Agonie

Ein zaristisches Lehrstück über die letzten Tage der Romanows
Nach vier Töchtern wird dem Zarenpaar Nikolai und Alexandra endlich ein Thronfolger geboren. Er ist Bluter. Ein Wanderprediger aus Sibirien erscheint in Petersburg und behauptet, dem Zarewitsch helfen zu können: Rasputin. So sehr er am Hof verehrt wird, so groß ist das Misstrauen, das dem charismatischen Aufsteiger andernorts entgegenschlägt, umso mehr, als er sich nicht an gesellschaftliche Konventionen hält. Der autokratische Zar zieht sich, wann immer es geht, in den Kreis der Familie zurück, überfordert von der politischen und sozialen Dynamik dieser Jahre. Dann beginnt der Erste Weltkrieg. Rasputin hat den Zaren erfolglos vor dem Konflikt mit Deutschland gewarnt. Die innenpolitische Lage wird explosiv, der Krieg fordert Menschen und Material. Im Herbst 1916 ahnt Rasputin, dass sein Ende bald kommen wird. Er schreibt dem Zaren: "Wenn du die Glocke hörst, welche dir sagt, dass Grigori ermordet wurde, dann musst du Folgendes wissen: Wenn es deine Verwandten waren, welche meinen Tod verursacht haben, dann wird niemand aus deiner Familie, kein Kind deiner Verwandten, noch länger als zwei Jahre am Leben bleiben. Sie werden getötet durch das russische Volk." Kein Jahr später übernehmen die Bolschewiki die Macht.
Bühne Jo Schramm
Kostüme Daniela Selig
Dramaturgie Claus Caesar
Premiere 1. September 2013
Moritz GroveZarewitsch Alexej Romanow/Großfürst Dmitrij Pawlowitsch
Jörg PoseZar Nikolai II.
Helmut MooshammerGroßfürst Nikolai Nikolajewitsch Romanow/Alexander Dmietriewitsch Protopopow/Manus/Jakov
Katharina Marie SchubertZarin Alexandra Feodorowna
Daniel HoevelsPremierminister/Felix Felixowitsch Fürst Jussupow/Oberpriester
Natali SeeligMaria Feodorowna/Anna Alexandrowna Wyrubowa/Badmajew
Jürgen KuttnerArzt/General Michael Alexejew/Fürst Andronikow/Dr. Lazawert/Spekulant
Michael SchweighöferGrigorij Jefimowitsch Rasputin
Lina BookhagenTochter des Zaren
Mila LauschTochter des Zaren
Helena LengersTochter des Zaren
Collien NoackTochter des Zaren
Carla PaulusTochter des Zaren
Delphine PinkowskiTochter des Zaren
Karolin WiegersTochter des Zaren
Zarewitsch Alexej Romanow/Großfürst Dmitrij Pawlowitsch
Zar Nikolai II.
Großfürst Nikolai Nikolajewitsch Romanow/Alexander Dmietriewitsch Protopopow/Manus/Jakov
Zarin Alexandra Feodorowna
Premierminister/Felix Felixowitsch Fürst Jussupow/Oberpriester
Maria Feodorowna/Anna Alexandrowna Wyrubowa/Badmajew
Arzt/General Michael Alexejew/Fürst Andronikow/Dr. Lazawert/Spekulant
Grigorij Jefimowitsch Rasputin
Lina Bookhagen, Mila Lausch, Helena Lengers, Collien Noack, Carla Paulus, Delphine Pinkowski, Karolin Wiegers
Tochter des Zaren
Berliner Zeitung
Dirk Pilz, 03.09.2013
Wie Jörg Pose im Schneesturm herumirrt, die Rasputinmörder hilflos hektisch Pläne aushecken, die Zaren-Gattin ruft "Ich bin doch nur eine Mutter!" – das ist von schönster Lehrstückdeutlichkeit: Seht!, hier habt ihr die Revolutionsverhinderer in privatissimo. Es fällt nicht schwer, diese Kostümgestalten mit Gegenwartsfiguren gleichzuschalten.

Der entscheidende Dreh dieser Inszenierung ist aber ins Off verlegt. Immer wieder werden Lieder aus dem Lehrstück 'Die Mutter' von Brecht und Eissler eingespielt, messerscharf gesungen von Ernst Busch. Immer wieder werden die Figuren also von jener historischen Alternative befallen, die sie zu bekämpfen versuchen, von Aufstandslust und Rebellentum. Die Inszenierung lässt ihre Erzählung von den Romanows einen Tag vor der Erschießung der Zarenfamilie enden, "am Vorabend gewaltiger Ereignisse", kurz bevor die Geschichte ans andere Ufer wechselt, zur Sowjetherrschaft. Wir wissen, was daraus wurde: Bürgerkrieg, Stalin.

Das also ist Agonie: überall Sackgassen zu erkennen, überall den nahenden Tod der Gesellschaft zu vernehmen. Aber ist diese Gegenwartserzählung nicht längst zum Mythos geworden, zum unhinterfragt Geglaubten? Und hieße nicht Aufklärung, Mythenkritik zu betreiben, der Alternativlosigkeit also den Alleindeutungsanspruch streitig zu machen? Vielleicht ist es das, was Kühnel und Kuttner versuchen. Es ist den Versuch zumindest wert.
Wie Jörg Pose im Schneesturm herumirrt, die Rasputinmörder hilflos hektisch Pläne aushecken, die Zaren-Gattin ruft "Ich bin doch nur eine Mutter!" – das ist von schönster Lehrstückdeutlichkeit: Seht!, hier habt ihr die Revolutionsverhinderer in privatissimo. Es fällt nicht schwer, diese Kostümgestalten mit Gegenwartsfiguren gleichzuschalten.

Der entscheidende Dreh dieser Inszenierung ist aber ins Off verlegt. Immer wieder werden Lieder aus dem Lehrstück 'Die Mutter' von Brecht und Eissler eingespielt, messerscharf gesungen von Ernst Busch. Immer wieder werden die Figuren also von jener historischen Alternative befallen, die sie zu bekämpfen versuchen, von Aufstandslust und Rebellentum. Die Inszenierung lässt ihre Erzählung von den Romanows einen Tag vor der Erschießung der Zarenfamilie enden, "am Vorabend gewaltiger Ereignisse", kurz bevor die Geschichte ans andere Ufer wechselt, zur Sowjetherrschaft. Wir wissen, was daraus wurde: Bürgerkrieg, Stalin.

Das also ist Agonie: überall Sackgassen zu erkennen, überall den nahenden Tod der Gesellschaft zu vernehmen. Aber ist diese Gegenwartserzählung nicht längst zum Mythos geworden, zum unhinterfragt Geglaubten? Und hieße nicht Aufklärung, Mythenkritik zu betreiben, der Alternativlosigkeit also den Alleindeutungsanspruch streitig zu machen? Vielleicht ist es das, was Kühnel und Kuttner versuchen. Es ist den Versuch zumindest wert.
neues deutschland
Martin Hatzius, 03.09.2013
Nach Regiearbeiten über Grundkonflikte des 20. Jahrhunderts ('Die Sorgen und die Macht' nach Peter Hacks, 'Capitalista, Baby' nach Ayn Rand, 'Demokratie' nach Michael Frayn) wühlen Kuttner und Kühnel nun im Ursprungsstaub jenes Zeitalters, das vergangen sein mag, aber nicht vorbei ist. Heute sieht man erneut einen Epochenwandel heraufziehen, ohne dass er sich irgendwo dingfest machen ließe. Wie die Figuren im Stück leben wir wieder in einer Zeit der apokalyptischen Beschwörungen, der Heilsversprechungen, der Ängste und des Wunderglaubens.

Jörg Pose ist in 'Agonie' ein zerrissener Zar, der nicht Ja und nicht Nein sagen kann. Willenlos schwankend gibt er ein erbärmliches Bild ab. Wie sich dieser Mann den Beinamen 'der Blutige' verdient hat? Durch seinen Unheil stiftenden Unwillen zur Macht. Wenn Jörg Pose seinen Zaren in weinerlicher Dümmlichkeit immer wieder die Alternativlosigkeit seiner entscheidenden Nicht-Entscheidungen herunterleiern lässt, kann einen das Mitleid packen. Lasst dieses Männchen doch in seinem Kämmerlein Fotos entwickeln. Nichts täte er lieber als einfach nur das. Doch von draußen dröhnt Donnerhall. (...)

Faszinierend das Bühnenbild von Jo Schramm: Die Fensterwand hinter der Wohnstube hebt sich, um das private Elend mit der wirbelnden Welt zu verbinden. Die Drehbühne öffnet den Blick in Rasputins holzbehauenes Zimmer voller Ikonen, in den Konferenzraum der Großfürsten, in die spiegelweite Schnee-Einöde der Welt-kriegsfront ... Der Widerspruch zwischen der Schwärze des Zarenzimmers - Ort des Siechens, des Zweifelns, der Agonie - und den handlungssüchtigen Szenerien, die im Hintergrund rotieren, ist mit Händen zu greifen. Ein Widerspruch wie der zwischen Theatersaal und einem Weltmosaik vor den Türen, dessen Teile nicht mehr zusammenpassen.
Nach Regiearbeiten über Grundkonflikte des 20. Jahrhunderts ('Die Sorgen und die Macht' nach Peter Hacks, 'Capitalista, Baby' nach Ayn Rand, 'Demokratie' nach Michael Frayn) wühlen Kuttner und Kühnel nun im Ursprungsstaub jenes Zeitalters, das vergangen sein mag, aber nicht vorbei ist. Heute sieht man erneut einen Epochenwandel heraufziehen, ohne dass er sich irgendwo dingfest machen ließe. Wie die Figuren im Stück leben wir wieder in einer Zeit der apokalyptischen Beschwörungen, der Heilsversprechungen, der Ängste und des Wunderglaubens.

Jörg Pose ist in 'Agonie' ein zerrissener Zar, der nicht Ja und nicht Nein sagen kann. Willenlos schwankend gibt er ein erbärmliches Bild ab. Wie sich dieser Mann den Beinamen 'der Blutige' verdient hat? Durch seinen Unheil stiftenden Unwillen zur Macht. Wenn Jörg Pose seinen Zaren in weinerlicher Dümmlichkeit immer wieder die Alternativlosigkeit seiner entscheidenden Nicht-Entscheidungen herunterleiern lässt, kann einen das Mitleid packen. Lasst dieses Männchen doch in seinem Kämmerlein Fotos entwickeln. Nichts täte er lieber als einfach nur das. Doch von draußen dröhnt Donnerhall. (...)

Faszinierend das Bühnenbild von Jo Schramm: Die Fensterwand hinter der Wohnstube hebt sich, um das private Elend mit der wirbelnden Welt zu verbinden. Die Drehbühne öffnet den Blick in Rasputins holzbehauenes Zimmer voller Ikonen, in den Konferenzraum der Großfürsten, in die spiegelweite Schnee-Einöde der Welt-kriegsfront ... Der Widerspruch zwischen der Schwärze des Zarenzimmers - Ort des Siechens, des Zweifelns, der Agonie - und den handlungssüchtigen Szenerien, die im Hintergrund rotieren, ist mit Händen zu greifen. Ein Widerspruch wie der zwischen Theatersaal und einem Weltmosaik vor den Türen, dessen Teile nicht mehr zusammenpassen.
Berliner Morgenpost
Georg Kasch, 03.09.2013
So taumeln alle dem Abgrund zu, oft in gefühlter Zeitlupe. Neben Bildern in Guido-Knopp-Ästhetik überspitzen die Regisseure Richtung Kabarett und Soap, verfremden mit Arbeitskampfsong-Playback, um dann wieder in der Einfühlung zu landen. Vom Volk, das später revoltieren wird, erfährt man nur aus Erzählungen. Saukomisch die Verschwörung gegen Rasputin, dessen fette Selbstgerechtigkeit Michael Schweighöfer genüsslich auspinselt. Natali Seelig sticht als zickige Zarenmutter, ergebene Rasputin-Verehrerin und als Mongolen-Schamane mit jeweils ironischen Zuspitzungen heraus, Moritz Grove als flüsterschreiender Zarewitsch. So taumeln alle dem Abgrund zu, oft in gefühlter Zeitlupe. Neben Bildern in Guido-Knopp-Ästhetik überspitzen die Regisseure Richtung Kabarett und Soap, verfremden mit Arbeitskampfsong-Playback, um dann wieder in der Einfühlung zu landen. Vom Volk, das später revoltieren wird, erfährt man nur aus Erzählungen. Saukomisch die Verschwörung gegen Rasputin, dessen fette Selbstgerechtigkeit Michael Schweighöfer genüsslich auspinselt. Natali Seelig sticht als zickige Zarenmutter, ergebene Rasputin-Verehrerin und als Mongolen-Schamane mit jeweils ironischen Zuspitzungen heraus, Moritz Grove als flüsterschreiender Zarewitsch.
Der Tagesspiegel
Christine Wahl, 03.09.2013
Die Figuren schmettern ihre inneren Zustände mittels denkwürdigen Liedgutes im Playbackverfahren aus sich heraus. Dabei besteht der besondere Clou im Falle der Zarenfamilie darin, dass es sich um klassenkämpferische Brecht-Eisler-Songs wie das 'Lob des Lernens' aus dem Lehrstück 'Die Mutter' handelt. Tenor: "Lege den Finger auf jeden Posten / Frage: Wie kommt er hierher? / Du musst die Führung übernehmen." Auf den kleinen Zarewitsch, dem dieser Song hier aus dem lieben Familienkreise eingeflüstert wird, trifft das bekanntermaßen nicht mehr zu. Die Figuren schmettern ihre inneren Zustände mittels denkwürdigen Liedgutes im Playbackverfahren aus sich heraus. Dabei besteht der besondere Clou im Falle der Zarenfamilie darin, dass es sich um klassenkämpferische Brecht-Eisler-Songs wie das 'Lob des Lernens' aus dem Lehrstück 'Die Mutter' handelt. Tenor: "Lege den Finger auf jeden Posten / Frage: Wie kommt er hierher? / Du musst die Führung übernehmen." Auf den kleinen Zarewitsch, dem dieser Song hier aus dem lieben Familienkreise eingeflüstert wird, trifft das bekanntermaßen nicht mehr zu.
Süddeutsche Zeitung
Peter Laudenbach, 03.09.3013
Im Stil des gehobenen Boulevard-Theaters geht es am Zarenhof zu wie bei Dallas. Der wie immer erfreuliche Michael Schweighöfer gibt einen schön vergammelten Rasputin (...) und Jörg Pose legt als vertrottelter Zar Nicolai die Vermutung nahe, dass es um die Romanows nicht schade ist. Zwischendurch singt Ernst Busch aus dem Off schwer pathetische Revolutionslieder aus Brechts 'Die Mutter', möglicherweise ein diskreter Hinweis darauf, dass nicht Rasputin alleine die Zarenfamilie auf den Müllhaufen der Geschichte befördert hat. Im Stil des gehobenen Boulevard-Theaters geht es am Zarenhof zu wie bei Dallas. Der wie immer erfreuliche Michael Schweighöfer gibt einen schön vergammelten Rasputin (...) und Jörg Pose legt als vertrottelter Zar Nicolai die Vermutung nahe, dass es um die Romanows nicht schade ist. Zwischendurch singt Ernst Busch aus dem Off schwer pathetische Revolutionslieder aus Brechts 'Die Mutter', möglicherweise ein diskreter Hinweis darauf, dass nicht Rasputin alleine die Zarenfamilie auf den Müllhaufen der Geschichte befördert hat.

Außerdem im Spielplan

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Mit englischen Übertiteln

Forever Yin Forever Young

Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
19.30 - 22.10