der Kindheit und gibt ihr den Titel "Wenn Vater ins Bad wollte..." Ihr Sohn, sagt Mutter Else, hatte schon als kleiner Junge sehr viel Fantasie. Und Vater Helge: "Meine Familie war mir immer das Wichtigste. Euch, meine Kinder, heranwachsen zu sehen – war das Schönste, was ich erleben durfte."
Deutsch von Renate Bleibtreu / Fassung Anne Lenk und David Heiligers
"Ich habe zwei Reden geschrieben. Du kannst dir aussuchen, welche es sein soll. Eine ist grün, die andere ist gelb."
Die Familie, sagt Thomas Vinterberg, gewinnt immer. Sie überdauert die Verbrechen, die sie begeht. Sie hält stand, wenn draußen alles zerbricht. Sie gebiert Ungeheuer und Leid, Glück und Liebe. Sie ist Ort von Verdrängung und Lüge, von Nähe und Sehnsucht. Sie straft und rächt, sie umarmt und verzeiht. In ihr spürt jeder Scham und Schuld, Vertrauen und Geborgenheit – egal ob Täter oder Opfer, ob handelnd oder reagierend. Sie ist Zuflucht und Zumutung, Nest und Gefängnis. In sie wird man geworfen. Ihr kann man nicht entkommen. Familie fürs Leben.
Helge Klingenfeldt-Hansen, Vater von vier Kindern, feiert 60. Geburtstag: Verwandte und Freunde sind gekommen, Wiedersehensfreude mischt sich mit altbekannten Konflikten, es ist ein Fest wie viele – hätte nicht Tochter Linda vor kurzem Selbstmord begangen. Und würde ihr Zwillingsbruder Christian nicht diese Rede halten: Er serviert der versammelten Gesellschaft eine Geschichte aus der Kindheit und gibt ihr den Titel "Wenn Vater ins Bad wollte..." Ihr Sohn, sagt Mutter Else, hatte schon als kleiner Junge sehr viel Fantasie. Und Vater Helge: "Meine Familie war mir immer das Wichtigste. Euch, meine Kinder, heranwachsen zu sehen – war das Schönste, was ich erleben durfte."
Regie Anne Lenk
Bühne Halina Kratochwil
Kostüme Sibylle Wallum
Musikalische Leitung Leo Schmidthals
Licht Marco Scherle
Dramaturgie David Heiligers
Premiere am 20. Januar 2017, Kammerspiele
Jörg PoseHelge, der Vater

Barbara SchnitzlerElse, die Mutter

Alexander KhuonChristian, der älteste Sohn

Lisa HrdinaHelene, die Tochter

Camill JammalMichael, der jüngste Sohn

Kathleen MorgeneyerMette, Michaels Frau

Thorsten HierseKemal, Helenes Freund

Franziska MachensPia, Christians Jugendfreundin

Bernd MossHelmut, der Toastmaster

Jürgen HuthGroßvater, väterlicherseits

Katharina MatzGroßmutter, väterlicherseits

Michael GerberOnkel Leif

Damian Fink, Josefine Jellinek, Lea Metscher, Leosander ScheithauerKinder von Mette und Michael
Helge, der Vater
Else, die Mutter
Christian, der älteste Sohn
Helene, die Tochter
Michael, der jüngste Sohn
Mette, Michaels Frau
Kemal, Helenes Freund
Pia, Christians Jugendfreundin
Helmut, der Toastmaster
Großvater, väterlicherseits
Großmutter, väterlicherseits
Onkel Leif
Damian Fink, Josefine Jellinek, Lea Metscher, Leosander Scheithauer
Kinder von Mette und Michael
Der so entstehende enge Kontakt bringt die Geschichte noch beklemmender näher und vergrößert die emotional-dramatische Fallhöhe. Denn Jörg Pose als Vater ist keine unsympathische Erscheinung, im Gegenteil: Man glaubt ihm die Rührung, als ihm der ganze Saal ein Ständchen singt, und auch die Liebe zu seiner Familie, die er regelmäßig unterstreicht. An den Missbrauch will er sich zuerst partout nicht erinnern, gibt den überlasteten Unternehmer, der sich nicht alles habe merken können.
Alexander Khuon als gequälter Christian balanciert eindrucksvoll zwischen der Wut auf den väterlichen Täter und der Unterwürfigkeit des gebrochenen Kindes. Seine Abrechnung beginnt sachlich und eiskalt, ehe er sich, als die Gratulanten nach ein paar Schrecksekunden einfach weitermachen wie bisher und entschlossen wegschauen, in zornige Verzweiflung steigert. Die gilt vor allem seiner Mutter, die von den Schändungen der Zwillinge wusste, ohne jedoch einzuschreiten.
Barbara Schnitzler lässt diese kriecherische gepflegte Dame charmant im Schatten ihres Gatten blühen, den sie wider besseren Wissens anhimmelt, als könne er kein Wässerchen trüben. Mit den Enthüllungen Christians bekommt auch das Verhältnis zu den anderen Familienmitgliedern empfindliche Risse, sei es zur Tochter Helene (Lisa Hrdina), ihrem Freund Kemal (Thorsten Hierse), zum jüngsten Sohn Michael (Camill Jammal) oder zu Christians Jugendfreundin Pia (Franziska Machens).
Alle stecken, ob sie es wollen oder nicht, hier mitsamt den Zuschauern unter einer Decke – und irgendwann wird der Sauerstoff knapp. Das Ende ist für die Familie eine Befreiung, aber, und das zeigt Anne Lenks suggestiv gelungene Inszenierung, eine Wiedergutmachung wohl kaum möglich. In den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin macht die Regisseurin Anne Lenk das Publikum nun zu Gästen dieser ungeplant verlaufenen Festlichkeit. Am Anfang gibt es ein Glas Sekt und man sitzt im Bühnenbild von Halina Kratochwil auf Tribünen rings um die kleine Spielfläche. Die Schauspieler lassen sich immer wieder zwischen den Zuschauern nieder und sprechen sie direkt an.
Der so entstehende enge Kontakt bringt die Geschichte noch beklemmender näher und vergrößert die emotional-dramatische Fallhöhe. Denn Jörg Pose als Vater ist keine unsympathische Erscheinung, im Gegenteil: Man glaubt ihm die Rührung, als ihm der ganze Saal ein Ständchen singt, und auch die Liebe zu seiner Familie, die er regelmäßig unterstreicht. An den Missbrauch will er sich zuerst partout nicht erinnern, gibt den überlasteten Unternehmer, der sich nicht alles habe merken können.
Alexander Khuon als gequälter Christian balanciert eindrucksvoll zwischen der Wut auf den väterlichen Täter und der Unterwürfigkeit des gebrochenen Kindes. Seine Abrechnung beginnt sachlich und eiskalt, ehe er sich, als die Gratulanten nach ein paar Schrecksekunden einfach weitermachen wie bisher und entschlossen wegschauen, in zornige Verzweiflung steigert. Die gilt vor allem seiner Mutter, die von den Schändungen der Zwillinge wusste, ohne jedoch einzuschreiten.
Barbara Schnitzler lässt diese kriecherische gepflegte Dame charmant im Schatten ihres Gatten blühen, den sie wider besseren Wissens anhimmelt, als könne er kein Wässerchen trüben. Mit den Enthüllungen Christians bekommt auch das Verhältnis zu den anderen Familienmitgliedern empfindliche Risse, sei es zur Tochter Helene (Lisa Hrdina), ihrem Freund Kemal (Thorsten Hierse), zum jüngsten Sohn Michael (Camill Jammal) oder zu Christians Jugendfreundin Pia (Franziska Machens).
Alle stecken, ob sie es wollen oder nicht, hier mitsamt den Zuschauern unter einer Decke – und irgendwann wird der Sauerstoff knapp. Das Ende ist für die Familie eine Befreiung, aber, und das zeigt Anne Lenks suggestiv gelungene Inszenierung, eine Wiedergutmachung wohl kaum möglich.
Die zweite glückliche Entscheidung dieses sehenswerten Abends war, dass Lenk/Heiligers an ihrer Fassung trotz einiger Freiheiten (vor allem im ersten Teil) ziemlich nah am Original bleiben. [...] In ihrer Werktreue gelingt Anne Lenk ein eindrucksvolles Missbrauchsdrama. Lenk und ihr Dramaturg David Heiligers setzen das Publikum mitten ins Geschehen dieser zwar perfekt durchgeplanten, aber völlig aus dem Ruder laufenden Familienfeier: Bei freier Platzwahl kann man beispielsweise direkt neben Katharina Matz und Jürgen Huth, die als Großeltern milde über den Trubel lächeln, sitzen. Dieses Konzept, hautnah dabei zu sein, wurde zuletzt schon mehrfach in diesem Haus ausprobiert, z. B. bei "Väter und Söhne" und "Untergang des Egoisten Fatzer", passte aber noch nie so gut wie bei diesem Kammerspiel über eine Familie, die sich auf engstem Raum versammelt hat und den unter den Teppich gekehrten Wahrheiten nicht länger ausweichen kann.
Die zweite glückliche Entscheidung dieses sehenswerten Abends war, dass Lenk/Heiligers an ihrer Fassung trotz einiger Freiheiten (vor allem im ersten Teil) ziemlich nah am Original bleiben. [...] In ihrer Werktreue gelingt Anne Lenk ein eindrucksvolles Missbrauchsdrama.
Khuon spielt den anklagenden Sohn auch derart zergrübelt, derart in Fantasieräume sich flüchtend, dass man selbst bei Kenntnis der Vorlage für einen Moment glaubt, Lenk könnte es wagen, den gesamten Verwurf als Hirngespinst darzustellen. Ein mutiger Schritt, auf Tuchfühlung mit der Realwelt, in der Vergewaltiger gern ihre Opfer diskreditieren.
Am Ende ist man – schrecklicherweise – fast erlöst, dass die Vorwürfe stimmen. Ein gut gebauter Psychothriller. Erst gibt’s Sekt, dann wird reiner Wein eingeschenkt: Im DT wird der Zuschauer zum Teil der Festgesellschaft [...] Der älteste Sohn Christian (Alexander Khuon) bringt erst stockend, dann immer entschlossener werdend, die Missbrauchsanklage gegen den Vater vor. Er wird nicht erhört.
Khuon spielt den anklagenden Sohn auch derart zergrübelt, derart in Fantasieräume sich flüchtend, dass man selbst bei Kenntnis der Vorlage für einen Moment glaubt, Lenk könnte es wagen, den gesamten Verwurf als Hirngespinst darzustellen. Ein mutiger Schritt, auf Tuchfühlung mit der Realwelt, in der Vergewaltiger gern ihre Opfer diskreditieren.
Am Ende ist man – schrecklicherweise – fast erlöst, dass die Vorwürfe stimmen. Ein gut gebauter Psychothriller.