Sebastian Hartmann über die Inszenierung von Döblins Roman Berlin Alexanderplatz

© Arno Declair
dt: Der Roman Berlin Alexanderplatz steckt voller Geschichten. Welche Themen daraus interessieren dich besonders?
Sebastian Hartmann: Hauptsächlich natürlich die Fülle der Geschichten. Es interessiert mich nicht, wie im tradierten Theater, auf eine Geschichte konzentriert zu sein oder eine Geschichte allgemein für etwas zu nehmen und sie sozusagen über die Gesellschaft zu legen. Bei Berlin Alexanderplatz haben wir die Möglichkeit, tatsächlich ein großes Panorama zu zeigen, mit vielen unterschiedlichen Teilen. Und das macht auch das Geheimnis des Romanes aus.
Wir wissen zwar, dass es um Franz Biberkopf geht, der aus dem Gefängnis kommt und anständig sein möchte, weil er durch einen Totschlag ins Gefängnis gekommen ist, weil er eines seiner Mädchen geschlagen hat, das später im Krankenhaus gestorben ist. Vielleicht wollte er sie gar nicht totschlagen und hat's dann aber doch gemacht und er kommt aus dem Gefängnis und sagt: “Ich möchte anständig sein.” Und dann versucht er, Rosen zu verkaufen und Zeitungen und Schnürsenkel. Es gelingt ihm aber nicht so richtig, das Anständigsein. Er wird dann doch wieder Lude – Zuhälter –, was er auch vorher gewesen ist und stirbt am Ende einen jämmerlichen Tod, um gleichzeitig aber auch wieder aufzuerstehen.
Das ist aber nur die gröbste Geschichte, der kleinste Teil des Romans. Denn plötzlich schreibt Döblin Hiob mit hinein und Abraham und die Hure Babylon. Und er erzählt uns von Eva und Adam und zeigt gleichzeitig ein ganzes Städtepanorama: Da marschieren Soldaten durch die Gassen, da werden auf dem Schlachthof Tiere geschlachtet. Man spricht vom Menschen – aber gleichzeitig vom Vieh. Man spricht vom Wetter, von der Liebe, von Verrat. Und das in so einer hohen Geschwindigkeit, mit permanenten Perspektivwechseln – das hat mich natürlich sehr herausgefordert.
dt: Dich scheint Döblins Collagetechnik sehr zu interessieren. Wie geht ihr damit um?
Sebastian Hartmann: Montage und Collage, ja, das ist der Roman. Letztlich wird unser Abend auch so funktionieren. Wir wissen noch gar nicht, ob wir einen oder mehrere Biberköpfe haben. Es stand die Frage im Raum, ob man diese ganzen Namen überhaupt braucht, oder ob es nicht auch interessant ist, wenn sich ganz einfach zwei Menschen treffen und über Menschen reden. Jetzt haben wir doch wieder ein paar Namen, weil es manchmal eine bestimmte soziale Sicherheit auf der Bühne bringt. Aber der Zuschauer wird dazu eingeladen sein, zu verfolgen, wie wir mit dieser damals revolutionären Erzähltechnik auf dem Theater umgehen – für mich als Regisseur ist das natürlich eine große Herausforderung. Und wer mutig ist und sich traut, dem Abend zu folgen, der wird auch Spaß haben, weil sich da verschiedene Dinge ineinander fügen werden – die Bilder, die ganz verschieden gespielten Szenen. Das wird, glaube ich, etwas Symphonisches, eine Art Komposition.
dt: Du bist nicht nur der Regisseur, sondern hast auch die Bühne entworfen. In welcher Welt spielt bei euch die Geschichte?
Sebastian Hartmann: Der Bühnenraum ist im Moment eine große weiße Kirche von innen und ich hab einen Altar bauen lassen, aus viel Licht, und es gibt die Buchstaben BERLIN und ALEXANDERPLATZ – es ist übrigens erstaunlich, wie viele Wörter man aus den Buchstaben des Wortes “Alexanderplatz” bilden kann, ich glaube über 150. Ich wollte einen Raum haben, der symbolisch an etwas gebunden ist, aber gleichzeitig eine totale Projektionsmöglichkeit hat – einerseits für das, was der Zuschauer darauf projizieren kann, aber auch die Videotechnik.
dt: In deiner letzten Inszenierung, Woyzeck, hast du die komplette Geschichte mit zwei Schauspielern erzählt, die die Szenen in ihrer Reihenfolge jeden Abend neu erfunden haben. Erwartet den Zuschauer eine ähnliche Herangehensweise? Was machst du mit der Figur des Franz Biberkopf?
Sebastian Hartmann: Hier machen wir es mit zwölf Leuten, einem großen Ensemble. Also gar nicht reduziert, das geht durch relative viele Körper durch. Ich will es nicht auf die Figur Franz Biberkopf reduzieren. Klar wird oft gesagt, die Figur des Biberkopf ermögliche dem Leser eine Reise durch diese Zeit, sei Identifikationsfigur etc. Aber ob Döblin den Biberkopf alleine meint, ist eine große Frage. Vielleicht meint er, Biberkopf steht auch beispielhaft für uns, für dich, für mich. Und steht für unsere Verzweiflung darüber, anständig sein zu wollen, in einer Ordnung leben zu wollen, es aber scheinbar nicht zu können. Döblin spielt mit den ganzen Formen der Tragödie: der Katharsis, der Hybris – lässt für seine Figuren letztlich aber keine Katharsis zu, sondern dehnt den Raum noch weiter, über das Wesen selbst hinaus. Zeigt uns die Welt und die Natur, ist da nahezu spirituell manchmal, oder metaphysisch; spielt ununterbrochen mit diesen ganzen Begriffen, um gewisse Elemente miteinander reagieren zu lassen, Sprache verwesen zu lassen, Sprache wieder zuzulassen, Töne zuzulassen, wirklich zu sein in der Musik, in der Fantasie, über. Das sind ganz andere Räume, die da literarisch aufgemacht werden und die einen unglaublich reizen, wenn man sie liest. Man muss aber bedenken: Das Theater braucht eine völlig andere Art, zu entstehen.
Berlin Alexanderplatz
nach dem Roman von Alfred Döblin
Premiere am Do, 12. Mai, 19 Uhr im Deutschen Theater
Sebastian Hartmann: Hauptsächlich natürlich die Fülle der Geschichten. Es interessiert mich nicht, wie im tradierten Theater, auf eine Geschichte konzentriert zu sein oder eine Geschichte allgemein für etwas zu nehmen und sie sozusagen über die Gesellschaft zu legen. Bei Berlin Alexanderplatz haben wir die Möglichkeit, tatsächlich ein großes Panorama zu zeigen, mit vielen unterschiedlichen Teilen. Und das macht auch das Geheimnis des Romanes aus.
Wir wissen zwar, dass es um Franz Biberkopf geht, der aus dem Gefängnis kommt und anständig sein möchte, weil er durch einen Totschlag ins Gefängnis gekommen ist, weil er eines seiner Mädchen geschlagen hat, das später im Krankenhaus gestorben ist. Vielleicht wollte er sie gar nicht totschlagen und hat's dann aber doch gemacht und er kommt aus dem Gefängnis und sagt: “Ich möchte anständig sein.” Und dann versucht er, Rosen zu verkaufen und Zeitungen und Schnürsenkel. Es gelingt ihm aber nicht so richtig, das Anständigsein. Er wird dann doch wieder Lude – Zuhälter –, was er auch vorher gewesen ist und stirbt am Ende einen jämmerlichen Tod, um gleichzeitig aber auch wieder aufzuerstehen.
Das ist aber nur die gröbste Geschichte, der kleinste Teil des Romans. Denn plötzlich schreibt Döblin Hiob mit hinein und Abraham und die Hure Babylon. Und er erzählt uns von Eva und Adam und zeigt gleichzeitig ein ganzes Städtepanorama: Da marschieren Soldaten durch die Gassen, da werden auf dem Schlachthof Tiere geschlachtet. Man spricht vom Menschen – aber gleichzeitig vom Vieh. Man spricht vom Wetter, von der Liebe, von Verrat. Und das in so einer hohen Geschwindigkeit, mit permanenten Perspektivwechseln – das hat mich natürlich sehr herausgefordert.
dt: Dich scheint Döblins Collagetechnik sehr zu interessieren. Wie geht ihr damit um?
Sebastian Hartmann: Montage und Collage, ja, das ist der Roman. Letztlich wird unser Abend auch so funktionieren. Wir wissen noch gar nicht, ob wir einen oder mehrere Biberköpfe haben. Es stand die Frage im Raum, ob man diese ganzen Namen überhaupt braucht, oder ob es nicht auch interessant ist, wenn sich ganz einfach zwei Menschen treffen und über Menschen reden. Jetzt haben wir doch wieder ein paar Namen, weil es manchmal eine bestimmte soziale Sicherheit auf der Bühne bringt. Aber der Zuschauer wird dazu eingeladen sein, zu verfolgen, wie wir mit dieser damals revolutionären Erzähltechnik auf dem Theater umgehen – für mich als Regisseur ist das natürlich eine große Herausforderung. Und wer mutig ist und sich traut, dem Abend zu folgen, der wird auch Spaß haben, weil sich da verschiedene Dinge ineinander fügen werden – die Bilder, die ganz verschieden gespielten Szenen. Das wird, glaube ich, etwas Symphonisches, eine Art Komposition.
dt: Du bist nicht nur der Regisseur, sondern hast auch die Bühne entworfen. In welcher Welt spielt bei euch die Geschichte?
Sebastian Hartmann: Der Bühnenraum ist im Moment eine große weiße Kirche von innen und ich hab einen Altar bauen lassen, aus viel Licht, und es gibt die Buchstaben BERLIN und ALEXANDERPLATZ – es ist übrigens erstaunlich, wie viele Wörter man aus den Buchstaben des Wortes “Alexanderplatz” bilden kann, ich glaube über 150. Ich wollte einen Raum haben, der symbolisch an etwas gebunden ist, aber gleichzeitig eine totale Projektionsmöglichkeit hat – einerseits für das, was der Zuschauer darauf projizieren kann, aber auch die Videotechnik.
dt: In deiner letzten Inszenierung, Woyzeck, hast du die komplette Geschichte mit zwei Schauspielern erzählt, die die Szenen in ihrer Reihenfolge jeden Abend neu erfunden haben. Erwartet den Zuschauer eine ähnliche Herangehensweise? Was machst du mit der Figur des Franz Biberkopf?
Sebastian Hartmann: Hier machen wir es mit zwölf Leuten, einem großen Ensemble. Also gar nicht reduziert, das geht durch relative viele Körper durch. Ich will es nicht auf die Figur Franz Biberkopf reduzieren. Klar wird oft gesagt, die Figur des Biberkopf ermögliche dem Leser eine Reise durch diese Zeit, sei Identifikationsfigur etc. Aber ob Döblin den Biberkopf alleine meint, ist eine große Frage. Vielleicht meint er, Biberkopf steht auch beispielhaft für uns, für dich, für mich. Und steht für unsere Verzweiflung darüber, anständig sein zu wollen, in einer Ordnung leben zu wollen, es aber scheinbar nicht zu können. Döblin spielt mit den ganzen Formen der Tragödie: der Katharsis, der Hybris – lässt für seine Figuren letztlich aber keine Katharsis zu, sondern dehnt den Raum noch weiter, über das Wesen selbst hinaus. Zeigt uns die Welt und die Natur, ist da nahezu spirituell manchmal, oder metaphysisch; spielt ununterbrochen mit diesen ganzen Begriffen, um gewisse Elemente miteinander reagieren zu lassen, Sprache verwesen zu lassen, Sprache wieder zuzulassen, Töne zuzulassen, wirklich zu sein in der Musik, in der Fantasie, über. Das sind ganz andere Räume, die da literarisch aufgemacht werden und die einen unglaublich reizen, wenn man sie liest. Man muss aber bedenken: Das Theater braucht eine völlig andere Art, zu entstehen.
Berlin Alexanderplatz
nach dem Roman von Alfred Döblin
Premiere am Do, 12. Mai, 19 Uhr im Deutschen Theater