

Videointerview mit Lisa Hrdina und Lorena Handschin
Wie sich die beiden Schauspielerinnen ihren Rollen in Der zerbrochne Krug angenähert haben, was sie über Kleists Text, über Machtstrukturen und Geschlechterrollen denken und was sie den Richtern Adam dieser Welt sagen wollen, erfahren Sie im Videointerview.
"Doch was sie sagt,
das glaubt man nicht."
Gespräch mit der Regisseurin Anne Lenk
Auszug aus dem Programmheft
David Heiligers: Der zerbrochne Krug, uraufgeführt 1808 und seitdem über alle Zeiten hinweg tausendfach gespielt, gehört fest zur Theateridentität der Deutschen. Was für Berührungspunkte hattest du mit diesem Stück und wie kam es zur Entscheidung, es nun zu inszenieren?
Anne Lenk: Die Entscheidung für einen Text beginnt meist damit, dass ich ihn sowohl sprachlich als auch inhaltlich und in der Form spannend finde, und die Figuren des Stückes im Ensemble entdecke. In diesem Fall kam mir die Herausforderung der Figuren für die Schauspieler:innen, die wir im Sinn hatten, besonders interessant vor. Ich konnte mir das sehr gut und plastisch vorstellen.
Zudem hat das Stück mich gerade wegen seiner ständigen Vertretung in den Spielplänen und seiner vielen Tücken neugierig gemacht. Es ist so herausfordernd in Form und Sprache und weil es ein Lustspiel mit einem so bitteren Kern ist. Und nicht zuletzt auch aufgrund der vielen Fettnäpfchen: zum Beispiel liegt ja von Anfang an offen, wer der Übeltäter ist. Die Themen Kolonialismus und Machtmissbrauch sind auch aktuell sehr relevant und zugleich ist das Stück im Umgang damit so aus der Zeit gefallen. Der Kolonialismus wird ja von Kleist nur sehr knapp gestreift, worauf wir jedoch ein besonderes Augenmerk lenken und ihn leicht hervorheben wollten, was aber wiederum die Struktur des Stückes kaum zulässt. All das ist zum Zähne ausbeißen, und dennoch lohnt es sich sehr, es zu probieren.
Nach Molières Menschenfeind 2019 und Schillers Maria Stuart 2020 ist Der zerbrochne Krug der dritte Klassiker am DT in Folge. Was reizt dich an diesen großen, bekannten Stoffen? Und erlebst du das als eine explizite Phase in deinem Regieleben?
Ich hätte mich schon früher mehr mit klassischen Stoffen befasst, es ist aber in der Theaterszene eher den etablierteren Regieführenden vorbehalten, sich diesen oft auch dankbar zu inszenierenden Stoffen zu widmen. Insofern nehme ich einfach mit, was gerade möglich ist.
Mich interessiert sehr das Heute, die Politik, die Kunst – alles was unseren Alltag so ausmacht. Und ich frage mich, wo wir herkommen und warum wir da stehen, wo wir stehen: Geschlechterrollen und -bilder, Rassismus, Kapitalismus und so weiter. Sich in ein Stück Literatur aus unserer Vorzeit hineinzuarbeiten, hilft mir immer auch das Jetzt zu verstehen, unserer Zeit näher zu kommen und den Wurzeln unserer Schwierigkeiten. Und es sind eben auch Geschichten, die mich seit Jahren begleitet haben. Oft geht es dabei nicht nur um die Handlung, weil die ja bei Klassikern häufig beim Publikum schon bekannt ist, sondern eher um eine Einordnung des Stoffes. Um das Wie. Und manchmal auch um die Ehrenrettung einer bestimmten Figur.
Der Krug gilt als das Lustspiel schlechthin, als Paradebeispiel der deutschen Komödie. Auch Der Menschenfeind gehört diesem Genre an, und bei deiner Inszenierung von Maria Stuart wurde vielfach die komische Lesart dieses Trauerspiels als besonderes Merkmal hervorgehoben. Hast du gerne Spaß im Theater?
Oh ja. Überhaupt – nicht nur im Theater. Dazu brauche ich aber nicht unbedingt Lustiges. Ich finde einen gewissen Humor in allem, auch, wenn es schmerzt. Theater muss aufrichtig sein und eine ernsthafte Befragung, finde ich. Lachen ist kein wirkliches Kriterium. Ich kann auch nicht auf Lacher inszenieren, denn Humor ist ja ein sehr individueller Spaß und unter Zwang entsteht gar nix. Dass Maria Stuart auch als komisch wahrgenommen wird, liegt, glaube ich, daran, dass wir die Figuren sehr ernst genommen, sie aber auch trockengelegt haben. Und wir lachen über ihre Not oder darüber, wie sie sich entlarven. Das haben aber Schiller oder Kleist genauso geschrieben. Es ist vermutlich unsere Sicht auf die Figuren, die uns lachen lässt. Und bestimmt auch, dass sie nahbar sind. Dass wir eine Chance haben, sie zu verstehen.
Wo siehst du den spezifischen Humor des Krugs, also wo liegt aus deiner Perspektive in diesem Stück die Komik?
Was ich amüsant finde, ist, dass die Figuren so wenig über sich und ihre Wirkung wissen. Dass ich oft einen Schritt weiter bin; eine Selbstentlarvung, die wir auch bei Schiller erlebt haben. Wir haben heute diese psychologische Vorbildung – die haben die Kleist-Figuren aber so gar nicht. Die reden einfach drauflos, in einer Ahnungslosigkeit. Und da muss man sie, glaube ich, auch lassen. Das ist mein Eindruck aus den Proben, dass es ganz wichtig ist, dass diese Menschen keine Kleist-Expertise haben; sowas wie Kleist würden sie gar nicht lesen. Sie sind allesamt starke Persönlichkeiten, aber keine Intellektuellen. Sie haben definitiv eine Intuition – bis auf Adam vielleicht, der dafür zu sicher im falschen Sattel sitzt – aber wenig Selbstkritik. Und sie sind manchmal auch auf einfache Weise böse.
Ist es nicht seltsam, eine Komödie über eine offensichtliche Missbrauchsgeschichte zu schreiben – und wie verhältst du dich regieführend dazu?
Das finde ich nicht einfach, aber eigentlich ist die von Kleist aufgezeigte Situation heute nicht anders. Ich würde mal behaupten, dass machtmissbrauchende Menschen sich des Unrechts nicht bewusst sind – zumindest ist es interessant, das so zu erzählen, weil es vieles aufzeigt. Dass der Mächtige satt wie die Made im Speck ist, so in seiner angenehmen Position gefangen, dass ihm nicht bewusst ist, dass dies auch eine Verantwortung mit sich bringt, denen gegenüber, die weniger Macht haben. Das merken wir ja in vielen unserer derzeitigen Debatten: dass vielen Menschen das Bewusstsein ihrer Privilegiertheit fehlt.
Dennoch ist es natürlich ein schmaler Grat: dass wir einen Missbrauch erzählen und ein Opfer zeigen, dass sich zudem anfangs selbst gar nicht als Opfer wahrnimmt. Das Schreckliche ist nur in kleinen Momenten zu erahnen, es bleibt bei den Zuschauenden, es wird nicht gezeigt, es ist nur erahnbar. Ich möchte mir nicht anmaßen, die Gefühle eines Missbrauchsopfers adäquat darzustellen. Und ich glaube auch, dass es darum gar nicht gehen kann, da ein Opfer niemandem schuldet, sein Leid zu bebildern oder emotional glaubhaft zu machen. Zweifelsohne bewegen wir uns auf dünnem Eis, aber ich denke wir lachen überwiegend über die Selbstüberschätzung des Täters. Wir lachen aus Empörung.
Kleists Texte sind Sprachkompositionen, seine verschachtelten Sätze legendär. Auch im Zerbrochnen Krug zählt jede Silbe und jedes Satzzeichen, um dem Rhythmus des Stücks gerecht zu werden…
Die Kleistsche Sprache wurde wissenschaftlich von allen Seiten untersucht und die vielbeschriebene "allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" ist ein Prinzip, wie man die Figuren, die diese Sprache sprechen, auch begreifen kann. Beim Richter artet es ja quasi in unkontrollierten sprachlichen Durchfall aus. Wenn man so will: ein schönes Beispiel dieser Methode.
Aber letztlich interessiert mich Sprache bei den Proben eher als Gebrauchsgegenstand, denn ich bin ja Regisseurin, keine Wissenschaftlerin. Wir benutzen die Sprache und gucken, wie wir mit ihr zusammenkommen – mit und bei allem Respekt.
Wenn du von der Sprache als Gebrauchsgegenstand sprichst… Wo liegen für dich die Freiheiten im Inszenieren eines solchen Sprachkunstwerks und im Umgang mit dem Versmaß?
Der Rhythmus und die Musik in der Sprache sind mir ein willkommener Kontrast zu den sonst eher typisierten Figuren und der, sagen wir mal, einfachen Dorfgemeinschaft und des Nicht-So-Genau-Nehmens, der Verrohung. Ich suche immer einen psychologisch nachvollziehbaren Umgang mit den Figuren, jedoch finde ich Authentizität nicht so spannend. Also habe ich Freude, das authentisch Klingende im Unauthentischen zu suchen, sprich: die Gegensätze aus Künstlichkeit und Originärem, das Zufällige und das Gesetzte.
Das vollständige Gespräch finden Sie im Programmheft von Der zerbrochne Krug.
Anne Lenk: Die Entscheidung für einen Text beginnt meist damit, dass ich ihn sowohl sprachlich als auch inhaltlich und in der Form spannend finde, und die Figuren des Stückes im Ensemble entdecke. In diesem Fall kam mir die Herausforderung der Figuren für die Schauspieler:innen, die wir im Sinn hatten, besonders interessant vor. Ich konnte mir das sehr gut und plastisch vorstellen.
Zudem hat das Stück mich gerade wegen seiner ständigen Vertretung in den Spielplänen und seiner vielen Tücken neugierig gemacht. Es ist so herausfordernd in Form und Sprache und weil es ein Lustspiel mit einem so bitteren Kern ist. Und nicht zuletzt auch aufgrund der vielen Fettnäpfchen: zum Beispiel liegt ja von Anfang an offen, wer der Übeltäter ist. Die Themen Kolonialismus und Machtmissbrauch sind auch aktuell sehr relevant und zugleich ist das Stück im Umgang damit so aus der Zeit gefallen. Der Kolonialismus wird ja von Kleist nur sehr knapp gestreift, worauf wir jedoch ein besonderes Augenmerk lenken und ihn leicht hervorheben wollten, was aber wiederum die Struktur des Stückes kaum zulässt. All das ist zum Zähne ausbeißen, und dennoch lohnt es sich sehr, es zu probieren.
Nach Molières Menschenfeind 2019 und Schillers Maria Stuart 2020 ist Der zerbrochne Krug der dritte Klassiker am DT in Folge. Was reizt dich an diesen großen, bekannten Stoffen? Und erlebst du das als eine explizite Phase in deinem Regieleben?
Ich hätte mich schon früher mehr mit klassischen Stoffen befasst, es ist aber in der Theaterszene eher den etablierteren Regieführenden vorbehalten, sich diesen oft auch dankbar zu inszenierenden Stoffen zu widmen. Insofern nehme ich einfach mit, was gerade möglich ist.
Mich interessiert sehr das Heute, die Politik, die Kunst – alles was unseren Alltag so ausmacht. Und ich frage mich, wo wir herkommen und warum wir da stehen, wo wir stehen: Geschlechterrollen und -bilder, Rassismus, Kapitalismus und so weiter. Sich in ein Stück Literatur aus unserer Vorzeit hineinzuarbeiten, hilft mir immer auch das Jetzt zu verstehen, unserer Zeit näher zu kommen und den Wurzeln unserer Schwierigkeiten. Und es sind eben auch Geschichten, die mich seit Jahren begleitet haben. Oft geht es dabei nicht nur um die Handlung, weil die ja bei Klassikern häufig beim Publikum schon bekannt ist, sondern eher um eine Einordnung des Stoffes. Um das Wie. Und manchmal auch um die Ehrenrettung einer bestimmten Figur.
Der Krug gilt als das Lustspiel schlechthin, als Paradebeispiel der deutschen Komödie. Auch Der Menschenfeind gehört diesem Genre an, und bei deiner Inszenierung von Maria Stuart wurde vielfach die komische Lesart dieses Trauerspiels als besonderes Merkmal hervorgehoben. Hast du gerne Spaß im Theater?
Oh ja. Überhaupt – nicht nur im Theater. Dazu brauche ich aber nicht unbedingt Lustiges. Ich finde einen gewissen Humor in allem, auch, wenn es schmerzt. Theater muss aufrichtig sein und eine ernsthafte Befragung, finde ich. Lachen ist kein wirkliches Kriterium. Ich kann auch nicht auf Lacher inszenieren, denn Humor ist ja ein sehr individueller Spaß und unter Zwang entsteht gar nix. Dass Maria Stuart auch als komisch wahrgenommen wird, liegt, glaube ich, daran, dass wir die Figuren sehr ernst genommen, sie aber auch trockengelegt haben. Und wir lachen über ihre Not oder darüber, wie sie sich entlarven. Das haben aber Schiller oder Kleist genauso geschrieben. Es ist vermutlich unsere Sicht auf die Figuren, die uns lachen lässt. Und bestimmt auch, dass sie nahbar sind. Dass wir eine Chance haben, sie zu verstehen.
Wo siehst du den spezifischen Humor des Krugs, also wo liegt aus deiner Perspektive in diesem Stück die Komik?
Was ich amüsant finde, ist, dass die Figuren so wenig über sich und ihre Wirkung wissen. Dass ich oft einen Schritt weiter bin; eine Selbstentlarvung, die wir auch bei Schiller erlebt haben. Wir haben heute diese psychologische Vorbildung – die haben die Kleist-Figuren aber so gar nicht. Die reden einfach drauflos, in einer Ahnungslosigkeit. Und da muss man sie, glaube ich, auch lassen. Das ist mein Eindruck aus den Proben, dass es ganz wichtig ist, dass diese Menschen keine Kleist-Expertise haben; sowas wie Kleist würden sie gar nicht lesen. Sie sind allesamt starke Persönlichkeiten, aber keine Intellektuellen. Sie haben definitiv eine Intuition – bis auf Adam vielleicht, der dafür zu sicher im falschen Sattel sitzt – aber wenig Selbstkritik. Und sie sind manchmal auch auf einfache Weise böse.
Ist es nicht seltsam, eine Komödie über eine offensichtliche Missbrauchsgeschichte zu schreiben – und wie verhältst du dich regieführend dazu?
Das finde ich nicht einfach, aber eigentlich ist die von Kleist aufgezeigte Situation heute nicht anders. Ich würde mal behaupten, dass machtmissbrauchende Menschen sich des Unrechts nicht bewusst sind – zumindest ist es interessant, das so zu erzählen, weil es vieles aufzeigt. Dass der Mächtige satt wie die Made im Speck ist, so in seiner angenehmen Position gefangen, dass ihm nicht bewusst ist, dass dies auch eine Verantwortung mit sich bringt, denen gegenüber, die weniger Macht haben. Das merken wir ja in vielen unserer derzeitigen Debatten: dass vielen Menschen das Bewusstsein ihrer Privilegiertheit fehlt.
Dennoch ist es natürlich ein schmaler Grat: dass wir einen Missbrauch erzählen und ein Opfer zeigen, dass sich zudem anfangs selbst gar nicht als Opfer wahrnimmt. Das Schreckliche ist nur in kleinen Momenten zu erahnen, es bleibt bei den Zuschauenden, es wird nicht gezeigt, es ist nur erahnbar. Ich möchte mir nicht anmaßen, die Gefühle eines Missbrauchsopfers adäquat darzustellen. Und ich glaube auch, dass es darum gar nicht gehen kann, da ein Opfer niemandem schuldet, sein Leid zu bebildern oder emotional glaubhaft zu machen. Zweifelsohne bewegen wir uns auf dünnem Eis, aber ich denke wir lachen überwiegend über die Selbstüberschätzung des Täters. Wir lachen aus Empörung.
Kleists Texte sind Sprachkompositionen, seine verschachtelten Sätze legendär. Auch im Zerbrochnen Krug zählt jede Silbe und jedes Satzzeichen, um dem Rhythmus des Stücks gerecht zu werden…
Die Kleistsche Sprache wurde wissenschaftlich von allen Seiten untersucht und die vielbeschriebene "allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" ist ein Prinzip, wie man die Figuren, die diese Sprache sprechen, auch begreifen kann. Beim Richter artet es ja quasi in unkontrollierten sprachlichen Durchfall aus. Wenn man so will: ein schönes Beispiel dieser Methode.
Aber letztlich interessiert mich Sprache bei den Proben eher als Gebrauchsgegenstand, denn ich bin ja Regisseurin, keine Wissenschaftlerin. Wir benutzen die Sprache und gucken, wie wir mit ihr zusammenkommen – mit und bei allem Respekt.
Wenn du von der Sprache als Gebrauchsgegenstand sprichst… Wo liegen für dich die Freiheiten im Inszenieren eines solchen Sprachkunstwerks und im Umgang mit dem Versmaß?
Der Rhythmus und die Musik in der Sprache sind mir ein willkommener Kontrast zu den sonst eher typisierten Figuren und der, sagen wir mal, einfachen Dorfgemeinschaft und des Nicht-So-Genau-Nehmens, der Verrohung. Ich suche immer einen psychologisch nachvollziehbaren Umgang mit den Figuren, jedoch finde ich Authentizität nicht so spannend. Also habe ich Freude, das authentisch Klingende im Unauthentischen zu suchen, sprich: die Gegensätze aus Künstlichkeit und Originärem, das Zufällige und das Gesetzte.
Das vollständige Gespräch finden Sie im Programmheft von Der zerbrochne Krug.