Die Heiterkeit des 'Nathan' ist
eine souveräne Spielform äußerst ernsten Inhalts
Notizen zu 'Nathan der Weise' von Juliane Koepp
In Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum spielen die Anfangssequenzen in der Frühzeit der Menschheit. Eine Gruppe von Hominiden erwacht neben einem schwarzen, rätselhaften Quader. Vorsichtig nähern sie sich ihm, berühren ihn, weichen vor ihm zurück, nähern sich wieder. Bis der Quader zum Anlass wird – wie und warum spart der Film aus –, dass sich einem der Frühmenschen die Möglichkeit offenbart, einen Knochen als Waffe zu verwenden. Seine Sippe wird sich fortan durchsetzen können.
Nun haben diese Szenen aus Kubricks Opus Magnum mit Nathan dem Weisen auf den ersten und auch auf den zweiten Blick natürlich nichts gemein. Nur vielleicht so viel: Dass auch Lessings "dramatisches Gedicht" ein Sinnversprechen birgt, das es zu hören gilt. Dass es, so wie der makellose Quader in die vorzeitliche Steppe, fremd hereinragt in unsere Gegenwart. Und dass man, um das Versprechen hören zu können, dem Text wieder als einem fremden, zu entdeckenden, in seinem ganzen Reichtum zu lesenden begegnen – ihn aus einer Distanz heraus wahrnehmen müsste.
"Dies ist das Land der Wunder", lässt Lessing an einer Stelle Daja, die Gesellschafterin Rechas, zu dem Tempelherrn sagen. Es fällt schwer, diesen Satz nicht auch auf Lessings Text selbst zu beziehen. Bereits der Fortgang der Handlung lässt an Wunder denken. Groß ist die Zahl der Zufälligkeiten und unvorhergesehenen Wendungen. Sie sorgen dafür, dass die Figuren in einem Umfeld, in dem an und für sich Intrige, Kampf und Tod dominieren, in ein Happy-End hineinlaufen, das die allseitige, biologische oder soziale Verwandtschaft der zentralen Charaktere enthüllt. Darin korrespondiert Lessings Komposition mit der Technik der Komödie, fordert einen spielerischen, leichten Zugang. "Ohne sehr wesentliche Veränderungen würde es kaum möglich gewesen sein, dieses dramatische Gedicht in eine gute Tragödie umzuschaffen, aber mit bloß zufälligen Veränderungen möchte es eine gute Komödie abgegeben haben. Dem letzteren Zweck nämlich hätte das Pathetische, dem erstern das Raisonnierende aufgeopfert werden müssen, und es ist wohl keine Frage, auf welchem von beidem die Schönheit des Gedichts am meisten beruht." (Friedrich Schiller)
Noch wunderbarer, märchenhafter aber mutet der utopische Schluss – heute wie auch zu Lessings Zeiten – selbst an. "Die Heiterkeit des Nathan ist souveräne Spielform äußerst ernsten Inhalts", schreibt Wolfgang Heise. "Von einem Weltplan voll Weisheit und Güte ist keine Rede mehr. Die Menschen sind auf sich und nur auf sich angewiesen. Sie haben die unbestochene Liebe und die Vernunft als ihre Möglichkeit. Vernunft und Menschlichkeit aber müssen sich in den und gegen die gegebenen Traditionen, Religionen, Bindungen ihren Weg bahnen." Von dem Widerstand, dem diese Bahnungen begegnen und dem sie bisweilen erliegen, weiß Lessings Stück zu erzählen. Und auch unsere Gegenwart meint diesen Widerstand so gut zu kennen, dass bisweilen übersehen wird, was sich da Bahn zu brechen versucht. Vielleicht ist es deshalb gut, wieder zu entdecken, mit welcher Radikalität Lessings Figuren die Grenzen von Tradition und Religion überspringen.
Nun haben diese Szenen aus Kubricks Opus Magnum mit Nathan dem Weisen auf den ersten und auch auf den zweiten Blick natürlich nichts gemein. Nur vielleicht so viel: Dass auch Lessings "dramatisches Gedicht" ein Sinnversprechen birgt, das es zu hören gilt. Dass es, so wie der makellose Quader in die vorzeitliche Steppe, fremd hereinragt in unsere Gegenwart. Und dass man, um das Versprechen hören zu können, dem Text wieder als einem fremden, zu entdeckenden, in seinem ganzen Reichtum zu lesenden begegnen – ihn aus einer Distanz heraus wahrnehmen müsste.
"Dies ist das Land der Wunder", lässt Lessing an einer Stelle Daja, die Gesellschafterin Rechas, zu dem Tempelherrn sagen. Es fällt schwer, diesen Satz nicht auch auf Lessings Text selbst zu beziehen. Bereits der Fortgang der Handlung lässt an Wunder denken. Groß ist die Zahl der Zufälligkeiten und unvorhergesehenen Wendungen. Sie sorgen dafür, dass die Figuren in einem Umfeld, in dem an und für sich Intrige, Kampf und Tod dominieren, in ein Happy-End hineinlaufen, das die allseitige, biologische oder soziale Verwandtschaft der zentralen Charaktere enthüllt. Darin korrespondiert Lessings Komposition mit der Technik der Komödie, fordert einen spielerischen, leichten Zugang. "Ohne sehr wesentliche Veränderungen würde es kaum möglich gewesen sein, dieses dramatische Gedicht in eine gute Tragödie umzuschaffen, aber mit bloß zufälligen Veränderungen möchte es eine gute Komödie abgegeben haben. Dem letzteren Zweck nämlich hätte das Pathetische, dem erstern das Raisonnierende aufgeopfert werden müssen, und es ist wohl keine Frage, auf welchem von beidem die Schönheit des Gedichts am meisten beruht." (Friedrich Schiller)
Noch wunderbarer, märchenhafter aber mutet der utopische Schluss – heute wie auch zu Lessings Zeiten – selbst an. "Die Heiterkeit des Nathan ist souveräne Spielform äußerst ernsten Inhalts", schreibt Wolfgang Heise. "Von einem Weltplan voll Weisheit und Güte ist keine Rede mehr. Die Menschen sind auf sich und nur auf sich angewiesen. Sie haben die unbestochene Liebe und die Vernunft als ihre Möglichkeit. Vernunft und Menschlichkeit aber müssen sich in den und gegen die gegebenen Traditionen, Religionen, Bindungen ihren Weg bahnen." Von dem Widerstand, dem diese Bahnungen begegnen und dem sie bisweilen erliegen, weiß Lessings Stück zu erzählen. Und auch unsere Gegenwart meint diesen Widerstand so gut zu kennen, dass bisweilen übersehen wird, was sich da Bahn zu brechen versucht. Vielleicht ist es deshalb gut, wieder zu entdecken, mit welcher Radikalität Lessings Figuren die Grenzen von Tradition und Religion überspringen.