

Angabe der Person
Trailer
Hier spricht einfach sie
Text: Roland Koberg
Elfriede Jelinek hat ein neues Stück geschrieben, ihr persönlichstes: Angabe der Person. Jossi Wieler, der seit 30 Jahren Stücke von Jelinek inszeniert, bringt es am 16. Dezember im Deutschen Theater zur Uraufführung. Zeit, diese langjährige Arbeitsbeziehung einmal näher zu beleuchten.

Elfriede Jelinek © Karin Rocholl
Angabe der Person heißt ein neuer Theatertext der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, der im Dezember am Deutschen Theater in der Regie von Jossi Wieler uraufgeführt wird. Was ist das für ein Stück, das schon im Titel auf einen Unterschied wert legt? In Formularen oder in Lebensläufen macht man Angaben zur Person: Name, Geburtsdatum, Familienstand etc. Wenn es sich aber um eine Angabe der Person handelt – wie weit ist es dann von einer Person, die Angaben macht, zu einer Angeberin, die mit ihrer Person prahlt?
Um als Angeberin angesehen zu werden, dafür tut Elfriede Jelinek in ihrem über weite Strecken in der Ich-Form geschriebenen Theatertext alles. Es dauert keine 24 Manuskriptseiten (von 149, die kurz vor der Premiere als Buch erschienen sind), damit die Autorin sich zum ersten Mal bekennt: "Ich möchte doch sogar mit meinem schlechten Gewissen noch prunken! Und überhaupt. Angeberei ist meine zweite Natur, gebe ich zu." Sätze wie diese kann man für Koketterie halten oder für eine raffinierte Immunisierungsstrategie. Man kann sie aber auch ganz konkret als Auskünfte auffassen, durch die sich Elfriede Jelinek hineinschreibt, so persönlich, riskant und analytisch wie vielleicht in keinem anderen ihrer etwa vierzig Stücke davor. Man kann ihr am Ende keinen Vorwurf machen, also keinen, den sie sich nicht selbst gemacht hätte.
Ihr neues Stück handelt von Ungerechtigkeit. Warum in der Geschichte manche überlebt haben und andere nicht. Warum manche verfolgt wurden und andere nicht. Sie schreibt auch das Drama des Geldes. Die Wirtschaftskomödie – so hieß ihr Stück Die Kontrakte des Kaufmanns – wiederholt sich als Steuerfarce. Jelinek grillt die staatlichen Organe, die globale Finanzwirtschaft, richtend über die, die es sich immer schon zu richten wussten, mal mit Klarnamen, mal zum Raten, und zeigt dabei immer wieder auf sich. Man erfährt etwas über Verwandte, die als Juden verfolgt wurden, über das Gefühl, die Letzte zu sein (der Jelineks), über die Übergriffigkeit, mit der vor Jahren Steuerfahnder ihren Münchner Zweitwohnsitz heimsuchten, zwischendurch sogar Freundliches über Wien, "meine liebe Heimatstadt!, und dort der achte Wiener Gemeindebezirk, wo ich aufwuchs, wo ich hingehöre, auch wenn ich nicht dort aufenthältig bin, sondern im Hüdorf (…)".
JOSSI WIELERS WOLKEN.HEIM. WAR AUS THEATERHISTORISCHER SICHT EINE TAT
Um Angaben zur Person von Elfriede Jelinek (76) ist der auch sonst sehr diskrete Schweizer Jossi Wieler (71) bisher herumgekommen. Er ist der, der ihre Stücke immer schon anders gemacht hat, auf seine Art. Sein erstes Mal, Wolken.Heim. 1993, war aus theaterhistorischer Sicht (doch, ja, aus theaterhistorischer) eine Tat. Die Aufführung hat Jelinek etwas über die Möglichkeiten des Theaters beigebracht, gerade wenn durch die Regie etwas ganz anderes dazukommt als im Text steht. Jelinek entwickelte daraufhin ihre Dramen-Schreibtechnik ohne Rollen, nur mit Stimmen, die sozusagen danach lechzen, interpretiert und szenisch zu Ende geschrieben zu werden.
Wolken.Heim. war diesbezüglich wie ein erster Streich. In Bonn, wo er in den 80er-Jahren regelmäßig inszenierte, hatte Jossi Wieler die formalistischen Versuche gesehen, durch welche Jelinek im deutschen Exil bühnentauglich gemacht werden sollte, darunter ihr erstes Skandalstück Burgtheater. Vor dem Hintergrund von Jelineks theatertheoretischen Einlassungen, meint er heute mit einem Lächeln, war Wolken.Heim. "genau das Theater, das ihr ein Graus ist." Das geheime Proben-Code-Wort war "Hedda-Heim" nach dem gleichnamigen Stück von Ibsen, bei man sich stilistisch eher zu Hause fühlte. Eine biographisch reale Familiengeschichte inspirierte das Konzept: Treffen sich vier Flieger-Witwen und zwei Töchter in einem konspirativen, naziverseuchten Bunker. In der Aufführung reden sie, was ihnen deutsche Denker hinterlassen haben, paraphrasiert und zur Kenntlichkeit entstellt von Elfriede Jelinek. Die hunderten, chauvinistischen "Wirs", die Jelinek in den Text eingeschmuggelt hat, erzählen plötzlich etwas über die Frauen zwischen Flugzeug-Tapeten: als Gattinnen, die sich über ihre Männer definieren, können sie "ich" nicht sagen. Die Textcollage wirkte am Ende wie ein surreales Kammerspiel.
So hat man sich kennengelernt. Wolken.Heim. wurde auf der ganzen Welt gezeigt, beim Berliner Theatertreffen sah Elfriede Jelinek, die damals noch ins Theater ging, eine Vorstellung und gab sich, auf ihre Weise, geschlagen. Sie schrieb respektvoll bewundernd (in einem Essay namens Die Leere öffnen): "Mit der Unterschiedlichkeit von Personen arbeite ich grundsätzlich nicht. Die Unterschiedlichkeit von Personen herzustellen, das überlasse ich Regisseuren wie Jossi Wieler (…) denn er kann Menschen machen, was mir leider verwehrt ist (…)."
"MACHEN SIE, WAS SIE WOLLEN!"
Je öfter und freier Jossi Wieler und andere ausgesuchte Regisseure ihre Texte interpretieren, kurz und klein kürzen oder zerlegen, desto neugieriger schreibt Elfriede Jelinek sich in ihrem jeweils nächsten Theatertext selbst hinein – ihre einzige Regieanweisung lautet „Machen Sie, was Sie wollen!“ In ihren eigenen rauschenden Texten hebt sie zwischendurch die Hand und will auch etwas sagen. Das hat zur Folge, dass sie als Figur oft mitinszeniert wird, mit charakteristischer Frisur. Frank Castorf hat sie einmal als automatisiert plappernde Sexpuppe auf die Bühne gestellt. Die Vergeblichkeit ihrer Klagen ist seither ein wiederkehrendes Thema bis hin zu einem Opfer-Diskurs als spottende, verspottete Person.
Jossi Wieler hat die Autorin noch nie vor den Vorhang gezerrt. Vielleicht ein charmantes kleines bisschen bei Jelineks Robert Walser-Hommage er nicht als er 1998. Da wurde der Schweizer Schriftsteller und Heiminsasse bestaunt von drei etwas verschrobenen kulturinteressierten Damen, die in Mode und Frisur an die seinerzeit zu Tode fotografierte Autorin denken ließen – Jelinek hat die Premiere, heute undenkbar, persönlich gehostet als "Dichterin zu Gast" der Salzburger Festspiele.
Nach Wolken.Heim. und er nicht als er hat er noch Macht nichts, Ulrike Maria Stuart und, abermals ein internationaler Erfolg, Rechnitz (Der Würgeengel) inszeniert. Auch in diesen Texten redet die Autorin punktuell selbst, vor allem in jenem „Der Wanderer“ genannten Macht nichts-Teil, in dem sie unter mehreren anderen Schichten ihren Vater porträtiert. Jelinek, die als Schriftstellerin lange Zeit ausschließlich mit ihrer Über-Mutter schicksalhaft in Verbindung gebracht wurde (aufgrund des autobiographisch lesbaren Romans Die Klavierspielerin), half mit diesem Monolog im Jahr 2001 erstmalig ihrem Vater literarisch aufs Podest. Für Jossi Wieler und den Schauspieler André Jung eine Möglichkeit zur psychologischen Feinzeichnung, für ein Porträt wie von Tizian. Sie konnten auf eine Weise vom Vater erzählen, ohne dass jemand erfahren musste, dass es um Friedrich Jelinek (1900-1969) geht, der als so genannter "Mischling" das NS-Regime überlebte.
Bei Angabe der Person wird Jossi Wielers Erzähltechnik, geschlossene Welten zu erfinden und die Autorin außerhalb des Guckkastens zu belassen, nun auf eine harte Probe gestellt – von welcher man vor Probenbeginn natürlich nicht weiß, wie sie ausgeht.
"HIER SPRICHT EINFACH SIE. ICH KANN ES NICHT ANDERS LESEN."
Fiktiv zu lesen ist das Autorinnen-Ich kaum, dazu muss man sie nicht einmal so lange kennen wie Jossi Wieler das tut: "Hier spricht einfach sie. Ich kann es nicht anders lesen." Seine letzte Jelinek-Inszenierung ist schon ein Weilchen her, auf Rechnitz (Der Würgeengel) 2008 folgte eine längere Schauspielabstinenz und Opernintendanz in Stuttgart. Dafür bekommt er zum Wiedersehen das volle Programm.
Als Jelineks Anwalt sieht sich Jossi Wieler nicht, wenn er Angabe der Person nun zum ersten Mal auf die Bühne bringt, eher als Analytiker, der ihre Art von Humor teilt und der den Schmerz und die Verletzung sieht, die dem Text zugrunde liegen. Das Stück ist – auch das scheint der Regisseur, dem Jelinek vertraut, sehr zu mögen – mit viel Wut geschrieben. Von der Beute wird erst abgelassen, wenn sie erledigt ist, mitunter durch Witz, Spott und Hohn. Dass die Autorin sich im Text über sich selbst lustig macht und gewisser Fehler bezichtigt, heißt ja nicht, dass sie nicht recht hat. Dass sie so viel und so persönlich über sich schreibt, über Verfolgung, Erschöpfung und Ende, heißt ja nicht, dass sie nicht auch für andere stehen kann. Ohne diese universelle Qualität wäre es keine Vorlage, die ihn interessiert, sagt Jossi Wieler, er ist ja kein Schlüsselloch-Regisseur. Angaben zur Person sind allein der angebenden Person vorbehalten.
"Heikel" ist ein Wort, das Jelinek und Wieler unabhängig voneinander für das Stück benutzen. Sie hat sich schreibend ausgeliefert und sitzt in Wien-Hütteldorf oder in München, zurückgezogen aus fast allem, während in Berlin die Probierenden acht Wochen lang jeden Satz zwei Mal umdrehen, bevor sie wissen, um wen und vor allem gegen wen es geht. Wie beim Walser-Stück ist ein exzellentes Ensemble von drei Frauen und einem Mann am Start: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse, Susanne Wolff, Bernd Moss. Für sie, mit und von ihnen wird jetzt erfunden, ohne dass der Regisseur sich selbst auf die Bühne bringen wird, das ist schon vorher klar. Um etwas Eigenes zu erzählen, hat man sie.
Dieser Text ist als Originalbeitrag für das Dezember-Magazin des Deutschen Theaters entstanden
Um als Angeberin angesehen zu werden, dafür tut Elfriede Jelinek in ihrem über weite Strecken in der Ich-Form geschriebenen Theatertext alles. Es dauert keine 24 Manuskriptseiten (von 149, die kurz vor der Premiere als Buch erschienen sind), damit die Autorin sich zum ersten Mal bekennt: "Ich möchte doch sogar mit meinem schlechten Gewissen noch prunken! Und überhaupt. Angeberei ist meine zweite Natur, gebe ich zu." Sätze wie diese kann man für Koketterie halten oder für eine raffinierte Immunisierungsstrategie. Man kann sie aber auch ganz konkret als Auskünfte auffassen, durch die sich Elfriede Jelinek hineinschreibt, so persönlich, riskant und analytisch wie vielleicht in keinem anderen ihrer etwa vierzig Stücke davor. Man kann ihr am Ende keinen Vorwurf machen, also keinen, den sie sich nicht selbst gemacht hätte.
Ihr neues Stück handelt von Ungerechtigkeit. Warum in der Geschichte manche überlebt haben und andere nicht. Warum manche verfolgt wurden und andere nicht. Sie schreibt auch das Drama des Geldes. Die Wirtschaftskomödie – so hieß ihr Stück Die Kontrakte des Kaufmanns – wiederholt sich als Steuerfarce. Jelinek grillt die staatlichen Organe, die globale Finanzwirtschaft, richtend über die, die es sich immer schon zu richten wussten, mal mit Klarnamen, mal zum Raten, und zeigt dabei immer wieder auf sich. Man erfährt etwas über Verwandte, die als Juden verfolgt wurden, über das Gefühl, die Letzte zu sein (der Jelineks), über die Übergriffigkeit, mit der vor Jahren Steuerfahnder ihren Münchner Zweitwohnsitz heimsuchten, zwischendurch sogar Freundliches über Wien, "meine liebe Heimatstadt!, und dort der achte Wiener Gemeindebezirk, wo ich aufwuchs, wo ich hingehöre, auch wenn ich nicht dort aufenthältig bin, sondern im Hüdorf (…)".
JOSSI WIELERS WOLKEN.HEIM. WAR AUS THEATERHISTORISCHER SICHT EINE TAT
Um Angaben zur Person von Elfriede Jelinek (76) ist der auch sonst sehr diskrete Schweizer Jossi Wieler (71) bisher herumgekommen. Er ist der, der ihre Stücke immer schon anders gemacht hat, auf seine Art. Sein erstes Mal, Wolken.Heim. 1993, war aus theaterhistorischer Sicht (doch, ja, aus theaterhistorischer) eine Tat. Die Aufführung hat Jelinek etwas über die Möglichkeiten des Theaters beigebracht, gerade wenn durch die Regie etwas ganz anderes dazukommt als im Text steht. Jelinek entwickelte daraufhin ihre Dramen-Schreibtechnik ohne Rollen, nur mit Stimmen, die sozusagen danach lechzen, interpretiert und szenisch zu Ende geschrieben zu werden.
Wolken.Heim. war diesbezüglich wie ein erster Streich. In Bonn, wo er in den 80er-Jahren regelmäßig inszenierte, hatte Jossi Wieler die formalistischen Versuche gesehen, durch welche Jelinek im deutschen Exil bühnentauglich gemacht werden sollte, darunter ihr erstes Skandalstück Burgtheater. Vor dem Hintergrund von Jelineks theatertheoretischen Einlassungen, meint er heute mit einem Lächeln, war Wolken.Heim. "genau das Theater, das ihr ein Graus ist." Das geheime Proben-Code-Wort war "Hedda-Heim" nach dem gleichnamigen Stück von Ibsen, bei man sich stilistisch eher zu Hause fühlte. Eine biographisch reale Familiengeschichte inspirierte das Konzept: Treffen sich vier Flieger-Witwen und zwei Töchter in einem konspirativen, naziverseuchten Bunker. In der Aufführung reden sie, was ihnen deutsche Denker hinterlassen haben, paraphrasiert und zur Kenntlichkeit entstellt von Elfriede Jelinek. Die hunderten, chauvinistischen "Wirs", die Jelinek in den Text eingeschmuggelt hat, erzählen plötzlich etwas über die Frauen zwischen Flugzeug-Tapeten: als Gattinnen, die sich über ihre Männer definieren, können sie "ich" nicht sagen. Die Textcollage wirkte am Ende wie ein surreales Kammerspiel.
So hat man sich kennengelernt. Wolken.Heim. wurde auf der ganzen Welt gezeigt, beim Berliner Theatertreffen sah Elfriede Jelinek, die damals noch ins Theater ging, eine Vorstellung und gab sich, auf ihre Weise, geschlagen. Sie schrieb respektvoll bewundernd (in einem Essay namens Die Leere öffnen): "Mit der Unterschiedlichkeit von Personen arbeite ich grundsätzlich nicht. Die Unterschiedlichkeit von Personen herzustellen, das überlasse ich Regisseuren wie Jossi Wieler (…) denn er kann Menschen machen, was mir leider verwehrt ist (…)."
"MACHEN SIE, WAS SIE WOLLEN!"
Je öfter und freier Jossi Wieler und andere ausgesuchte Regisseure ihre Texte interpretieren, kurz und klein kürzen oder zerlegen, desto neugieriger schreibt Elfriede Jelinek sich in ihrem jeweils nächsten Theatertext selbst hinein – ihre einzige Regieanweisung lautet „Machen Sie, was Sie wollen!“ In ihren eigenen rauschenden Texten hebt sie zwischendurch die Hand und will auch etwas sagen. Das hat zur Folge, dass sie als Figur oft mitinszeniert wird, mit charakteristischer Frisur. Frank Castorf hat sie einmal als automatisiert plappernde Sexpuppe auf die Bühne gestellt. Die Vergeblichkeit ihrer Klagen ist seither ein wiederkehrendes Thema bis hin zu einem Opfer-Diskurs als spottende, verspottete Person.
Jossi Wieler hat die Autorin noch nie vor den Vorhang gezerrt. Vielleicht ein charmantes kleines bisschen bei Jelineks Robert Walser-Hommage er nicht als er 1998. Da wurde der Schweizer Schriftsteller und Heiminsasse bestaunt von drei etwas verschrobenen kulturinteressierten Damen, die in Mode und Frisur an die seinerzeit zu Tode fotografierte Autorin denken ließen – Jelinek hat die Premiere, heute undenkbar, persönlich gehostet als "Dichterin zu Gast" der Salzburger Festspiele.
Nach Wolken.Heim. und er nicht als er hat er noch Macht nichts, Ulrike Maria Stuart und, abermals ein internationaler Erfolg, Rechnitz (Der Würgeengel) inszeniert. Auch in diesen Texten redet die Autorin punktuell selbst, vor allem in jenem „Der Wanderer“ genannten Macht nichts-Teil, in dem sie unter mehreren anderen Schichten ihren Vater porträtiert. Jelinek, die als Schriftstellerin lange Zeit ausschließlich mit ihrer Über-Mutter schicksalhaft in Verbindung gebracht wurde (aufgrund des autobiographisch lesbaren Romans Die Klavierspielerin), half mit diesem Monolog im Jahr 2001 erstmalig ihrem Vater literarisch aufs Podest. Für Jossi Wieler und den Schauspieler André Jung eine Möglichkeit zur psychologischen Feinzeichnung, für ein Porträt wie von Tizian. Sie konnten auf eine Weise vom Vater erzählen, ohne dass jemand erfahren musste, dass es um Friedrich Jelinek (1900-1969) geht, der als so genannter "Mischling" das NS-Regime überlebte.
Bei Angabe der Person wird Jossi Wielers Erzähltechnik, geschlossene Welten zu erfinden und die Autorin außerhalb des Guckkastens zu belassen, nun auf eine harte Probe gestellt – von welcher man vor Probenbeginn natürlich nicht weiß, wie sie ausgeht.
"HIER SPRICHT EINFACH SIE. ICH KANN ES NICHT ANDERS LESEN."
Fiktiv zu lesen ist das Autorinnen-Ich kaum, dazu muss man sie nicht einmal so lange kennen wie Jossi Wieler das tut: "Hier spricht einfach sie. Ich kann es nicht anders lesen." Seine letzte Jelinek-Inszenierung ist schon ein Weilchen her, auf Rechnitz (Der Würgeengel) 2008 folgte eine längere Schauspielabstinenz und Opernintendanz in Stuttgart. Dafür bekommt er zum Wiedersehen das volle Programm.
Als Jelineks Anwalt sieht sich Jossi Wieler nicht, wenn er Angabe der Person nun zum ersten Mal auf die Bühne bringt, eher als Analytiker, der ihre Art von Humor teilt und der den Schmerz und die Verletzung sieht, die dem Text zugrunde liegen. Das Stück ist – auch das scheint der Regisseur, dem Jelinek vertraut, sehr zu mögen – mit viel Wut geschrieben. Von der Beute wird erst abgelassen, wenn sie erledigt ist, mitunter durch Witz, Spott und Hohn. Dass die Autorin sich im Text über sich selbst lustig macht und gewisser Fehler bezichtigt, heißt ja nicht, dass sie nicht recht hat. Dass sie so viel und so persönlich über sich schreibt, über Verfolgung, Erschöpfung und Ende, heißt ja nicht, dass sie nicht auch für andere stehen kann. Ohne diese universelle Qualität wäre es keine Vorlage, die ihn interessiert, sagt Jossi Wieler, er ist ja kein Schlüsselloch-Regisseur. Angaben zur Person sind allein der angebenden Person vorbehalten.
"Heikel" ist ein Wort, das Jelinek und Wieler unabhängig voneinander für das Stück benutzen. Sie hat sich schreibend ausgeliefert und sitzt in Wien-Hütteldorf oder in München, zurückgezogen aus fast allem, während in Berlin die Probierenden acht Wochen lang jeden Satz zwei Mal umdrehen, bevor sie wissen, um wen und vor allem gegen wen es geht. Wie beim Walser-Stück ist ein exzellentes Ensemble von drei Frauen und einem Mann am Start: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse, Susanne Wolff, Bernd Moss. Für sie, mit und von ihnen wird jetzt erfunden, ohne dass der Regisseur sich selbst auf die Bühne bringen wird, das ist schon vorher klar. Um etwas Eigenes zu erzählen, hat man sie.
Dieser Text ist als Originalbeitrag für das Dezember-Magazin des Deutschen Theaters entstanden

Am 15. November veröffentlichte Deutschlandfunk einen Radiobeitrag über Elfriede Jelinek unter dem Titel: "Angabe der Person" Unter Verdacht
"Vor einiger Zeit bekam Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin aus Wien mit Zweitwohnsitz in München, Besuch von der deutschen Finanzpolizei. Das traumatische Erlebnis hat sie in der genreoffenen Anklageschrift 'Angabe der Person' aufgearbeitet. [...]"
"Vor einiger Zeit bekam Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin aus Wien mit Zweitwohnsitz in München, Besuch von der deutschen Finanzpolizei. Das traumatische Erlebnis hat sie in der genreoffenen Anklageschrift 'Angabe der Person' aufgearbeitet. [...]"